Kleine Zeitung,Südostseirer, 04.02.2005: "Wir haben alles miterlebt, wir waren ja neugierig"

Lokalaugenschein in St. Anna/A. mit einem Zeitzeugen an den Orten, wo ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter umkamen und ermordet wurden.

HELMUT STEINER JOHANN SCHLEICH

Viel Resonanz in der Bevölkerung gibt es in St. Anna am Aigen zur Aktion "Mobiles Erinnern". Vom Künstler Christian Gmeiner initiert, erinnert sie an zahlreichen Orten an die Todesmärsche ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges. Bereits zur Aufstellung der mobilen Skulptur am Kirchplatz waren zahlreiche Bürger gekommen. Drei Zeitzeugen berichteten über die schrecklichen Ereignisse, die ihnen in Erinnerung geblieben sind (siehe Info-Box Seite 27).

Erinnerungen geweckt

"Es sollen keine Gräben aufgerissen werden. Aber die Geschichte soll so gesehen werden, wie sie war. Das ist mir schon ein großes Anliegen, weil immer wieder im Hintergrund Dinge da waren, aber wenig offen ausgesprochen wurde", betont Bürgermeister Josef Weinhandl. Die Gedenkveranstaltung hat nicht nur bei den Bürgern Betroffenheit verursacht, sondern auch alte Erinnerungen geweckt.

Johann Weidinger ist einer von ihnen. "Wir haben alles miterlebt, wir waren Buben so im Alter von zwölf Jahren", erzählt er beim Panzergraben den die Zwangsarbeiter errichtet haben. Auf rund 40 Metern Länge ist er noch erhalten, vier Meter tief. Einer der wenigen noch erhaltenen Überreste. "Eine Menge Leute hat da gearbeitet - sicher ein paar hundert", erinnert sich Weidinger, an der Stelle, die unweit der heutigen Staatsgrenze liegt, die die Kutschenitza bildet.

Schon in der Früh wurden die ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter, die im Schul- und im Pfarrhaus unter kaum vorstellbaren Bedingungen einquartiert waren, zu den Schanzarbeiten getrieben. "Sie haben schon gewartet, ob sie etwas zu essen bekommen. Wenn es die Wachmannschaften gesehen haben, mussten sie es wegwerfen. Es wurden auch schwere Strafen angedroht", so Weidinger. Am liebsten hätten die Zwangsarbeiter Äpfel und Brot gehabt.

Was es für ein Gefühl war, die Zwangsarbeiter zu sehen? Weidinger: "Dass sie sehr arm dran sind. Und man hat sich gefragt, was das überhaupt bringen soll." Der Ort hat für ihn eine besondere Bedeutung: "Der Krieg hat hier begonnen (gemeint ist der Angriff auf Jugoslawien, Anm. d. Red.) und hier auch aufgehört."

In der Hölle
Einen Kilometer weiter standen Arbeitsbaracken. Weidinger erinnert sich, dass sich in unmittelbarer Nähe zwei Gräber befunden haben. "Wenn sie nicht mehr arbeitsfähig waren, hat man sie in den Graben gestoßen und erschossen." Weil es dort stets sehr trocken ist, heißt das Gebiet Höllgraben. Das Leiden der Zwangsarbeitern verleiht der Ortsbezeichnung eine zusätzliche Bedeutung.

Den Hügel hinauf auf einem Feld zeigt der ehemalige Baupolier, wo die sogenannte Granitbaracke stand, in der auch jüdische Zwangsarbeiter untergebracht waren. Weidinger hebt Ziegel und Bruchstücke des Fundaments hervor. Dort hat er vor 60 Jahren die verbrannten Leichen von sieben Zwangsarbeitern, Knochen und Ölfässer gesehen: "Die letzten hat man hier erschossen und verbrannt."


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Region/Bundesland
Niederösterreich