Die Attentate in Paris und Kopenhagen wollen Hass erzeugen.

Anteilnahme, Solidarität, Analyse - darum geht es. Anteilnahme mit den in Paris und Kopenhagen Getöteten; Solidarität mit den europäischen Jüdinnen und Juden; Analyse der Bedeutung der Attentate für Europa.

Fundamentalist terror is by no means a tool of the poor against the rich, of the Third World against the West, of people against capitalism. It is not a legitimate response that can be supported by the progressive forces of the world. Its main target is the internal democratic opposition to [its] theocratic project . . . of controlling all aspects of society in the name of religion . . . When fundamentalists come to power, they silence people; they physically eliminate dissidents and they lock women “in their place,” which, as we know from experience, ends up being a strait jacket.

Statement of Women Living Under Muslim Laws (WLUML) at the 2005 World Social Forum in Porto Alegre. Zit. nach Michael Walzer, Islamism and the Left. In: Dissent, Winter 2015 - link

(Fundamentalistischer Terror ist auf gar keinen Fall ein Instrument der Armen gegen die Reichen, der Dritten Welt gegen den Westen, des Volkes gegen den Kapitalismus. Er ist keine legitime Antwort, die durch die progressiven Kräfte unterstützt werden kann. Er zielt hauptsächlich auf die interne demokratische Opposition zu seinem theokratischen Projekt ... auf die Kontrolle aller Aspekte einer Gesellschaft im Namen der Religion ... Wenn Fundamentalisten die Macht übernehmen, bringen sie die Menschen zum Schweigen; sie eliminieren die Dissidenten im physischen Sinn und sie zwingen Frauen "auf ihren Platz", was, wie wir aus Erfahrung wissen, sich als Zwangsjacke herausstellt.)

 

Was haben die Attentate von Paris und Kopenhagen gemeinsam?

In beiden Fällen waren die Mörder junge muslimische Männer, die in Frankreich bzw. Dänemark aufwuchsen, und in beiden Fällen zielten sie auf Jüdinnen und Juden sowie auf religionskritische Karikaturisten. Auf die Zeichner deshalb, weil deren Werke als Herabwürdigung der Religion verstanden wurden. Doch warum ermordeten sie auch noch französische und dänische Jüdinnen und Juden?

Das hat mit den Bildern zu tun, die sie von Juden haben. Bilder von einem "Judentum", das mit Weltherrschaft und mit Unterdrückung der Muslime, mit Israel und der Bedrückung der Palästinenser, kurz: mit den Phantasien eines ohnmächtigen Ausgeliefertseins gegenüber einem allmächtigem "Weltjudentum" zu tun haben. Das ist eben Antisemitismus.

Doch warum sind gerade muslimische junge Männer die Täter? Da werden einerseits die persönlichen Erfahrungen der jungen Männer angeführt, ihre soziale Lage, die Abwertung, Diskriminierung und Marginalisierung. Doch ist genauso die Frage zu stellen, welche Rolle das Reden und Denken innerhalb der muslimischen Milieus spielt.

Wenn gerade im Zusammenhang mit den Attentaten davor gewarnt wird, alle europäischen Muslime und den Islam als solchen dafür verantwortlich zu machen, so ist auch die Frage zu stellen, ob es nicht innerhalb der islamischen Theologie und Tradition sowie innerhalb der muslimischen Gemeinschaften Positionen bzw. Denkvorstellungen gibt, auf die sich junge Männer berufen können, wenn sie sich radikalisieren und im Extremfall zur Waffe greifen.

Der Islam gehört zur Europa - doch welcher Islam das sein kann und sein soll, darüber gilt es weiter zu diskutieren.

Kenan Güngör, Soziologe und Integrationsexperte in Wien, spricht in einem Interview mit der Tageszeitung "Der Standard" vom 17.2.2015 "über die islamische Radikalisierung junger religiöser Analphabeten und die dem Koran immanente Gewalttheologie". - link

Amer Albayati, Präsident der Initiative Liberaler Muslime Österreichs, beschäftigt sich in der Tageszeitung "Die Presse" vom 17.2.2015 mit der Frage, "warum der Antisemitismus unter Europas Muslimen zu ausgeprägt ist". - link

 

"Je suis Juif" - Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in Frankreich

Wie reagieren die Jüdinnen und Juden in Frankreich auf die jüngsten Terroranschläge? "Frankreichs Juden sind vorsichtig, aber nicht verängstigt", schreibt das jüdische Wochenmagazin "Tachles" - link

 

"Je suis Charlie" - nur Kultivierung des medialen Beleidigtseins?

Jacques Picard, Professor für Jüdische Geschichte in Basel hat dazu eine pointierte Position:

"Hingegen erreicht man mit dem an Herdentrieb gemahnenden «Je suis Charlie» solche Ziele kaum, sind sie doch nur ein Vexierbild – «Je suis Mohammed» – der Kultivierung des medialen Beleidigtseins, das alsdann in die Gewalt hinein gesteigert wird. Was dies uns anzeigt sind die sozialen Ängste, die aus verständlichen Verlusten an Zukunftschancen entstehen. Die einfältige Plattheit der Hebdo-Karikaturen, denen jeder tiefergründige Witz und jede doppelbödige ­Ironie mangelt, tragen zu deren Verwischung ­bestens bei. Sie beflügeln die Reaktionen 
fundamentalistischer Ideologien religiöser und politischer Provenienz, die von neuem Anlass finden, sich in der Öffentlichkeit und an institutionellen Einrichtungen – mithin bis in den Alltag von Schulen – propagandistisch und provozierend breitzumachen. Das wechselseitige globale Borderline-Spiel dient der gegenseitigen Erregungsbewirtschaftung und spielt leider den falschen Propheten und Profiteuren des Schreckens in den Redaktions- wie Gebetsstuben in die Hände."
Aus: "Tachles, das jüdische Wochenmagazin", 23.1.2015. Den ganzen Artikel lesen - link

 

Iconic-turn

"Die Unbeherrschbarkeit des Bildes: Das Amateurvideo vom schockierenden Attentat in Paris wird die europäische Wahrnehmung des islamistischen Terrors für immer verändern.

(...)

Die maskierten Attentäter steigen aus ihrem Fluchtauto auf die Straße und gehen auf einen Polizisten zu, der sich angeschossen und wehrlos auf dem Gehsteig windet. Er hebt hilflos die Hand, einer der Attentäter setzt das Gewehr an und schießt ihm in den Kopf.  Diese Bilder, die uns direkt nach der entsetzlichen Tat erreicht haben, werden wohl fortan nicht mehr aus dem Gedächtnis zu löschen sein.

(...)

Noch weiß niemand, wie Frankreich, wie Europa auf dieses Attentat reagieren wird. Welche Folgen es für die innerstaatliche Sicherheit haben wird, für die Ängste einer europäischen Bevölkerung, die sich ohnehin schon in der aufgeheizten Diskussion um den Islam entladen, der so oft und fahrlässig mit Islamismus und dessen Gräueltaten verwechselt wird. Es dürfte indes feststehen, dass diese Bilder unsere Wahrnehmung verändern werden: Sie markieren den Iconic Turn des Islamismus in Europa, so wie die Fernsehaufnahmen der brennenden Twintowers in New York die globale Dimension des Terrorismus auf ewig in ein Motiv bannten."

David Hugendick in "Zeit-Online", 8.1.2015

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Nicht das christliche Abendland, die plurale Gesellschaft ist in Gefahr

Was haben die französischen Täter von Paris, der Norweger Anders Breivik und Uwe Mundlos vom nationalsozialistischen Untergrund in Deutschland gemeinsam? Hanno Löwy, der Direktor des jüdischen Museums in Hohenems, meint: Größenwahn, Reinheitsphantasien und Paranoia. "Nicht das christliche Abendland ist in Gefahr, sondern die plurale Gesellschaft und Achtung vor dem anderen." Sein Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten vom 12. Jänner 2015 ist Plädoyer dafür, die Extremisten nicht vom Terror profitieren zu lassen:

 

Hanno Löwy: Gespenst geht um in Europa

Ein Gespenst geht um in Europa. Es heißt „Islamisierung“. Es weckt alle Arten von Fantasien, und es gibt eine reale Bedrohung. Schauen wir sie uns an.

In Paris richten zwei junge Männer im Namen Gottes und „seines“ Propheten ein Blutbad an und töten ein Dutzend Mitarbeiter einer linken satirischen Zeitung, die mit bissigem Humor schon immer Rassismus und Islamismus, christliche Bigotterie und israelische Besatzungspolitik, korrupte Politiker und europäische Bürokraten bloßgestellt hat, vor deren Karikaturen weder Jesus noch Mohammed, weder Moses noch Buddha sicher sein konnten. Ein Komplize der Verbrecher ermordet gleich noch ein paar fromme Juden, die nur eben mal kosher einkaufen wollten. In Oslo, nur wenige Jahre ist es her, richtet ein junger Mann im Namen des norwegischen Volkes und der weißen Rasse ein Blutbad an und tötet 77 junge Menschen, die gemeinsam ein sozialdemokratisches Multikulti-Fest feiern wollen. In Deutschland töten junge Männer über Jahre hinweg beliebig herausgegriffene türkische Ladenbesitzer, weil die nicht da sind, wo sie „hingehören“, also in der Türkei. Die Polizei schaut zu und wundert sich über so viel „Bandenkriminalität“ im türkischen Milieu. Beim Attentat in Brüssel sterben gemeinsam ein belgischer Muslim, ein israelisches Pärchen und eine französische Frau.

Was haben die Täter gemeinsam, die es da offenbar auf alle jene abgesehen haben, die nicht eindeutig zugeordnet werden können, die am falschen Platz sind, die Grenzen in Frage stellen, die mit respektlosem Humor auch vor „Heiligem“ nicht Halt machen? Was haben die Brüder Kouachi und Anders Breivik, Mehdi Nemouche und Uwe Mundlos gemeinsam? Junge Männer zu sein, deren Allmachtsfantasien irgendwie aus dem Ruder gelaufen sind? Warum denkt kaum jemand einmal ernsthaft darüber nach? Ihr Größenwahn geht mit einer grassierenden Paranoia einher, die Wahlen gewinnen kann. Größenwahn, Reinheitsfantasien und Paranoia, sie suchen ihre Opfer da, wo die Vernunft zu Hause ist. Nicht das „christliche Abendland“ ist in Gefahr, sondern die plurale Gesellschaft und die Achtung vor dem Anderen.

Wenn der Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union in Deutschland, Bekir Alboga, nun deutlicher wird als je zuvor, dann hat es damit zu tun, dass immer mehr Muslime in Europa erkennen, dass sich der Angriff der Gotteskrieger nicht zuletzt gegen ihre Freiheit richtet, ihre Freiheit, Europäer und Muslime zu sein. „Heute wurde nicht unser Prophet gerächt, sondern unser Glaube verraten und unsere muslimischen Werte in den tiefsten Dreck gezogen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Demagogen und Extremisten, von welcher Seite auch immer, Vorteile aus diesem Attentat ziehen. Wir sollten wieder sagen, dass die Meinungs- und Pressefreiheit ein großes Geschenk ist.“

Marine Le Pen und ihre Freunde, ob in Wien in Lauerstellung, ob in Budapest oder Moskau an der Macht, sie hätten „Charlie Hebdo“ schon lange verboten und ihre Karikaturisten vor Gericht gezerrt. Nun wundert sie sich, nicht als Ehrengast zur Trauerfeier eingeladen zu sein. Ihr Rezept gegen die Gewalt: die Todesstrafe (für Selbstmordattentäter?). Die Anhänger von Pegida werden langsam ungeduldig: Immer nur reden, was soll das bringen? Zwei Tage vor Weihnachten wurde in Dresden ein fünfzehnjähriges Mädchen (eine junge Alevitin) von Pegida-Anhängern nach der Kundgebung unter dem Beifall von Passanten in einem Einkaufszentrum verprügelt. Ihr Vergehen: Sie wollte ihre Weihnachtseinkäufe tätigen. In Paris mehren sich nun wieder Angriffe auf Moscheen. Pegida möchte auch in Wien marschieren. So sieht sie aus, die „Islamisierung des Abendlandes“.

(VN, 12.1.2015)

 

Internationale Schule für Holocaust-Studien (ISHS) -  E-Newsletter (Jänner 2015) für die deutschsprachigen Länder: Der Diskurs über die Shoah in arabisch und muslimisch geprägten Communities - link

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