Salzburger Bücherverbrennung 1938 – Interview anlässlich des Jahrestages am 30. April 2020

Am 30. April 2020 jährt sich die nationalsozialistische Bücherverbrennung am Salzburger Residenzplatz zum 82. Mal. Robert Obermair, Historiker und Netzwerk-Koordinator von _erinnern.at_ Salzburg, spricht in einem Interview über die Hintergründe, über die Erinnerung an die Bücherverbrennung und über das Gedenken an NS-Opfer und Orte des NS-Terrors im Allgemeinen.

 

Einführung

Bücherverbrennungen, wie sie 1933 in Deutschland und 1938 in Österreich an vielen Orten durchgeführt wurden, basierten auf einer langen Tradition des öffentlich-rituellen Büchermordes mit der Intention, liberale und aufgeklärte Ideen dauerhaft zu bannen und zu vernichten.

Das Ziel der Nationalsozialist_innen war, das literaturkommunikative Feld als Ganzes im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie zur kontrollieren und zu zensieren. Die rigoros umgesetzten Maßnahmen betrafen die Literatur- und Kulturschaffenden selbst als auch ihre Texte, die medialen Vermittlungsinstanzen wie Verlage, Buchhandlungen, Büchereien, Zeitungen, Radio etc. „Es ging um die Zerstörung einer freien, in Maßen selbstbestimmten Kultur, die als dekadente Zivilisation gebrandmarkt wurde.“ (Karl Müller)

Die Bücherverbrennung am 30. April 1938 im Zentrum von Salzburg war zwar die öffentlich wirksamste, aber nicht die einzige in Österreich. Auch an zwei Kärntner Gymnasien kam es beispielsweise zu rituellen Bücherverbrennungen und im Salzburger Thalgau war es ebenfalls ein Lehrer, der die Initiative zur Vernichtung der „schändlichen Literatur“ der Thalgauer Gemeindebibliothek im Zuge einer Wintersonnenwendefeier am 21. Dezember 1938 ergriff.

Nennenswerte Initiativen zur Erinnerung an die Bücherverbrennung in Salzburg erfolgten erst in den 1980er Jahren, mittlerweile wird an verschiedenen Orten der Bücherverbrennung gedacht. Das Mahnmal am Residenzplatz wurde am 30. April 2018 enthüllt.

 

Historiker Robert Obermair im Interview mit _erinnern.at_:

In Nachahmung zu den Bücherverbrennungen 1933 in Deutschland kam es am 30. April 1938 in Salzburg zu einer Bücherverbrennung, nicht die einzige in Österreich, aber wohl die medial wirksamste. Der Salzburger NS-Funktionär Karl Springenschmid wählte dafür (nicht zufällig) den Residenzplatz aus. Warum dieser Ort?
Salzburg bildet hier keine Ausnahme: Auch die Bücherverbrennungen in Deutschland sind in öffentlichen Räumen als Spektakel inszeniert worden. Diese Öffentlichkeit wurde bewusst gesucht, da man – wie es Michael Wildt formuliert hat – auf diese Weise die Öffentlichkeit fundamental verändern wollte. Die Bücherverbrennung in Salzburg sollte eine für jede_n erkennbare Machtdemonstration der gerade an die Macht gekommenen Nationalsozialist_innen sein. Sie bot „alten Kämpfer_innen“, darunter allen voran Karl Springenschmid, der auf Grund seiner nationalsozialistischen Tätigkeiten 1935 aus dem Schuldienst entlassen worden war, gleichzeitig die Möglichkeit zur öffentlichen Abrechnung mit dem verhassten Vorgängerregime des Austrofaschismus.

In Salzburg hätten sich sicherlich mehrere öffentliche Plätze für eine derartige Inszenierung angeboten. Dass die Wahl dann auf den Residenzplatz fiel, überrascht allerdings nicht, denn dieser bot eine fast einzigartige Kulisse, um zwischen Dom und den beiden (fürsterzbischöflichen) Residenzen mit der katholischen Tradition Salzburgs und vor allem mit dem mit dem Katholizismus so eng verbundenen Austrofaschismus zu brechen.

 

Öffentlichkeitswirksam wurden die Bücherverbrennungen auch durch die fotografische Dokumentation und die mediale Berichterstattung. Die Salzburger Zeitung titelte Anfang Mai 1938 etwa „Imposanter Verlauf der Maifeier in Salzburg. Bücherverbrennung am Residenzplatz“. Auch hier wohl eine beabsichtigte Inszenierung?

Die bekannten und sehr professionell in Szene gesetzten Bilder der Veranstaltung sprechen eine eindrückliche Sprache. Insgesamt war die Bücherverbrennung in Salzburg als Riesenspektakel inszeniert. Man schätzt, dass bis zu 5.000 Menschen vor Ort waren. Eine ähnliche Strategie verfolgte man offensichtlich auch in der lokalen Berichterstattung. Gleichzeitig erfuhr man überregional von den Salzburger Ereignissen bemerkenswerterweise erstaunlich wenig. Den oberen NS-Instanzen war der Salzburger Exzess in diesem Stadium der Diktatur offenbar gar nicht recht. Zu provozierend, zu laut, zu primitiv – die gleichgeschaltete Presse verschwieg weitgehend, was in Salzburg passierte.

 

Den Nationalsozialist_innen ging es bei den Bücherverbrennungen um die symbolische und physische Auslöschung von Menschen, ihrer Ideen und in weiterer Folge der Erinnerung an sie. Seit wann und in welcher Form wurde und wird an die Bücherverbrennung in Salzburg erinnert?

Das war ein langer und steiniger Weg, zu dessen Erklärung ich etwas ausholen muss. Die ersten Jahrzehnte nach 1945 wurden die Ereignisse aus dem Jahr 1938 (wie in so vielen anderen Bereichen) praktisch totgeschwiegen. Erst 1987 (es wurde be­wusst vermieden, ein „Jubiläumsjahr“ zu wählen) wurde auf Einladung der „Salzburger Au­torengruppe“ zum ersten Mal in einem größeren Rahmen an die Ereignisse des Jahres 1938 erinnert. 1988 wurde dann eine Ausstellung über Bücherverbrennungen in Deutschlang gezeigt, 1993 folgte ein Symposium zur Bücherverbrennung im Literaturhaus Eizenbergerhof und 1998 eine Aktion des Münchner Künstlers Wolfram Kastner.

Erst 2006 wurde auch in der Lokalpolitik und zwar konkret im Kulturausschuss der Stadt Salzburg auf Antrag der Bürgerliste (Anm. der Stadt-Grünen) erstmals über die Errichtung eines Mahnmals zur Bücherverbrennung diskutiert. Im Jahr darauf wurde am Residenzplatz eine weitere Gedenkveranstaltung realisiert. Wieder wurde die Erinnerung in erster Linie von Initiativen aus der Zivilgesellschaft getragen. Mit dabei war zum ersten Mal auch _erinnern.at_.

Einige Jahre später wurde die Gemeindevertretung endlich doch noch aktiv: 2011 wurde eine Gedenktafel an der St. Michaels-Kirche am Residenzplatz angebracht. Ein Jahr später wurde im Innenhof der Fachbibliothek des Unipark Nonntal (und damit deutlich vom historischen Ort entfernt) das von Zoltan Pap mit Zi­taten von Erich Fried gestaltete Mahnmal „In Memoriam Bücherverbrennung“ enthüllt. Auf Grund der Lage ist dieses Mahnmal allerdings praktisch unsichtbar, da es nur durch eine Tür im Innenhof der Universitätsbibliothek zugänglich ist. 2013 fand erneut eine groß angelegte Erinnerungsveranstaltung am Residenzplatz und anderen Orten der Stadt Salzburg (organisiert von der „Initiative Frei­es Wort“ und vielen anderen Organisationen und Beteiligten) statt.

Es dauert noch einige Jahre länger, bis 2018 ein tatsächliches Mahnmal vor dem Salzburg Museum errichtet wurde. Ein im Boden versenktes „Buchskelett“ des Künstlerpaares Fatemeh Naderi und Florian Ziller erinnert seitdem an den Kulturbruch des Jahres 1938.

 

Langwierige und konfliktreiche Auseinandersetzungen kennzeichneten auch andere Errichtungen von Erinnerungszeichen an NS-Opfer in Salzburg, etwa das Antifaschismus-Mahnmal am Südtirolerplatz, das Mahnmal für die Opfer der „Euthanasie“ am Mirabellplatz, und das Roma/Romnja- und Sinti/Sintize-Denkmal am Ignaz-Rieder-Kai. Sind diese Erinnerungszeichen aus deiner Sicht am „richtigen“ Standort?

Die Frage nimmt bereits etwas Wichtiges vorweg: Es ist vor allem der Hartnäckigkeit einzelner engagierter Personen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft zu verdanken, dass viele der heute in Salzburg vorhandenen Erinnerungsorte überhaupt realisiert wurden. Dabei stießen (und stoßen) sie allerdings auf viele Hürden gerade auch seitens der Behörden bzw. (Lokal-)Politik.

Pauschal lässt sich nicht beantworten, ob alle Erinnerungszeichen an die NS-Opfer in Salzburg am „richtigen“ Standort sind. Das Denkmal für die Roma/Romnja- und Sinti/Sintize ist meines Erachtens beispielsweise am Ignaz-Rieder-Kai durchaus an einem Ort realisiert worden (wenn auch gegen Widerstände), der historischen Ansprüchen gerecht wird, es ist allerdings gleichzeitig etwas abgelegen. Beim „Euthanasie“-Mahnmal bietet sich hingegen ein ganz anderes Bild. Man kann für dieses Mahnmal zwar ins Treffen führen, dass es im Gegensatz zu vielen anderen Erinnerungsorten in Salzburg an einem stark frequentierten Ort errichtetet wurde, allerdings fehlt hier jeglicher geographischer Bezug zum Erinnerungsereignis selbst. Der logische Ort für ein derartiges Mahnmal wäre am Gelände oder zumindest im direkten Umfeld der heutigen Christian Doppler-Klinik, was allerdings von der damaligen Klinikleitung Ende der 1980er Jahre erfolgreich verhindert wurde (immerhin wurde eine Gedenktafel an der Klinikkirche enthüllt).

Das Antifa-Mahnmal am Südtirolerplatz wiederum hätte theoretisch das Potential für beides: Einen passenden historischen Ort mit unterschiedlichen Anknüpfungspunkten (bspw. Arbeiter_Innen-Widerstand oder Deportationsknotenpunkt) und auch eine sehr frequentierte Lage vor dem Salzburger Hauptbahnhof. Allerdings wurde das Mahnmal ans Ende des Platzes verbannt und ist in seiner nicht auf den ersten Blick als Denkmal erkennbaren Form zwischen Bäumen und Fahrradständern trotz seiner Größe für fast alle Vorbeikommenden praktisch unsichtbar.

So unterschiedlich die Situation betreffend der Salzburger Erinnerungsorte also ist, kann man eines doch feststellen: Auch wenn es grundsätzlich seit den späten 1980er Jahren eine positive Entwicklung gegeben hat, indem man begonnen hat, Erinnerungsorte für verschiedenste Opfergruppen zu schaffen, sind diese Orte oft an den Rand gedrängt, versteckt oder auf Grund verschiedener Widerstände an absolut unlogischen Orten errichtet worden. Das 2018 errichtete Mahnmal an die Bücherverbrennung ist insofern schon ein Fortschritt, als es nur wenige Meter vom Originalschauplatz errichtet wurde. Allerdings wird auch hier berechtigterweise kritisiert, dass die Erinnerung erst recht wieder an den Rand des Platzes verbannt und sprichwörtlich im Boden versenkt wurde. Zu hoffen bleibt, dass zukünftige Erinnerungsorte mutiger realisiert werden.

 

Erinnerungsorte und -zeichen sind, selbst wenn an einem zentralen Ort gelegen, häufig nicht als solche (in ihrer eigentlichen Funktion) wahrnehmbar und haben sich oft nicht ins kollektive Ortsgedächtnis eingeschrieben. Werden die Gedenkorte von den Menschen in Salzburg deiner Einschätzung nach wahrgenommen? Gibt es eine kontinuierliche Gedenkpraxis an den Orten?

Tatsächliche empirische Forschungsergebnisse gibt es dazu für Salzburg meines Wissens nicht. Manche der Erinnerungsorte werden von bestimmten Personengruppen bzw. -initiativen sicher bewusster als die „ihren“ wahrgenommen, als andere. So ist das Denkmal am Ignaz-Rieder-Kai bspw. für die Salzburger Roma/Romnja und Sinti/Sintize ein wichtigerer Bezugspunkt als das Mahnmal für die Bücherverbrennung. Das Antifa-Mahnmal am Bahnhof ist trotz vielfach geäußerter Kritik auch aus antifaschistischen Kreisen ein Bezugspunkt für Antifaschist_innen, was sich nicht nur in den dort organisierten Gedenkfeiern sondern auch der Tatsache, dass das Mahnmal immer wieder auch als Start- oder Endpunkt für antifaschistische Demonstrationen genutzt wird, zeigt.

Ich vermute, dass die derzeit 441 Salzburger Stolpersteine auf Grund ihrer geographischen Streuung über verschiedenste Teile der Stadt die wohl allgemein präsentesten Erinnerungsorte sind. Bei aller berechtigter Kritik am Stolperstein-Projekt insgesamt bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass das große Potential der Stolpersteine darin liegt, wirklich deutlich zu machen, an wie vielen Orten und aus welch unterschiedlichen Gründen Menschen aus ihrem Leben gerissen wurden. Ich habe das Gefühl, das funktioniert in Salzburg recht gut. Bei Rundgängen zur NS-Geschichte mit Schulklassen, die ich und Kolleg_innen durchführen, stellt sich eigentlich immer heraus, dass fast alle Schüler_innen wissen, was die Stolpersteine sind. Sehr viele Schüler_innen können auch ganz konkret Stolpersteine in ihrer jeweiligen Nachbarschaft benennen. Das finde ich eigentlich doch recht beachtlich.

 

Anfang März 2020 wurde das 2010 errichtete Mahnmal „Niemals Vergessen“ nahe des ehemaligen Anhaltelagers Maxglan von Unbekannten zerstört. Hier wurden ab 1939 230 Roma/Romnja und Sinti/Sintize von den Nationalsozialisten interniert, zur Zwangsarbeit gezwungen und später nach Auschwitz deportiert. Rechtsextreme Zerstörungsaktionen kamen in der Vergangenheit in Salzburg immer wieder vor – was braucht es aus deiner Sicht, um diesen (neo-)faschistischen Vandalismus effektiv zu bekämpfen?

Dieser Akt der Zerstörung war schon erschreckend, wenn auch nicht überraschend. Es ist zwar zum Glück in den letzten Jahren wieder etwas ruhiger geworden als um das Jahr 2013 als es zu einer richtigen Serie an Zerstörungen kam, aber es kommt trotzdem immer wieder zu Denkmalschändungen sowohl in der Stadt Salzburg als auch im Bundesland. Ich bin nicht davon überzeugt, dass verstärkte Überwachungsmaßnahmen (das „Euthanasie“-Mahnmal wird bspw. seit seiner Renovierung videoüberwacht) der richtige Weg sind, um derartigen Vandalismus zu bekämpfen. Das Problem liegt tiefer und ist nicht mit der Ergreifung einzelner „Einzeltäter_innen“ behoben.

Ich war unlängst in eine Debatte um die Errichtung eines Erinnerungsorts für jüdische Überlebende im Pinzgau involviert, in der eine hebräische Übersetzung des geplanten deutsch- und englischsprachigen Texts des Denkmals zuerst abgelehnt wurde, da man befürchtete, dies würde Beschädigungen provozieren. Erinnerungspolitik muss meines Erachtens genau andersrum funktionieren. Die einzige angemessene Reaktion auf rechtsextreme Zerstörungsaktionen kann nur eine Intensivierung einer aktiven Gedenk- und Erinnerungspolitik sein. Es braucht mehr als bloße Lippenbekenntnisse im Rahmen von Gedenkveranstaltungen sondern eine klare Kante gegen (neo-)faschistisches Gedankengut und die daraus resultierenden Übergriffe und Denkmalschändungen. Es ist Zeit für ein mutigeres Erinnern, vor allem auch an Widerständige gegen die faschistische Herrschaft in Österreich. (Nachlese: - Link)

 

Literatur:

Karl Müller, „Fort mit dem volksfremden ,Geistesgut‘!“ Zu einigen Aspekten von Kulturvernichtung – Versuch einer Einführung. In: Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht, Michaela Wolf (Hrsg.): „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Bücherverbrennungen in der Vergangenheit, Gegenwart und in der Erinnerung, Graz 2020, S. 45-64.

 

Albert Lichtblau, Der lange Weg zum Mahnmal: die Erinnerung an die Bücherverbrennung vom 30. April 1938 in Salzburg. In: Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht, Michaela Wolf (Hrsg.): „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Bücherverbrennungen in der Vergangenheit, Gegenwart und in der Erinnerung, Graz 2020, S. 167-187.