Wanderausstellung "No Child´s Play"

Die Wanderausstellung "No Child´s Play" aus Israel ist im Wintersemester 2009/10 in Kärntner Schulen unterwegs. Im Oktober gastierte sie in der HAK International Klagenfurt, wo sich SchülerInnen intensiv mit der Vorbereitung dieser auseinandersetzten. Zu ihrer Eröffnung im Villacher Peraugymnasium, sprach Hans Haider über die Ermordung von Kärntner Kindern im Nationalsozialismus.

Die Projektdokumenation, welche hier eingesehen werden kann, bietet einen Überblick über die schulische Beschäftigung mit der Ausstellung und ihren Inhalten.

Projektdokumentation

 

DIE ERMORDETEN KINDER AUS KÄRNTEN

Hans Haider, Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung im Villacher Peraugymnasium

 

Liebe Schülerinnen und Schüler, Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren!

 

Wenn wir heute der Kinder gedenken, deren Leidenswege in dieser Ausstellung dargestellt werden, so wissen wir, dass diese Kinder von einem mörderischen Regime systematisch ausgesondert und kaltblütig mit penibler bürokratischer Organisation, umgebracht wurden. Dass es möglich war, diese Menschen so planvoll, so öffentlich, so legal zu töten, mitten in Europa, mitten im 20. Jahrhundert stellt einen ungeheuerlichen  Zivilisationsbruch dar, der von Menschen begangen wurde der bloß zweiten Generation vor unserer Zeit. Von unseren Müttern, Großmüttern und Urgroßmüttern, von unseren Vätern, Großvätern und Urgroßvätern. Und noch etwas wissen wir bzw. sollten wir wissen und das sollte uns nachdenklich machen: „Die nationalsozialistischen Massenmorde wurden mitten in unserer modernen rationalen Gesellschaft geplant und durchgeführt, in einer hoch entwickelten Zivilisation mit außergewöhnlichen kulturellen Leistungen. Sie müssen deshalb als ein Problem, als eine wiederkehrende Möglichkeit, unserer Gesellschaft, unserer Kultur und unserer Zivilisation betrachtet werden.“  (Zitat Zygmund Baumann, Dialektik und Ordnung). Wir sollten uns die Frage stellen welche spezifischen Gründe dazu führten, dass diese Schattenseite der Moderne so geschichtsmächtig werden konnte.

Der Kern der NS Ideologie fußte auf der Behauptung von der Ungleichheit der Menschen im Gegensatz zum christlichen Menschenbild und im Gegensatz zum Gleichheitsprinzip der Menschenrechterklärung der französischen und amerikanischen Revolutionäre des 18. Jahrhunderts. Die Nationalsozialisten vertraten die Ideologie von der Volksgemeinschaft. Ausgeschlossen aus dieser Volksgemeinschaft waren Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti und Menschen mit einer Behinderung. Sie galten als rassisch minderwertig. Im Interesse eines „gesunden deutschen Volkskörpers“ ergriffen die Nationalsozialisten Maßnahmen zu ihrer „Ausmerzung.“ Das war die Sprache der Nationalsozialisten in ihren Programmen, Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und auf den öffentlichen Plätzen im Deutschen Reich. Auch in Kärnten. Und diesen Worten entsprechend waren auch ihre Taten.

 

Im April 1941 verhaftete die Kärntner Kriminalpolizei, im Rahmen der so genannten „Zigeuneraktion“, die unter der Leitung von Kriminalinspektor Karl Malle aus Klagenfurt stand, der nach 1945 weiter im Dienst blieb, 50 Personen - Angehörige der Volksgruppe der Sinti - und überstellte sie in das Zigeuneranhaltelager Weyer nach Oberösterreich. Nach Auflösung dieses Lagers deportierte man alle Häftlinge nach Polen in das jüdische Ghetto von Lodz, wo für die Sinti und Roma notdürftig ein „Ghetto im Ghetto“ errichtet wurde. Im Jänner 1942 wurde dieses „Zigeunerghetto“ aufgelöst und man überstellte  diejenigen, die bis dahin überlebt hatten, in das Vernichtungslager Chelmno und erstickte sie dort in Gaswägen mit Benzinabgasen. Betroffen von diesem Schicksal waren auch Kinder aus Kärnten:

die sechsjährige in Ferlach geborene Anna Link,

die dreijährige in Klagenfurt geborene Hertha Link,

der zwölfjährige in Villach geborene Franz Link,

die siebenjährige in Görtschach geborene Hilda Link,

die neunjährige in Pusarnitz geborene Anna Held,

der siebenjährige in St. Johann im Gailtal geborene Hubert Held,

der vierjährige in Sittersdorf geborene Erich Held,

der zweijährigejährige in St. Egyden geborene Rudolf Held,

die siebenjährige in Kohldorf geborene Sophie Held,

die fünfjährige in Ferlach geborene Agathe Held,

der dreijährige in Loibach bei Bleiburg geborene Johann Held,

die drei Monate alte in Bodental geborene Agnes Held,

die siebenjährige Elfriede Taubmann aus Villach,

der achtjährige Eduard Seger aus Villach,

der dreizehnjährige in Ferlach geborene Max Seger,

der elfjährige in Einersdorf geborene Gottfried Seger,

der zehnjährige Ewald Seger aus Villach,

die einjährige in Klagenfurt geborene Sonja Seger,

der achtjährige in Zapfendorf geborene Hubert Link

und die zweijährige in Spittal an der Drau geborene Margarethe Reinhard.

Der acht Monate alte Johann Held aus Villach wurde wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti im Oktober 1941 von der Villacher Kripo mit seiner Mutter festgenommen und in das Zigeuner Anhaltelager Lackenbach nach Burgenland deportiert, wo er 14 Tage später verstarb.

Die dreizehnjährige Helene Weiss aus Klagenfurt wurde wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti im Oktober 1941 ihren Zieheltern weggenommen und in das Zigeuner Anhaltelager Lackenbach nach Burgenland deportiert. Dort verliert sich ihre Spur.

Die zweijährige Melitta Pachernik und ihre sechs Wochen alte Schwester Isabella, beide aus Villach, wurden, weil sie „Zigeunermischlinge“ waren, im Oktober 1941 von der Villacher Kripo festgenommen. Die flehentlichen Bitten der Großmutter und der Tante ihnen die Kinder nicht wegzunehmen waren vergebens. Die Villacher Kripo sagte: „Die Mutter ist Arierin, die kann hier bleiben, aber die Kinder sind Mischlinge und müssen deshalb vom Grenzgebiet weggeschafft werden“. Natürlich ist die Mutter mit ihren Kindern mitgefahren. Über Todesort und Todeszeitpunkt der Kinder, der Mutter und des Vaters habe ich keine Informationen.

In den Jahren 1942 und  1943 wurden mehrere Kinder aus Kärnten wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti in das KZ Auschwitz deportiert und dort um ihr Leben gebracht. Betroffen davon waren:

Die achtjährige in Maria Elend geborene Therese Held,

die zweijährige Olga Krems aus Villach,

der dreijährige Stefan Lichtenberger aus Villach,

der einjährige Adolf  Seger aus Villach

und der fünfjährige Friedrich Seger aus Villach.

Der elfjährige Edwin Presser aus Stockenboi wurde wegen einer Behinderung im März 1941 in die NS Tötungsanstalt Hartheim nach Oberösterreich deportiert, wo er mit Kohlenmonoxid erstickt wurde.

Die elfjährige Hildegard Wieltschnig aus Maria Gail wurde im Jahre 1943 wegen Epilepsie in das Gaukrankenhaus Klagenfurt eingeliefert. Ihrer Mutter schrieb sie noch einen Brief: „Bitte Mutti hol mich wieder. Hier bekommen wir einen Saft zu trinken von dem wir sterben“. Die elfjärige Hildegard wurde mit einer Überdosis an Luminal und Somniferen im Gaukrankenhaus Klagenfurt ermordet.

In den Jahren 1940, 1941, 1942 und 1943 wurden mehrere Kinder aus Kärnten wegen einer Behinderung in die NS Tötungsanstalt „Am Spiegelgrund“ nach Wien überstellt, wo sie ermordet wurden. Betroffen davon waren

die dreizehnjährige Elfriede Bosch aus Klagenfurt,

der dreijährige Willibald Görtschacher aus Radenthein,

die dreijährige Anna Kaschnig aus Thörl Maglern,

der elfjährige Josef Kassin aus Nötsch,

der achtjährige Josef  Keuschnig aus Oberfellach,

der sechsjährige Franz Knafl aus Klagenfurt,

der fünfjährige Johann Kordasch aus Ebenthal,

die zweijährige Erika Kowatsch aus Gamschitz,

der einjährige Andreas Saringer aus Paternion,

der fünfjährige Georg Schmölzer aus Winkl,

die zweijährige Ingeborg Steindorfer aus Völkermarkt,

die sechsjährige Therese Steiner aus Rojach,

der zwölfjährige Alfred Sturm aus Klagenfurt,

die zweijährige Erika Ulbing aus Villach

und die vierjährige Hildegard Weiss aus Klagenfurt.

Anna Gastl ist am 28. Mai 1944 in der Gestapohaft in Klagenfurt zur Welt gekommen, wo ihre Mutter Josefine Gastl aus Finkenstein wegen Partisanenunterstützung inhaftiert war. Anna wurde ihrer Mutter sofort weggenommen und verstarb 14 Tage später an Unterernährung im Gaukrankenhaus Klagenfurt.

Die einjährige Eva Linker aus Klagenfurt, ein jüdisches Kind, ist mit ihren Eltern nach dem Novemberpogrom 1938, der so genannten Reichskristallnacht, nach Wien gezogen, um von dort aus die Flucht nach Palästina vorzubereiten. Ende 1939 versuchten sie mit einem illegalen Fluchttransport auf einem Donaudampfer zum Schwarzen Meer zu gelangen. Nach zweiwöchiger Fahrt wurde das Schiff in Kladovo, einem kleinen Donauhafen im Dreiländereck Rumänien – Jugoslawien – Bulgarien, angehalten. Die Flüchtlinge wurden in ein Lager nahe Belgrad überstellt. Nach dem Überfall auf Jugoslawien im April1941 wurden alle männlichen Insassen dieses Lagers im Rahmen einer „Sühneaktion“ von der Deutschen Wehrmacht als Geiseln festgenommen und erschossen. Darunter befand sich auch der Vater der damals vierjährigen Eva. Bald darauf wurde Eva mit ihrer Mutter in das KZ Sajmiste bei Belgrad überstellt. Dort wurden beide in einem Kastenwagen mit Benzinabgasen erstickt.

Im Dezember 1938 übersiedelte die jüdische Familie Preis aus Klagenfurt  mit ihren beiden Kindern, dem zweijährigen Peter und der dreijährigen Eva, nach Wien. Dazu wurden sie von den Nazis gezwungen, denn die Nazis wollten Kärnten judenfrei machen. Vier Jahre später wurde Peter mit seiner Schwester Eva und den Eltern in das KZ Theresienstadt deportiert. Im Jahre 1944 wurde der damals achtjährige Peter gemeinsam mit seiner neunjährigen Schwester Eva in das KZ Auschwitz deportiert, wo beide mit Zyankali Gas erstickt wurden.

 

Die Nationalsozialisten ermordeten diese Kinder, weil sie, gemäß ihrem rassistischen Weltbild, zu einer biologisch determinierten Gruppe gehörten. Hermann Langbein, Spanienkämpfer und Häftling im KZ Auschwitz, den ich oftmals als Zeitzeugen an diese Schule einlud, sagte zu mir einmal den bemerkenswerten Satz: „Die Jüdinnen und Juden, die Roma und Sinti und die behinderten Menschen wurden ermordet, weil sie geboren wurden.

 

Quellen: Meldezettel des Einwohnermeldeamtes in Villach. Tagebuch des Zigeunerlagers Lackenbach, DÖW Nr.11340. Kriminalpolizeistelle Linz, Namensverzeichnis über jene Zigeuner, die am 11. 4. 1941 von Kärnten in das Zigeuneranhaltelager Weyer eingewiesen wurden. Jan Parcer, 1993, Gedenkbuch, Die Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Josef  Nischelwitzer, Archiv der KPÖ Klagenfurt, Anzeige gegen Kriminalinspektor Karl Malle betreffend die Deportation der Kärntner Sinti. Bericht des Oberbürgermeisters von Lodz vom 2. Jänner 1942 betreffend eingegangener Meldungen übertragbarer Krankheiten. Erika Thurner, Nationalsozialismus und die Zigeuner in Österreich, Bibliothek für Zeitgeschichte Wien, D-2175. Hans Haider, 2008, Nationalsozialismus in Villach.  Gespräche mit Anna Volpe der Schwester von Mathilde Pachernik. Gespräche mit Rosa Taubmann geb. Schneeberger, Häftling in Lackenbach von 1941 bis 1945. Waltraud Häupl, Die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund, Böhlau Verlag 2006. Sterbebuch Bd. 5,  1916 bis 1961, Pfarramt Zlan.

Helge Stromberger, die Schwestern, die SS und der Tod. Helge Stromberger, Liste der Opfer der NS Euthanasie Kärnten. Mirko Hofer, Maria Gail – aus der Geschichte der einstigen Landgemeinde. Krankenakte des LKH Klagenfurt betreffend Anna Gastl. Gespräch mit Luise Ruhdorfer, Nichte von Josefine Gastl. DÖW, Datenbank zur namentlichen Erfassung der Holocaustopfer. DÖW, Theresienstädter Gedenkbuch, Prag 2005.