Nachkomme ehemaliger ZwangsarbeiterInnen in Krems

Ivan Pavlov aus der Ukraine besuchte erstmals den Ort an dem er geboren wurde.

Das Stalag 17B in Gneixendorf bei Krems war während des WK II das größte Kriegsgefangenenlager auf österreichischem Boden. 10.000e Gefangene waren hier inhaftiert, viele leisteten in den umliegenden Gemeinden und Höfen Zwangsarbeit. Zahlreiche Nachkommen ehemaliger Inhaftierter suchen bis heute das ehmalige Lagergelände auf. Russen, US-Amerikaner oder Franzosen kommen auf ihrer Spurensuche nach Krems. Besonders berührend ist die Geschichte von Ivan Pavlov, der erstmals im Juni 2019 seine echte Geburtsurkunde in Händen halten konnte. Herr Pavlov ist der Sohn ehemaliger Zwangsarbeiter, die sich im Raum Krems kennengelernt hatten. Bei seiner Spurensuche in Krems wurde er von dem Ehepaar Mildenberger aus Deutschland unterstützt, die auch als Übersetzer fungierten. Gregor Kremser hat die kleine Delegation durch das Stalag 17B Gelände geführt und im Kremser Stadtarchiv Fotodokumente aus dem Lager zugänglich gemacht.

 

Dazu ein Zeitungsbericht von 1970 (Übersetzung, Ehepaar Mildenberger):

Zeitungsbericht Slavonski Brod, 1970, in serbokroatisch (kyrillische Schrift), übertragen in lateinische Schrift und dann übersetzt ins Deutsche

Der Mann mit zwei Frauen

Erst nach einem Vierteljahrhundert hat der Ukrainer Ivan Pavlov seinen Vater gesehen, einen Jugoslawen.Jefrosimija Pavlovna aus der Umgebung Lviv war in diesen Tagen Gast bei der zweiten Frau ihres ersten Mannes Ivan Vlajsavljević aus dem Dorf Slatina bei Slavonski Brod. Mit Bogdan Vlajsavlević (56) aus dem Dorf Stari Slatnik bei Slavonski Brod, seiner Frau Jefrosimija Pavlovna (46) und ihrem Sohn Ivan hat das Leben grob mitgespielt. Diese drei haben sich nach der Trennung, die 24 Jahre gedauert hat, erneut in diesen Tagen getroffen. Trotzdem: Das war kein Happyend.

Als sich im Sommer 1942 Bogdan Vlajsavljević, Kriegsgefangener und Lagerinsasse des Stalag XVII in Krems (Deutschland) und Jefrosimija Pavlova (46), Ukrainerin aus der Umgebung von Lviv, trugen beide Lageruniformen. Beide auf dem Hof von Karl Ruhofer im Dorf Schenkenbrunn arbeitend, beschlossen die junge Ukrainerin und der Jugoslawe ihre beiderseitige Sympathie in eine Ehe umzuwandeln. Nach der Gefangenenregel: sie haben sich einander versprochen.

«Aus dieser Ehe wurde mir 10 Monate, bevor uns die Soldaten der Roten Armee befreit haben, am 5. Mai 1944 mein Sohn Ivan geboren», erzählt Bogdan.

Halbierte Familie

Ein Jahr später ist Bogdan mit Sohn und Frau Richtung Jugoslawien aufgebrochen.

«In der Zwischenzeit, als wir nach Österreich gekommen sind, haben sie uns getrennt – Frau und Sohn wurden in einem Sammellager für Sowjetbürger untergebracht und ich in einem Lager für Jugoslawen. Ich bin zum Kommandanten des sowjetischen Lagers gegangen und habe ihm gesagt, dass sich bei ihm meine Frau und mein Sohn befinden und dass ich sie in mein Land gerne mitnehmen möchte.

Er hat mir geantwortet, dass er nichts dagegen habe, aber dass unsre Behörden (unsre = jugoslawische. Anm. d. Übers.) das nicht erlauben würden, weil meine Frau und mein Sohn Sowjetbürger seien», erinnert sich Vlajasavljević.

Sie machten miteinander aus, dass jeder aus dem Sammellager erst in sein Land gehe, und dass dann Bogdan von Amts wegen regele, dass Frau und Sohn nach Jugoslawien kommen. Sie verabschiedeten sich und jeder ist in sein Land aufgebrochen. Bogdan hat schon an der Grenze eine Überraschung erwartet.

«An der Grenze sagten mir unsre Grenzer, dass ich ohne Probleme Frau und Sohn hätte über die Grenze nach Jugoslawien bringen können. Ich wollte zurückkehren, war aber nicht sicher, ob ich sie dort noch anträfe. Und dazu wäre eine Rückkehr in dieser Zeit sehr schwer gewesen», erzählte Bogdan.

Nach der Rückkehr in sein Land versuchte Bogdan über die sowjetische Botschaft ein Jahr lang die Einreise für Frau und Sohn zu ermöglichen. Es wurde ihm gesagt, dass er in die Sowjetunion gehen könne, aber seine Frau und sein könnten nicht nach Jugoslawien kommen. In der Zwischenzeit kamen regelmäßig Briefe sowohl in Slawonien als auch in der Ukraine an. Und plötzlich war jede Verbindung abgebrochen.

Ein Jahr später hat Bogdan erneut eine junge Frau, Smilija, aus seinem Ort geheiratet, mit der er auch drei Töchter bekommen hat. Über Ivan (sein Sohn, Anm. d. Übers.) wusste er bis vor Kurzem nichts.

Nach 24 Jahren

Kurz vor Ende 1968 bekam Bogdan Vlajsavljević aus der Westukraine den ersten Brief von seinem Sohn. Danach kam der zweite Brief und dann Ivan selbst. Die Begegnung zwischen Vater und Sohn war sehr berührend, obwohl sie sich nur schwer verständigen konnten. Vergangenes Jahr war Ivan nur vier Tage mit dem Vater zusammen.

«Es ist schwer zu beschreiben, was ich gefühlt habe, als ich mich auf die Reise vorbereitet habe und später im Zug. Diese Aufregung ist unmöglich zu beschreiben. Die Freude, dass ich endlich den Vater sähe, war vermischt mit der Angst vor meinem ersten Schritt in ein fremdes Land. Aber die Angst war schon an der Grenze verflogen, und in Jugoslawien habe ich mich sofort wie daheim gefühlt. Als ich am Bahnhof den Vater erkannte, war ich der glücklichste Mann auf der Welt», erzählt Ivan Pavlov (24), Mechaniker aus Lisec (vermutlich; nicht klar Anm. d. Übers.) in der Westukraine.

Diese erste kurze Begegnung verging wie im Traum und dann haben die jetzige Frau Bogdans, Smilija, und Bogdan die ehemalige Frau Bogdans, Ivan und seine Frau eingeladen.

Kurz vor Neujahr kamen alle: Jefrosimija Pavlova, Ivan und seine Frau Valentina.

«Als wir auf dem Weg aus der Ukraine waren, haben sich alle gewundert, wie ich mich traue auf so eine weite Reise zu gehen und dazu zu Besuch bei der Frau meines ehemaligen Mannes, aber ich bin trotzdem aufgebrochen und ich keinen Fehler gemacht, weil Smilija mich empfangen hat wie eine alte gute Freundin», sagt Jefrosinija.

Von ihr (Jefrosinija Anm. d. Übers.) haben wir erfahren, dass die Genehmigung für die Reise nach Jugoslawien trotzdem gekommen, aber in den Zeiten, als in der vom Krieg verwüsteten Ukraine kaum eine Scheibe Brot zu finden war, hätte man viel Geld für die weite Reise gebraucht. Außerdem hat ihre Mutter (Jefrosinijas Mutter Anm. d. Übers.) sie nicht gehen lassen wollen.

«Ivan habe ich gesagt, dass er dem Vater einen Brief schreibe, als im Dorf das Gerede losging, dass ich einen Sohn mit einem Deutschen habe und als alle angefangen haben, mich schief anzuschauen. Jetzt, da sie sie überzeugt sind, dass Ivans Vater Jugoslawe ist, ist alles wieder in bester Ordnung», sagt Pavlova.