Zeitzeugengespräche Henry H. Gleisner

Der gebürtige Wiener und Holocaust-Überlebende Henry H. Gleisner ist vom 24.9.-29.9.2007 in Wien und wird im Rahmen seines Wien-Besuches Zeitzeugenvorträge an Schulen halten.
Wann

24.09.2007 07:00 bis 29.09.2007 16:00 (CET / UTC200)

Bundesland

Niederösterreich

Wo

niederoesterreich

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Henry H. Gleisner

Die außergewöhnliche Überlebensgeschichte eines Wiener Juden

Am 10. September 2004 erschien ein älterer Herr am Polizeiposten in Ebensee und ersuchte, einen Verantwortlichen für die KZ-Gedenkstätte sprechen zu können. So kam der Kontakt mit Henry H. Gleisner zustande.

In zahlreichen Gesprächen mit Überlebenden des KZ Lagers Ebensee sowie älteren Ebenseerinnen und Ebenseern war immer von einem jungen Mann die Rede gewesen, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Ebensee in amerikanischer Uniform ohne Rangabzeichen eine Menge an organisatorischen Tätigkeiten zwischen den Amerikanern und der Ebenseer Gemeindevertretung sowie den befreiten Häftlingen geregelt hatte. In zeitgenössischen Berichten wird Heinz Gleisner, dessen Identität bis heute unbekannt geblieben war, als „Hans Dampf in allen Gassen“ beschrieben, der „in Ebensee überall dort auftauchte, wo etwas los war“. Im ganzen Ort war „Harry“, wie er in Anlehnung an seinen Vornamen „Heinz“ genannt wurde, bekannt.

Henry H. Gleisner erzählte Tags darauf im Zeitgeschichte Museum seine fast unglaubliche Geschichte.

Er wurde in einer jüdischen Familie 1924 im 9. Wiener Gemeindebezirk geboren. Sein Onkel hatte eine Filmproduktionsfirma in Warschau. Nach dessen Tod übernahm sein Vater die Firma und somit übersiedelte die Familie nach Warschau. Innerhalb weniger Wochen lernte er soweit Polnisch, dass er die Aufnahmsprüfung in ein Warschauer Gymnasium bestehen konnte. Dort erlernte er auch die russische Sprache. Nach dem Abitur studierte Heinz Gleisner 2 Jahre lang in Krakau, ehe die Familie kurz nach Kriegsbeginn vor der deutschen Besatzung nach Lwow (Lemberg) in den russisch besetzten Teil Polens flüchtete.

Rund 100.000 Juden flohen damals aus den deutsch besetzten Gebieten nach Lwow, sodass sich zu diesem Zeitpunkt der jüdische Bevölkerungsanteil der Stadt auf 160.000 erhöhte. Nach dem Angriff Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion geriet die Familie Gleisners ab dem 30.Juni 1941 wieder in den Einflussbereich der Nationalsozialisten.

Die Folge war die Internierung im Ghetto Lemberg. Das Ghetto wurde zwischen dem 8. November und dem 15.Dezember 1941 errichtet. Einer der heute bekanntesten Gefangenen im Ghetto Lwow war damals Simon Wiesenthal. Im März 1942 begannen die ersten Deportationen im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ in das Vernichtungslager Belzec.


Heinz Gleisners Vater konnte für ihn und einen Freund polnische Ausweise besorgen und beiden gelang die Flucht aus dem Ghetto. In Rava Ruska, heute ein ukrainischer Grenzort zu Polen, fanden beide bei einer deutschen Baufirma Beschäftigung. Unter falscher Identität, nicht einmal sein Freund und Zimmerkollege wusste den richtigen Namen und bedingt durch seine Sprachkenntnisse, die Gleisner ständig erweiterte, konnte er sich für die deutsche Firma unentbehrlich machen. Nur einmal, so Gleisner, kam es zu einer gefährlichen Situation, als er eine Vorladung bei der GESTAPO zugestellt bekam. Da ihn eine Flucht nur noch verdächtiger gemacht hätte, ging er zur Dienststelle hin. Durch geschicktes Taktieren, indem er den GESTAPO- Mann durch dauerndes Fragen und Lamentieren verärgerte und dieser ihn genervt aus dem Büro warf, entging er eine genaueren Untersuchung seiner Identität und einer möglichen Verhaftung.

Dienstreisen als Übersetzer mit seinem Vorgesetzten in der Baufirma führten Gleisner in zahlreiche deutsch besetzte Gebiete und sogar nach Italien. Dort arbeitete er auf einem deutschen Luftwaffenstützpunkt und konnte Kontakt zu den italienischen Partisanen knüpfen. Durch gezielte Hinweise seinerseits gelangen den Partisanen Sabotageakte gegen die deutsche Luftwaffe. Inzwischen hatte Gleisner auch Italienisch und Französisch gelernt.

Ab Herbst 1944 erhielt die Firma Gleisners zufällig einen Bauauftrag in Bad Ischl im Salzkammergut. Die Materialien für den Barackenbau in der „Hubhanslau“, einem Ortsteil Bad Ischls, mussten vom Bahnhof antransportiert werden. Aufgrund der kriegsbedingten Umstände wurde dieses Projekt zwar nicht mehr umgesetzt, Heinz Gleisner war jedoch trotzdem mit seinem Chef in Bad Ischl, wo er das Kriegsende erlebte. Am 7. Mai 1945 hatten die US-Einheiten in der Kaiserstadt bereits Quartier bezogen und Gleisner bot sich ihnen als Dolmetscher an. Er erhielt einen reparaturbedürftigen Mercedes und für eine seiner ersten Aufgaben fuhr er in das befreite KZ-Nebenlager Ebensee. „Die Zustände im Lager“, so Gleisner, „werde ich nie vergessen! Meine Übersetzertätigkeit bestand anfangs darin, den überlebenden Häftlingen zu erklären, dass Sie keine fettreiche Nahrung zu sich nehmen sollten, weil bereits viele dadurch gestorben waren.“

In der Folge vermittelte Gleisner als Dolmetsch zwischen den amerikanischen Einheiten und den neuen Gemeindeverantwortlichen in Ebensee und half die Nahrungsmittelversorgung für die DPs („Displaced persons“) zu organisieren.

Im Jahr 1946 avancierte er im Dienst der US-Behörden sogar zum Verwalter der früher arisierten Villa „Felicitas“, besser bekannt unter der „Schratt Villa“, deren letzter Besitzer Fritz Beda-Löhner (Librettist Lehars) war. Beda-Löhner, seine Gattin Helene und die beiden Töchter waren von den Nationalsozialisten ermordet worden. Ein Sohn Löhners, so berichtet Gleisner, war 1st Lieutenant in der US-Army und setzte ihn als Verwalter ein. Ab diesem Zeitpunkt wohnte Gleisner in der Villa.

Im Winter fungierte er sogar als Schilehrer für die US-Soldaten. Das Schifahren hatte er übrigens als Bub auf dem Ebenseer Feuerkogel gelernt, als er von Wien aus zum Schikurs ins Salzkammergut gefahren war.

Ende der 40er Jahre emigrierte Heinz Gleisner in die Nähe von Detroit in die USA. Im dortigen Holocaust Center erzählt er heute immer wieder Studenten und Schülern über sein fast unglaubliches Leben und Überleben im Holocaust. Ein- bis zweimal im Jahr reist er nach Bad Ischl. Über seine Verbindung zu Bad Ischl sprach er jedoch zum ersten Mal in Österreich.

Seine Erfahrungen wurden in der Lebenserinnerung „Defying the Fates“ publiziert: Henry H. Gleisner, Defying the Fates: The remarkable story of a Jew who survived in Nazi Europe, Published by Authorhouse, 2001 ISBN 0759696659 (Paperback 264 Seiten).