Letzte Überreste des KZ Steyr-Münichholz entfernt – verpasste Chance für lokales Erinnern?

Die letzten baulichen Überreste des Außenlagers von Mauthausen wurden am 13. August 2019 vom Eigentümer entfernt. Auf dem Gelände soll nicht, wie vom Mauthausenkomitee Steyr gefordert, ein Denkmal entstehen, der Eigentümer plant laut OÖN eine Autowaschanlage.

„Ich bin schockiert. Ich fühle mich durch solche Vorfälle in meiner vier Jahrzehnte dauernden Arbeit weit zurückgeworfen. Wenn unsere Generation einmal gestorben ist, dann wird man wahrscheinlich alles niederreißen, was an die Nazi-Verbrechen erinnert“, sagte Simon Wiesenthal 1993 anlässlich des Abrisses der letzten Baracke des KZ Steyr-Münichholz. Damals wurde die Küchenbaracke vom damaligen Eigentümer illegal abgerissen. Wie nun durch einen Bericht der OÖN bekannt wurde, wurden Mitte August 2019 auch die letzten baulichen Zeugen des KZ Steyr-Münichholz entfernt – das Fundament der ehemaligen Küchenbaracke wurde abgerissen. Laut OÖN wird auf dem Gelände eine Waschanlage für Autos errichtet.

 

Zwangsarbeit für die Waffenindustrie

Die Häftlinge des 1942 errichteten Außenlagers wurden großteils in der Rüstungsproduktion in den Steyr-Werken eingesetzt, aber auch für Straßenarbeiten der Stadt Steyr herangezogen. Die KZ-Häftlinge waren spanische Antifaschisten, Griechen, Polen, sowjetische Kriegsgefangene und Menschen aus anderen Nationen, sie waren in etwa 30 Holzbaracken untergebracht. Bis zu 150 jüdische Häftlinge waren dort interniert und erfuhren eine besonders schlechte und brutale Behandlung durch die etwa 150 SS-Wachleute. Den höchsten Häftlingsstand von über 3.000 erreichte das KZ Steyr-Münichholz im April 1945, als mehrere Todesmärsche aus anderen Zwangsarbeitslagern über Steyr nach Mauthausen führten.

Über die Bedingungen in Lager berichtete der spanische Häftling José Borras folgendes: „Nach einigen Wochen Arbeit bei der Reparatur des Eisenbahnnetzes wurde ich sehr schwach und konnte den physischen Belastungen nicht mehr standhalten. […] Bei allen gab es eine einzige Diagnose: Erschöpfung wegen Unterernährung. Alle, die in den Lazarettblock gebracht wurden, waren zum langsamen Tod verurteilt. Ein Krematorium gab es nicht im Lager. Jeden Tag wurden Leichen weggebracht, aber es war nicht bekannt, wohin diese gebracht wurden.“ Dieser und weitere Zeitzeugenberichte sind auf der Website des Mauthausenkomitees Steyr abzurufen: - Link

Die genaue Anzahl der Toten des KZ Steyr-Münichholz lässt sich schwer eruieren, da die meisten der durch die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen erkrankten KZ-Häftlinge ins Stammlager nach Mauthausen überstellt worden waren und dort starben. An die 300 Häftlinge starben in Steyr, die Toten wurden im städtischen Krematorium von Steyr verbrannt. Das Lager wurde am 5. Mai 1945 von Truppen der US Army befreit.

 

Kein Denkmal – unsichtbare Geschichte

Zivilgesellschaftliche Initiativen wie das Mauthausenkomitee Steyr forderten schon Anfang der 1990er Jahre die Errichtung eines Denkmals am Ort des ehemaligen Lagers. Dazu kam es nie. Bereits seit 1946 steht an der Bundesstraße ein Gedenkstein der französischen Amicale, der an die französischen Opfer des KZ Steyr-Münichholz erinnert. Ein weiterer Gedenkstein für die Opfer befindet sich am Urnenfriedhof Steyr.

 

Verpasste pädagogische Chance?

Ein Denkmal und eine Sichtbarmachung der Geschichte des KZ Steyr-Münichholz und seiner Opfer am historischen Ort wäre eine pädagogische Bereicherung. Würde dies doch SchülerInnen vermitteln, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht weit entfernt stattfanden, sondern in unmittelbarer Nähe ihrer Wohn- und Schulumgebung. Die Herstellung von regionalen Bezügen zur „großen Geschichte“ des Nationalsozialismus und des Holocaust bietet zahlreiche Chancen in der Vermittlungsarbeit. SchülerInnen können dadurch leichter Verknüpfungen zu ihrer Lebenswelt herstellen.

Doch auch ohne sichtbare Spuren des KZ Steyr-Münichholz lässt sich die Geschichte vor Ort adäquat vermitteln: PädagogInnen könnten SchülerInnen etwa historische Dokumente wie Fotos des Außenlagers zeigen, mit Zeitzeugenberichten arbeiten sowie den Abriss selbst zum Thema machen und mit SchülerInnen diskutieren, was für sie eine angemessene Erinnerungskultur wäre. Dazu könnten LehrerInnen beispielsweise Zeitungsartikel über den Abriss ausgeben und die diversen Positionen diskutieren. Darüber hinaus steht als Gedenkort, an dem die Geschichte des KZ Steyr-Münichholz dargestellt wird, natürlich der „Stollen der Erinnerung“ beim Museum Arbeitswelt in Steyr zur Verfügung.

 

Regionale Quellen und kontroverse Debatten

SchülerInnen verfügen bereits über historisches Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus und über den Holocaust, bevor sie im Schulunterricht damit konfrontiert werden. Quellen dieses Wissens sind familiäre Überlieferungen, regionale Geschichtsnarrative oder popkulturelle Produktionen.

Ein wesentliches Ziel von Geschichtsunterricht muss es sein, dieses vorgängige Wissen und die vorhandenen Haltungen offen zu legen und besprechbar zu machen, will er nicht als steriles Konstrukt getrennt vom tatsächlichen kommunikativen Gedächtnis der Lernenden relativ unbedeutend bleiben. Die Generation der Lernenden setzt sich in Beziehung zur Geschichte und Geschichtsunterricht kann diesen Prozess reflexiv begleiten. Dazu ist es notwendig, das Wissen, die damit verbundenen Emotionen und Werthaltungen der Lernenden ernst zu nehmen und sie nicht abzuqualifizieren.

 

Arbeitsvorschlag zur Arbeit mit Textquellen, historischen Fotos (und Quellen anderer Art):

SchülerInnen sollen - bevorzugt in Arbeitsgruppen - selber die Quellen befragen und die von ihnen formulierten Fragen zu beantworten versuchen. Dieser Vorschlag versucht das Wissen und die Fragen, die bei den SchülerInnen vorhanden sind, für den Geschichtsunterricht fruchtbar zu machen. Die Lehrerin/der Lehrer gibt Hilfestellung bei der Kontextualisierung und organisiert den Austausch sowie die Sicherung der Ergebnisse.

 

Arbeitsschritte:

- Schüler/innen befragen die Quellen und halten ihre Fragen an die Quellen sowie die Aussagen der Quellen fest.

- Welche zusätzlichen Informationen benötigen sie, um die Quellen verstehen zu können?

-  Schüler/innen können ausgehend von diesen Quellen und mit der Hilfe von Büchern (z.B. aus der erinnern.at-Sachbuchreihe „Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern“) eine kurze regionale Geschichte eines Lagers, des Mordes an behinderten Menschen, der Verfolgung von Jüdinnen und Juden, des Widerstands oder des regionalen Nationalsozialismus schreiben.

 

 

 

Links

Bericht der OÖN: - Link

ORF Science Bericht: - Link

MKÖ Steyr über das Außenlager Steyr-Münichholz: - Link

Sachbuch „Nationalsozialismus in Oberösterreich“. Aus der _erinnern.at_-Sachbuchreihe „Nationalsozialismus in den Bundesländern“: - Link