Österreichische Politiker: Kein Konsens auch beim Gedenken?

Kompetente Gedenkkultur bei SPÖ und Grünen. Die ÖVP-Abgeordneten sind reserviert, weniger interessiert und weisen die größten Wissenslücken auf, wissen sich aber politisch korrekt zu verhalten. FPÖ und BZÖ boykottierten die Umfrage fast zu 100%. Das sind die Ergebnisse einer Online-Umfrage der Volkshochschule Hietzing und von erinnern.at bei 600 Abgeordneten des Nationalrats, des Bundesrates und der neun Landtage.

Wie denken Österreichs Abgeordnete über die Gedenkkultur und die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus?

Die Volkshochschule Hietzing hat gemeinsam mit erinnern.at insgesamt 600 befragt, also National- und Bundesratabgeordnete und alle Abgeordneten der neun Landtagen. 30% der Abgeordneten hatten sich an der anonymen Umfrage beteiligt.

Nahezu die Hälfte der Antworten stammten von SPÖ Abgeordneten (47,8%), an zweiter Stelle liegt die ÖVP mit 27% und an dritter Stelle die Grünen mit 21,9%. Von der FPÖ antworteten nur insgesamt nur 2 Personen und vom BZÖ überhaupt nur ein Abgeordneter.

62 Nationalratabgeordnete, 17 Bundesräte und 120 Landtagsabgeordnete haben sich an der Umfrage nach dreimaliger Aufforderung beteiligt. Nach Bundesländern sind die Abgeordneten in Wien interessierter, das Gegenteil davon sind die Abgeordnete aus Kärnten. Kein einziger Bundesrat aus Kärnten und von den Landtagsabgeordneten lediglich SPÖ Abgeordnete antworteten.

Die Powerpoint Präsentation der Umfrage:

Umfrage Vergleich Parteien SP VP Grüne

 

Gedenken ist für SPÖ und Grüne ein wichtiges Thema, die eine klare Meinung dazu haben. Sie sehen auch die Konflikte dieses Themas klar und realistisch. Die ÖVP Abgeordneten sind mehr als reserviert und nur 50% sind der Meinung, dass die Erinnerung an die Opfer gepflegt werden soll.  81,3% verneinen, dass es Konflikte über das Erinnern gegeben hätte - das ist der höchste Wert. So fasst der Historiker Dr. Robert Streibel die Ergebnisse der Umfrage zusammen. Über FPÖ und BZÖ können keine Aussagen getroffen werden, da diese beiden Parteien sich nicht an der Umfrage beteiligt hatten, lediglich zwei Abgeordnete der FPÖ (Ein Nationalrat und ein Landtagsabgeordneter aus Oberösterreich) und ein Nationalrat des BZÖ füllten den Fragebogen aus. ÖVP Abgeordnete haben die größten Wissenslücken bei den Opfergruppen und das geringste Interesse an diesem Thema.  Lediglich bei den Grünen gibt es keine Differenz zwischen der Erinnerung an die Opfer allgemein und den jüdischen Opfern. Die Frage, welche Opfergruppen bislang am wenigsten Beachtung gefunden hat, zeigt ein klares gesellschaftspolitisches Profil. Einig sind sich die Parteien lediglich darin, dass der Widerstand bislang zu kurz kam, die Grünen sehen Homosexuelle, Lesben, Roma und Sinti und Deserteure als zu wenig beachtet. Die ÖVP benennt Katholiken.

 

Gedenken ist heute leichter geworden:

Im Durchschnitt meinen 55,5% dass dies zutrifft, 35,2% verneinen. Nahezu 9% haben dazu keine Meinung.

Die SPÖ Abgeordneten und die Grünen sehen die Schwierigkeiten des Gedenkens mit 45% und 39,5% stärker als alle anderen und liegen auch bei der Zustimmung unter dem Durchschnitt mit 48%. ÖVP Abgeordnete meinen zu 68%, dass das Gedenken nach 70 Jahren leichter geworden ist.

 

Die Notwendigkeit des Gedenkens ist nicht mehr vorrangig. Dies verneinten im Schnitt 89,6%. Bei der SPÖ sind es 92,9%, bei den Grünen 92,3%, der ÖVP sind es 83,3%. Der Durchschnitt liegt bei 74,2%

 

Nur 50% der ÖVP Abgeordneten sind der Meinung, dass die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus gepflegt werden sollen, der Durchschnitt liegt bei 76,5%. Bei der SPÖ sind es 87,1%. FPÖ und BZO sehen die Wichtigkeit nur bedingt und rangieren bei der Skala von 1-6 bei 4 und 5.

 

Noch geringer ist die Zustimmung bei der Frage "Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung darf nicht vergessen werden". Bei der ÖVP sind es bloß 47,9%. Der Durchschnitt liegt bei 74,2%. Bei der SPÖ sind es immerhin 83,3%. Auffallend ist, dass einzig bei den Grünen kein Unterschied zwischen der allgemeinen Frage "Die Erinnerung an die Opfer soll gepflegt werden" und der Erinnerung an die jüdischen Opfer festzustellen ist. Im Gegenteil wird die Frage nach den jüdischen Opfern als mehr als vorrangig beantwortet, während bei den anderen Parteien eine geringere Zustimmung bei den jüdischen Opfern festzustellen ist.

 

Die Erinnerungspflege als moralische Verpflichtung  findet bei allen Parteien eine hohe Zustimmung. Im Schnitt 93,4% bei der SPÖ sogar 97,5%, bei der ÖVP 89,9%. Als Teil der europäischen Erinnerungskultur sehen dies immerhin 47,9% der ÖVP und gar 66,7% der Grünen. (Im Schnitt sind es 47,5%), die SPÖ liegt bei dieser Antwortvariante mit 42% darunter. Erinnerungskultur als Teil des Staatsvertrages meinen immerhin 15,3% aller Abgeordneten, 17,5% der SPÖ und gar 23,1% der Grünen.

 

Die Frage, ob es Opfer und Ereignisse gibt, denen gedacht werden muss beantworten Abgeordnete fast aller Parteien einhellig mit ja. SPÖ, FPÖ und BZÖ zu 100%, die ÖVP lediglich mit 93,6%. Lediglich 6,3% der Abgeordneten der ÖVP meinen darüber zu wenig zu wissen.

 

Bei der Frage, an welchen Aktivitäten die Abgeordneten in der Vergangenheit beteiligt waren, fällt auf, dass die allgemeine Antwort „Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“ am häufigsten vertreten ist (im Schnitt 78,3%). Gefolgt von Ausstellung, Veranstaltungen mit ZeutzeugInnen, Denkmäler und Erinnerungszeichen.

Die Grünen sind mit Abstand bei den meisten Veranstaltungformen am häufigsten vertreten, besonders hervorstechend ist dies bei Einladung jüdischer BürgerInnen, wo der Schnitt bei 21,7% liegt, die Grünen jedoch 48,7% für sich verbuchen können. Lediglich bei Ausstellungen liegt die SPÖ vor den Grünen.

Das Gedenken findet in ihrem Wahlkreis die Zustimmung der Bevölkerung. Im Durchschnitt bejahen dies 46,7%. Die SPÖler sind sehr optimistisch 56,2% und die Grünen eher skeptisch 35,9%. Lediglich 2,9% der Grünen orten eine Ablehnung, bei den anderen Parteien ist dies zu vernachlässigen.

 

Trotz Widerständen würden nahezu 100% der Abgeordneten von SPÖ (98,8%), ÖVP (95,7%) und Grüne (100%) Aktionen setzen.

 

Bei der Frage, nach Auseinandersetzung um das Gedenken, bestätigen dies 78,6% der Grünen und lediglich 32,1% der SPÖ und 18,8% der ÖVP.

 

 

 

Wer betreibt nun Erinnerungsarbeit?

SPÖ und Grüne haben eine klare Meinung diesbezüglich und orten dies als Aufgabe der

Gemeinden (SPÖ 71,3%, Grüne 79,5%, der Schnitt liegt bei 60,8%),

überregionalen Organisationen (SPÖ 54,3%, Grüne 42,1% - Durchschnitt 43,3%),

politischen Parteien (Durchschnitt 68,1% SPÖ 77,6% und Grüne 76,9%),

Schulen (Durchschnitt 69,1% SPÖ 77,6% und Grüne 76,9%)

Erwachsenenbildung (Durchschnitt 51,5% SPÖ 54,7% und Grüne 71,8%)

Jugendorganisationen (Durchschnitt 54,7% SPÖ 68,4% und Grüne 59%)

Kirchen (Durchschnitt 49,7% SPÖ 57,7% und Grüne 51,4%).

 

Die ÖVP Abgeordneten würden zu 64,6% ideell unterstützen und dominieren damit diese Antwortkategorie (Durchschnitt 45,6%). Ideell und finanziell würden 87,2% der Grünen unterstützen, gefolgt von 68,2% SPÖ (Durchschnitt 64,8%) Die ÖVP liegt mit 43,8% damit klar unter dem Durchschnitt.

 

Welche Opfergruppen bislang zu wenig Beachtung gefunden haben, bringt ein klares gesellschaftspolitisches Bild. Für die Grünen sind dies eindeutig Homosexuelle, Lesben, Roma und Sinti, Deserteure mit jeweils Werten mehr als 70%, einig sind sich die Parteien bei den Widerstandskämpfern mit durchschnittlich mehr als 40%. Auffallend ist, dass mehr als 30% der ÖVP Abgeordneten meinen, keine Antwort geben zu können, da sie darüber zu wenig wüssten.

 

Erinnern sollte bei Wohnung und Geschäften stattfinden. Dafür haben Grüne eine eindeutige Präferenz, die SPÖ liegt mit 51,4% knapp unter dem Durchschnitt von 52,3%, während die ÖVP klar darunter 29,4% liegt. Die größte Ablehnung bei dieser Frage kommt von der ÖVP mit 14,7%. Erinnerung bei Kriegerdenkmälern zeitigt keine größeren Unterschiede zwischen den Parteien, beim Erinnerungsort Friedhofes überwiegt die ÖVP, während an zentralen Stellen die Grünen deutlich über dem Durchschnitt und die SPÖ leicht darüber liegen.

 

Mehr Information über Erinnerungskultur wünschen sich 75,7% der Grünen (Durchschnitt 59%). Wird die Verneinung dieser Frage und die Antwort „Kein Bedarf für mehr Information“ zusammengezählt, dominiert die ÖVP, deren Mandatare zu 37% keinen Bedarf an zusätzlicher Information haben.

Robert Streibel, 28. März 2008