„Schule 1938" - Gedenkveranstaltung anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktages im Grazer Landhaus

"Die selbstkritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen des eigenen Volkes und der eventuellen Beteiligung von Angehörigen der eigenen Familie kann wohl als große kulturelle Leistung verstanden werden. Dabei ist durchaus fraglich, inwieweit sich dieser reflexive und selbstkritische Umgang mit der Vergangenheit wirklich breit durchsetzen konnte. Oder blieb das nur auf eine kleine, aber lautstarke Minderheit beschränkt, die für eine Zeit die Medien, das Kulturleben und das Bildungswesen dominierte?", so Dr. Werner Dreier in seinem Impulsreferat.

Anlässlich des „Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust" lud die Präsidentin des Landtages Steiermark, Bettina Vollath am Montag, dem 29. Jänner 2018, zu einer Gedenkveranstaltung im Rahmen ihrer Initiative „Lebendige Erinnerungskultur in der Steiermark" in den Sitzungsaal des steirischen Landesparlamentes ein. Diese Gedenkveranstaltung fand nach den Jahren 2016 und 2017 bereits zum dritten Mal statt und ist eine von drei Säulen der Initiative.

Über 200 Gäste füllten an diesem Abend die Landstube des Landtages Steiermark um den Opfern des Holocaust zu gedenken und an den interessanten Impulsvorträgen von Dr. Werner Dreier und ‚Prof. Peter Gstettner sowie an der darauffolgenden Diskussion teilzuhaben.

Nach den Jahresthemen „Der Erinnerung eine Zukunft geben" (2016) und „Wie entstehen autoritäre Regimes?" (2017) ist „Schule 1938" unter Berücksichtigung des generellen Aspektes „Was will der Staat von der Schule?" das aktuelle Jahresthema der Initiative „Lebendige Erinnerungskultur in der Steiermark" und so wurde am Montagabend der Fokus auf das Schulwesen in der damaligen Zeit gelegt.

„Die jungen Menschen von heute werden in nicht allzu langer Zeit an unserer Stelle sein und die Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen. Unsere Aufgabe ist es daher, sie darauf vorzubereiten. Neben der Erziehung in der Familie ist wohl die wichtigste Lebensvorbereitung die Schule. Unter diesem Aspekt ist die Frage „was will der Staat von der Schule" - insbesondere im Kontext der geschichtlichen Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts - von eminenter Bedeutung und wurde bewusst im Gedenkjahr 2018 als Jahresthema der Initiative „Lebendige Erinnerungskultur in der Steiermark" gewählt.", betonte Landtagspräsidentin Vollath in ihren einleitenden Grußworten.

Dr. Werner Dreier, der Geschäftsführer _erinnern.at_, hielt in seinem Impulsreferat mit dem Titel „Von 1938 lernen: was, warum, wozu?" fest: „Die selbstkritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen des eigenen Volkes und der eventuellen Beteiligung von Angehörigen der eigenen Familie kann wohl als große kulturelle Leistung verstanden werden. Dabei ist durchaus fraglich, inwieweit sich dieser reflexive und selbstkritische Umgang mit der Vergangenheit wirklich breit durchsetzen konnte. Oder blieb das nur auf eine kleine, aber lautstarke Minderheit beschränkt, die für eine Zeit die Medien, das Kulturleben und das Bildungswesen dominierte?".

Über „Das Holocaustgedenken und die Wiederaneignung verschütteter Erinnerung" referierte Prof. Peter Gstettner, Universitätsprofessor und Gründer des Mauthausen Komitees Kärnten/Koroška. Ein Auszug aus seinem Referat: "Noch hundert Tage nach dem 27.1.1945, der Befreiung von Auschwitz, mordeten die Nazi-Schergen ungehindert bzw. mit Unterstützung durch einheimische Hilfskräfte in jenen Lagern und Gefängnissen weiter, die erst um den 8. Mai befreit wurden. - Die Auswirkungen des Nazi-Terrors reichten aber weit über die Befreiung hinaus. Die Überlebenden wurden in ihren Heimatländern alles andere als freudig begrüßt....".

Im Anschluss an die Impulsreferate folgte eine Gesprächsrunde mit den beiden Referenten sowie mit Pädagogin Sibyl Urbancic, welche 1937 als Tochter einer jüdischen Mutter in Graz geboren und 1938 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten nach Island emigrierte sowie dem Studenten und Mitglied des Vereins Österreichischer Auslandsdienst, Paul Ramp. Journalistin und Moderatorin Colette Schmidt führte durch diesen Abend.

„Was hat Gesinnung im schulischen Unterricht für einen Platz? Sind wir uns als Lehrende, Verantwortliche, dessen genügend bewusst, welchen enormen Anforderungen Kinder von klein auf ausgesetzt nicht nur waren, sondern auch sind, was das Zurechtfinden in unterschiedlichen, meist divergierenden Welten anbelangt? Es braucht Schulen als Ort der Entdeckung und Förderung der Eignungen und Interessen jedes Kindes. Schulen, die Schülerinnen und Schüler anregt, immer neue Fragen zu entwickeln und zu stellen. Solche Schulen können eine Neuauflage von 1938 verhindern.", betonte Sibyl Urbancic.

Paul Ramp bekräftigte in der Gesprächsrunde: "Mit der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Jänner 1945 endete der Nazi-Terror im größten und grausamsten Konzentrationslager Europas, einige Monate später war die nationalsozialistische Schreckensherrschaft am ganzen Kontinent vorüber. Heutzutage herrscht gemeinhin die Auffassung, eine solche Zeit könne nicht mehr wiederkehren. Doch mehrere Beispiele aus der jüngeren Geschichte zeigen genau das Gegenteil, weshalb es umso wichtiger ist, dass die wenigen Zeitzeugen, die heute noch am Leben sind, ihre Erinnerungen an die junge Generation weitergeben“.

Die Gedenkveranstaltung rund um den 27. Jänner ist eine Säule der Initiative „Lebendige Erinnerungskultur in der Steiermark". Ein weiterer Schwerpunkt wird auch heuer wieder die von steirischen SchülerInnen gestaltete Ausstellung im Landhaushof mit dem Thema „Was will der Staat von der Schule?" sein, welche am 7. Mai 2018 um 17:00 Uhr eröffnet wird.

Referat und Informationen

Das Impulsreferat von Dr. Dreier finden Sie in voller Länge hier: - link

Die SchülerInnen-Ausstellung wird von Gerald Lamprecht, _erinnern.at_ Steiermark, begleitet.  Informationen zur letztjährigen Ausstellung „Wie entstehen autoritäre Regimes?“ finden sie hier: - link

Weiteren Informationen zur Initiative, finden Sie auf der Website des Landtag Steiermark: - link