Bericht zum 32. Israel-Seminar

Das 32. Seminar in Israel, eine wichtige inhaltliche Säule des Lehrgangs "Pädagogik an Gedächtnisorten“ der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich in Kooperation mit _erinnern.at_, fand unter Leitung von Dr.in Irmgard Bibermann und Dr. Wolfgang Gasser vom Samstag, 07. Juli bis Freitag, 20. Juli 2018 statt.

 

Lehren über und lernen aus dem Holocaust in Israel

Im Sommer zwischen den beiden Lehrgangssemestern besuchten 21 TeilnehmerInnen Israel. Ein Großteil von ihnen arbeitet als LehrerInnen in unterschiedlichen Schularten, zwei von ihnen sind als Vermittler und als pädagogische sowie wissenschaftliche Mitarbeiter an Gedenkstätten tätig. Das Seminar wird von _erinnern.at_ organisiert und bietet zwei intensive Fortbildungswochen an der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem und im Center for Humanistic Education in Lohamei Hagetaot.

Wenn die TeilnehmerInnen der Lehrgangsgruppe nach Israel kommen, liegt bereits ein intensives Semester hinter ihnen, in dessen Verlauf sie ihr Wissen zu Geschichte und Gedächtnis der NS-Zeit in Österreich vertieft und verschiedene Gedächtnisorte besucht haben. Während des Seminars in Israel, lernen die TeilnehmerInnen mit Yad Vashem und Lohamei HaGetaot die wichtigsten Gedenkstätten vor Ort kennen, erhalten Einblicke in historische wie aktuelle Aspekte der israelischen Erinnerungskultur und werden in unterschiedliche Konzepte von „Teaching the Holocaust“ eingeführt.

Die Seminargruppe hatte neben fundierten Vorkenntnissen auch viele Fragen mit im Gepäck: Wie soll im 21. Jahrhundert der Holocaust unterrichtet werden, wenn der transgenerationelle Zusammenhang mit den Ereignissen verschwindet und der Prozentsatz von SchülerInnen mit migrantischem Hintergrund zunimmt? Was soll über dieses Thema gelehrt werden? Wie kann die Frage nach Verantwortlichkeit für den Holocaust und damit auch das Thema „Handlungsspielräume“ angemessen behandelt werden?

Eine zentrale Erfahrung aus früheren Israelseminaren hat sich auch dieses Mal wieder bestätigt: Die Veränderung der Perspektive, die durch den Wechsel aus einer Tätergesellschaft in die Opfergesellschaft passiert, initiiert und fördert Nachdenkprozesse und führt zu neuen Erkenntnissen. Bildung geschieht während des Israelseminars in vielfältigen Begegnungen, in unterschiedlichsten Lernsettings und Kontexten. In Vorträgen, Workshops, Diskussionen und Gesprächen treffen die TeilnehmerInnen auf WissenschaftlerInnen, PädagogInnen, Jugendliche und ZeitzeugInnen. Sie erhalten Anteil an deren Wissen und Erfahrungen und bringen sich ihrerseits mit Kenntnissen, Standpunkten und Fragen ein. Die Seminarorte Yad Vashem in Jerusalem und Lohamei Hagetaot in Akko unterscheiden sich nicht nur durch ihre geopolitische Lage, sondern auch durch ihre methodisch-didaktischen Zugänge zur Holocaust Education. Beiden Institutionen gemeinsam ist jedoch das große Engagement bei der Suche nach wirksamen Vermittlungswegen und das echte Interesse an einem lebendigen Austausch mit den österreichischen Seminargruppen von _erinnern.at_.

 

ZeitzeugInnen und Vertreter der Zweiten Generation

Die Begegnungen mit den ZeitzeugInen beim gemeinsamen Essen mit den AltösterreicherInnen in Tel Aviv und Jerusalem werden von den Teilnehmenden stets als etwas Besonderes angesehen. Denn sie treffen dabei auf Menschen, wie z.B. Zwi Nigal oder Amnon Bertolt Klein, die sich noch immer gewandt in der einstigen Muttersprache ausdrücken können, obwohl sie Österreich als Kinder oder Jugendliche verlassen mussten, um dem Holocaust zu entkommen, und die trotz traumatischer Erfahrungen aktive und erfolgreiche GestalterInnen ihres Lebens geworden sind. Dass viele von ihnen auch bereit sind, ihre Erinnerungen mit den österreichischen Gästen zu teilen, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Entgegenkommen, ein Geschenk.

Auch die Begegnung mit Michael Kichka, dem Sohn eines belgischen Holocaust-Überlebenden, beeindruckte die Gruppenmitglieder. In der Graphic Novel „Second Generation – Things I never told to my father“ verarbeitet der Künstler auch schmerzliche Punkte in seiner Biografie und gibt einen persönlichen Einblick in die Beziehung zu seinem Vater Henri, der 1942 wegen seiner jüdischen Herkunft nach Ausschwitz deportiert wurde und dort miterleben musste, wie seine gesamte Familie von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Über die Erzählungen von Kichka wird erfahrbar und damit ein Stück weit nachvollziehbar, welche Auswirkungen der Holocaust für die Kinder von Überlebenden hatte.

 

Führungen, Exkursionen

Bei Führungen durch die Altstadt von Jerusalem und bei der Bauhaustour in Tel Aviv sowie der Exkursion in den Norden erhielt die Gruppe Einblicke in die Geschichte, Gesellschaft und Politik Israels: die Bedeutung Israels für Judentum, Islam, Christentum, die Herausforderungen einer multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft, die geopolitische Bedeutung des Golan, die libanesisch sowie die syrisch israelischen Beziehungen, die Sonderstellung der Drusen, die Kibbuzbewegung, die Siedlerproblematik, die Schwierigkeiten im jüdisch arabischen Zusammenleben. Diese Eindrücke sowie alltägliche Kontakte mit den dort lebenden Menschen erweitern den Blick auf ein Land, das in Österreich meist nur im Zusammenhang mit militärischen Konflikten und den sehr oft reißerischen Medienberichten wahrgenommen wird.

 

Ausblick

Nach diesen zwei intensiven und herausfordernden Seminarwochen werden die TeilnehmerInnen die neu erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen in die Durchführung von Praxisprojekten in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern einfließen lassen. Sie sind für das zweite Semester des Lehrgangs bestens gerüstet, in dem grundlegende pädagogische Fragen zu Gedächtnisorten und konkrete didaktische Möglichkeiten theoretisch und praktisch behandelt werden.

Ein Bericht von Irmgard Bibermann und Wolfgang Gassner.

 

Stimmen aus der Seminargruppe

„Anfangs war ich skeptisch. Ich hatte große Bedenken, ob dieser alte, gebrechliche Mann die Dauer seines Vortrags überhaupt durchsteht. Aber er hat durchgehalten und wie er durchgehalten hat! „Selten hat mich ein Vortrag so gefesselt, wie jener von Jehuda Bauer. Ich bin begeistert, auf welch anschauliche und leicht verständliche Art und Weise er Geschichte vermittelt. Durch unzählige Beispiele, Anekdoten, Geschichten, und sogar Witze gelingt es ihm aktuelle Probleme und Entwicklungen nachvollziehbar zu machen, ohne dabei jemals den roten Faden zu verlieren. (…) Seine unterhaltsame Art der Geschichtsvermittlung nehme ich mir für meinen Unterricht mit. Wir müssen mit den Schülerinnen und Schülern klar sprechen und Dinge beim Namen nennen. So kann man die Geschichte für junge Menschen greifbar machen und sie für das Fach begeistern.“

In der Universitätsbibliothek am Skopusberg: „Nach und nach nehme ich Bücher aus den Regalen. In den Büchern ist ihre Provenienz festgehalten und zusätzlich finden sich „Ex Libris“ in verschiedenen Sprachen. Jedes Buch hier erzählt eine eigene Geschichte von Vertreibung, Flucht und Migration nach Israel. Ich bleibe zu lange.“

„In einem Tel Aviver Lokal treffen wir Mitglieder des „Clubs der ehemaligen Österreicher“ zu einer Begegnung und zum gemeinsamen Essen. Ich sitze an einem Tisch mit Zvi Nigal, geboren 1923 als Hermann Heinz Engel in Wien. Er ist also 95 Jahre alt, sieht aber mindestens 10 Jahre jünger aus und wirkt geistig und körperlich erstaunlich fit.
Er erzählt uns seine Geschichte vom Aufwachsen in Wien, vom Zusammenbruch der Alltagsnormalität, der Flucht nach Israel, der Zeit als Soldat im englischen Heer.
Die Begegnung mit diesem Mann hat mich sehr berührt. Immer wieder muss ich daran denken, dass er 5 Jahre älter als meine Mutter ist, in der gleichen Stadt aufgewachsen und sein Leben so völlig anders verlaufen ist.“

„Dann gab es das Treffen mit dem Klub der AltösterreicherInnen in Jerusalem. (…) Beim Treffen hat mich vor allem die Frau (…), die von ihrer Rettung durch einen Kindertransport nach England erzählte, sehr beeindruckt, getrennt von den Eltern, die Eltern überlebten, sie sahen sich nach dem Krieg wieder, sie erkannte die Mutter nicht (war bei der Trennung sehr jung) und konnte am Anfang nicht mit ihr sprechen, (…) das ging mir sehr nahe.“

„Eine friedliche Busfahrt auf den Golanhöhen – am Straßenrand Schilder, die mit ‚Achtung, Minen!‘ auf die schwierige politische Situation, in der sich Israel befindet, aufmerksam machen. Der Blick vom Aussichtspunkt auf die Pufferzone zu Syrien: Sonnenschein, ein nettes Café, Touristen, die Fotos machen, während man in ein Land blickt, in dem Krieg herrscht und Menschen um ihr Leben kämpfen. Der Gedanke daran war mehr als bedrückend, denn der Blick dorthin machte die täglichen „News“ plötzlich real: Für einen kurzen Moment waren (…) sie sichtbar, hörbar, spürbar.“

„(Wir trafen) zwei israelische Jugendliche, die über ihre Erfahrungen im „graduate programme“ des Centre for Humanistic Education in Lohamei Hageatot sprechen. Sie hat dabei etwas über den Holocaust, er über die Nagba gelernt. Eine junge Palästinenserin, deren Traum es ist, Medizin zu studieren und ein Jude, der, bevor er ein Studium in Erwägung ziehen kann, noch drei Jahre Militärdienst vor sich hat. Beide sehr gebildet (…) und – wie so selten in diesem Land – im DIALOG miteinander.“

„Hier also in Lohamei Hagetaot lernen die Schüler und Jugendlichen fürs Leben (…): Hier wird Demokratie nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt. Werte wie Toleranz, respektvoller Umgang, Übernehmen von Verantwortung werden hier nicht nur gelehrt, sondern sind spürbar. (…) hier wird eine Vision gelebt.“

„Ich habe sowohl an Erfahrung als auch an Erkenntnissen gewonnen, gleichzeitig sind es aber nicht weniger, sondern mehr Fragen geworden. Zu meinen Gefühlen kann ich sagen, dass ich wirklich froh bin, diese Möglichkeit bekommen zu haben und dass ich an dieser Reise teilnehmen konnte.“

Reflexionen eines Teilnehmers zur Begegnung mit Mitgliedern des „Clubs der ehemaligen Österreicher“: - Link