Das Novemberpogrom in Niederösterreich – Die Kremser Synagoge wurde schon zuvor verwüstet

1938 wurde mit dem Novemberpogrom die Vertreibung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten radikalisiert und systematisiert. Aus diesem Anlass möchten wir Geschichten der Verfolgung aus allen Bundesländern aufzeigen und in Erinnerung halten.

Das tödliche Attentat des jüdisch-polnischen Emigranten Herschel Grynszpan auf den Legationssekretär bei der Deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath war der Anlass für Gewaltexzesse gegen Jüdinnen und Juden und jüdische Einrichtungen im gesamten Deutschen Reich. Insgesamt wurden 91 Juden ermordet, 191 Synagogen zerstört und rund 7500 jüdische Geschäfte verwüstet und geplündert. 30 000 Juden wurden in Konzentrationslagern inhaftiert und fast alle jüdischen Friedhöfe verwüstet.[1]

 

Die Ereignisse rund um das Novemberpogrom 1938 in Krems

Bereits kurz nach dem Tod vom Raths in der Nacht auf den 8. November begann der Terror gegen jüdische MitbürgerInnen im gesamten Deutschen Reich. Auch in Niederösterreich erging der Befehl an die Gestapo mit Kreisleitung und Polizeibehörde die Durchführung der Pogrome zu besprechen. Für die „spontanen“ Demonstrationen wurden Richtlinien ausgegeben, die etwa den Schutz „deutschen“ Lebens und Eigentums vorschrieben. So sollten Synagogen nur dann niedergebrannt werden, wenn keine Gefahr für die Umgebung bestand. Jüdische Geschäfte sollten zerstört, aber nicht geplündert werden.[2]

 

Dieser „Vorsichtsmaßnahme“ ist es wohl zu verdanken, dass die Kremser Synagoge im Zuge der sogenannten „Reichspogromnacht“ vom 9. auf den 10. November nicht niedergebrannt wurde. Zeitzeuge Kurt Hruby merkt an, dass in Krems schon vor dem November 1938 ein „kleiner Pogrom“ stattgefunden habe, als im Zuge der „Sudetenkrise“ die Inneneinrichtung der Synagoge vollständig zerstört worden war - mit dem Argument Sudetenflüchtlinge dort unterbringen zu müssen.[3] Die Kremser Kultusgemeinde wurde dazu gezwungen, in einen Schenkungsvertrag einzuwilligen, durch den die Synagoge an die Stadt überschrieben wurde, die diese wiederum in ein Flüchtlingslager umfunktionierte.

 

Zwischen 17. und 18. September 1938 wurde das jüdische Bethaus in Krems in Anwesenheit zahlreicher Schaulustiger „geräumt“.[4] Jüdische BürgerInnen wurden von den Beteiligten gedemütigt und aufgefordert, mit Einrichtungs- und Kultgegenständen „Tempel zu hüpfen“. „Fehler“ wurden mit Tritten und Schlägen bedacht.[5]

„In Krems erhielt die SS-Standarte 52 am 10. November um vier Uhr morgens den telefonischen Auftrag aus Wien, den Juden die Fensterscheiben und Türen einzuschlagen.“[6]

 

Die 34 damals noch in Krems lebenden Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden Opfer dieser Gewaltexzesse[7]. Davon und von anderen regionalen Ereignissen rund um die Pogromnacht war in den Kremser Lokalmedien nichts zu lesen.

 

Die Landzeitung, die auch schon vor dem „Anschluss“ durch gezielte antisemitische Hetze aufgefallen war, rechtfertigte die Ausschreitungen allgemein als „verständliche“ Vergeltung.

„Spontan hat das deutsche Volk sich am Judentum in Deutschland gerächt für das Verbrechen, welches das Weltjudentum in Paris begangen hat. (…) Den spontanen Vergeltungsmaßnahmen sind die gesetzlichen, einschneidenden Maßnahmen gefolgt.[8] (aus der Landzeitung vom 16.11. 1938)

 

Die Kremser Zeitung titelte am 17.11. 1938 „Scharfe Maßnahmen gegen Juden“ und schrieb auf der Titelseite direkt und unmissverständlich:

„Die Schüsse von Paris haben ein Echo gefunden, welches sich die Täter und seine Hintermänner nicht erwartet haben. Das Verbrechen von Paris, dem ein hoffnungsvoller deutscher Diplomat zum Opfer gefallen ist, hat rasch seine Sühne gefunden, nicht allein der Täter, sondern die ganze jüdische Rasse wird daran glauben müssen.“[9] (aus der Kremser Zeitung vom 17.11. 1938)

 

Die weiteren Folgen für die jüdische Bevölkerung sind an Zynismus kaum zu überbieten. Sie mussten für den durch das Pogrom entstandenen Sachschaden selber aufkommen, eine Sondersteuer über 1,12 Mrd. Reichsmark wurde ihnen auferlegt und der Staat beschlagnahmte alle Versicherungsleistungen. Die „gesetzlichen, einschneidenden Maßnahmen“ engten die Existenzmöglichkeiten immer weiter ein, der Terror wurde unerträglich.

 

Vermutlich ab dem 13. Jh. gab es eine jüdische Gemeinde in Krems. 1940 lebten keine Jüdinnen und Juden mehr in der Stadt. Die Kremser Synagoge wurde 1978 – nachdem sie den NS Terror überstanden hatte – abgerissen. Erst 1988 fand eine erste Gedenkveranstaltung anlässlich des Novemberpogroms 1938 in Krems statt.

 

1938 begann mit dem Novemberpogrom die systematische Vertreibung, Enteignung und dann Vernichtung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Aus diesem Anlass möchten wir Geschichten der Verfolgung aus allen Bundesländern aufzeigen und in Erinnerung halten. Die Berichte stammen Großteils aus unseren Sachbüchern „Nationalsozialismus in den Bundesländern“, der Bericht über Ereignisse in Krems stammt von Gregor Kremser, _erinnern.at_-Netzwerkkoordinator Niederösterreich. Hier finden Sie die Berichte über den Novemberpogrom aus allen Bundesländern: - Link

 

 


[1] vgl. Broszat, M.; Frei, N.: Das Dritte Reich im Überblick. München 2007, S. 251

[2] vgl. Lind Christoph: Der letzte Jude hat den Tempel verlassen, Juden in Niederösterreich 1938 bis 1945 (2004), Mandelbaum Verlag, Wien, S. 36

[3] vgl. Hruby Kurt in: Streibel Robert: Plötzlich waren sie alle weg, Die Juden der „Gauhauptstadt Krems“ und ihre Mitbürger (1992, 2. Aufl.), Picus Verlag, Wien, S. 188

[4] vgl. Streibel Robert: Die Stadt Krems im Dritten Reich, Alltagschronik 1938 – 1945 (1993), Picus Verlag, Wien, S. 46

[5] vgl. Streibel Robert (1992, 2. Aufl.), S. 45

[6] Lind Ch. (2004), S. 37

[7] vgl. Hruschka Hannelore: Die Geschichte der Juden in Krems an der Donau – Von den Anfängen bis 1938 (1978), Dissertation, Universität Wien, S. 267

[8] „Deutsche Abrechnung“: Landzeitung vom 16.11. 1938, 59. Jg., S. 2 (Kremser Stadtarchiv)

[9] „Scharfe Maßnahmen gegen Juden“: Kremser Zeitung vom 17.11. 1938, 69. Jg., S. 1 (Kremser Stadtarchiv)