Spurensuche: Hinter den Mauern des Vergessens

Publikation über Erinnerungskulturen und Gedenkprojekte in Österreich

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Die Spurensuche-Ausgabe „Hinter den Mauern des Vergessens“ (252 Seiten ) kostet 15,50 € zzgl. Versandspesen.

 

Editorial

Muss Erinnerung an brutale Inhumanität, menschliche Gräueltaten und vergangenes Leid Schmerz auslösen, um nachhaltig zu wirken wie der sprichwörtliche "Pfahl im Fleische", oder soll erinnerndes Gedenken primär an nüchterne Reflexion geknüpft sein, um so die komplexen zeithistorischen Zusammenhänge zu erschließen? Zweifellos eine schwierige Frage, sowohl hinsichtlich der darin enthaltenen moralisch-ethischen Implikationen als auch hinsichtlich der Aufgabe einer adäquaten Vermittlung zeithistorischer Forschungsergebnisse an eine breitere Öffentlichkeit.

Der polnische Fotograf Pawel Herzog, der sich im Rahmen des "Toleranz-  Institut in Lodz mit den Spuren des dortigen Ghettos befasst hat, berechnet in seiner Arbeit den Erkenntniswert gezielter Verfremdung mit ein, und geht davon aus, dass Gedenken zuallererst die Bereitschaft voraussetzt, sich mit den dunklen Seiten der jüngeren Vergangenheit zu konfrontieren, und zwar nicht mit der Betroffenheitsattitüde eiliger Konsumenten, sondern mit offener Neugier, Empathie und geschärftem Blick auf die gesellschaftliche Relevanz zeithistorischer Dokumente des Holocaust.

Mindestens ebenso wichtig ist für Herzog, von dem das Cover-Foto dieser Schwerpunktausgabe stammt und dessen Fotocollagen zudem die einzelnen Kapitel programmatisch einleiten, daher neben der eingehenden Betrachtung der historischen Spuren auch die kritische Reflexion und Kenntnis der historischen Sachverhalte. Im vorliegenden Fall: Erst wenn klar ist, dass es sich bei der aktuellen Fotoserie mit den in die Fenster hineinmontierten Personen um historische Aufnahmen des Fotografen Mendel Grossmann handelt, der ab 1940  Leben und Verfolgung der Menschen im Ghetto Lodz heimlich dokumentierte, wird in künstlerisch-codierter Form deutlich, dass Vergangenes hinter der Fassade der Gegenwart - wenn auch auf den ersten Blick nicht sofort sichtbar - beständig präsent ist und der kritische Dialog daher von jeder Generation aufs Neue geführt werden muss. Da sich Geschichte immer aus der Gegenwart heraus konstituiert, ist dieser Dialog, zumal die Zeitzeugen und Zeitzeuginnen des "Zivilisationsbruchs Auschwitz" (Dan Diner) allmählich aussterben, immer wieder mit neuen Fragen zu führen.

"Die Farben der Deportation" lautete der Titel eines Projektes der Volkshochschule Hietzing im Jahr 2008 in dessen Rahmen den Spuren der einstigen jüdischen Bewohner und Bewohnerinnen im Wiener Gemeindebezirk Hietzing, ihrer Vertreibung sowie ihrer Ermordung in den Konzentrationslagern nachgegangen wurde. Die Ergebnisse dieses Projektes bildeten sodann den Ausgangspunkt für eine Bestandsaufnahme österreichischer Gedenk- und Erinnerungsprojekte im Jahr 2008.

Da die Spurensuche nach den Hietzinger  NS-Opfern weit über die Grenzen Österreichs hinaus führte, finden sich auch Beiträge zur aktuellen Gedenk- und Erinnerungsprojekten an den einstigen Orten der Vernichtung.

Auf den folgenden rund 250 Seiten wird ein in der breiteren Öffentlichkeit nur wenig bekanntes Spektrum zivilgesellschaftlicher Initiativen und Projekte vorgestellt, die zum Teil seit Jahren und oft unbedankt  mit viel Engagement und persönlichem Einsatz Erinnerungsarbeit und damit politisch-zeithistorische Bildung leisten. Dass sich in Österreich der Umgang mit der NS-Vergangenheit erst vergleichsweise spät von den identitätstabilisierenden Nachkriegsmythen auf Basis der "Opfer- und Pflichterfüllungsthese" löste, dürfte mittlerweile hinlänglich bekannt sein.

Dass die offiziöse Geschichts- und Vergangenheitspolitik ab Anfang der 1990er Jahre die "dunklen Stunden" (Thomas Klestil) und die "bösen [ ... ] Seiten" (Franz Vranitzky) der österreichischen Zeitgeschichte endlich aus der kollektiven Verdrängung riss, und die Rolle Österreichs am "Zustandekommen und Funktionieren des Nationalsozialismus" (Gerhard Botz) erstmals ins Zentrum wissenschaftlicher Forschungsarbeiten rückte, kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass auch heute immer wieder  neue Mauern des Vergessens errichtet werden. Eine besondere Rolle und Funktion im Bereich des Erinnerns an die Verbrechen des Nationalsozialismus kommt dabei der Politik zu. Wie es um die Einstellung österreichischer Politiker und Politikerinnen im Hinblick auf Erinnerungs- und Gedenkkultur bestellt ist, wird hier erstmals empirisch auf Basis einer repräsentativen Umfrage analysiert. Mit der vorliegenden Schwerpunktausgabe der Spurensuche hoffen wir einen Beitrag zu weiterer kritischer Diskussion im Sinne von "Denken und Gedenken!" zu leisten.

Christian H. Stifter, Robert Streibel

Inhaltsverzeichnis

 

 

ROBERT STREIBEL

Arbeiten gegen den Tag

Denkmäler sind nur stumme Fenster

 

EVA BLlMLlNGER

Luftballons und Briefe in den Himmel

Gedenken und Erinnern als Event

 

CHRISTIAN ANGERER

Literarische Verarbeitung von KZ-Erfahrungen

 

STEPHAN GANGLBAUER

Wird gedacht? "Erinnern & Gedenken 1938-2008"

Ergebnisse zweier Online-Umfragen von .erinnern.at" und der Volkshochschule Hietzing

 

BRIGITTE BAILER

Unverzichtbar für die Erinnerung     ..

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DOW)

 

BRIGITTE BAILER / BERTRAND PERZ / HEIDEMARIE UHL

Die Österreichische Gedenkstätte in Auschwitz

 

HANNAH M. LESSING / RENATE S. MEISSNER

Projekte gegen das Vergessen

Der Beitrag des Nationalfonds zum Gedenkjahr 2008

 

HANNAH LANDSMANN

Vergangenes im Dialog mit der Gegenwart

Das jüdische Museum Wien

 

BERNHARD DENKlNGER / ULRIKE FELBER / WOLFGANG QUATEMBER / A DREAS SCHMOLLER

Lernort Ebensee. Zeitgeschichte Museum und KZ-Gedenkstätte

 

JÖRG WOLLENBERG

Die NS-Gedenkstätte Ahrensbök in Holstein

Ein moderner Lernort

 

SANDRA WIESINGER-STOCK

Die Österreichische Gesellschaft für Exilforschung

Forschung, Erinnerung, Vernetzung

 

NAD]A DANGLMAIER

Auf den Spuren des Nationalsozialismus in Klagenfurt

 

HEIMO HALBRAINER / GERALD LAMPRECHT

Die Bildungsarbeit des Vereins CLIO in Graz

Erinnern an verdrängte Zeitgeschichte

 

MARIA ECKER / PHILIPP HAYDN

Wer sehen will, muss hören

Tonspuren vom "Anschluss" und Novemberpogrom

 

CHRISTIAN GMEINER

Mobiles Erinnern

Ein transnationales Erinnerungsprojekt für die Opfer der Todesmärsche

jüdischer Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus Ungarn

 

GREGOR KREMSER

Droß, Sittendorf, Melk

Drei niederösterreichische Gedenk-Projekte

 

JOHANNA GRÜTZBAUCH

Wolkersdorf 1938 Ein Erinnerungsprojekt

 

GERHARD PAZDERKA

Hadersdorf am Kamp: Der Bürgermeister, das Mahnmal

 

GERHARD MESECK / KLAus KÖHLER

Jüdisches Leben im Bezirk Korneuburg

 

KLAUS KIENESBERGERIMICHAEL KIENESBERGER

Widerständiges im Salzkammergut

 

ULLI FUCHS

"Erinnern für die Zukunft" 1938

Ein Projekt im Wiener Gemeindebezirk Mariahilf

 

BARBARA SAUER / MICHAEL LANDESMANN / BARBARA KINTAERT

Projekt .Servitengasse 1938"

 

GEORG TRASKA

"Das Dreieck meiner Kindheit"

Eine Ausstellung über die jüdische Vorstadtgemeinde in Wien XV

ROBERT STREIBEL

Die Farben der Deportation - eine Spurensuche

 

ADAM SITAREK

Eine Stadt in der Stadt

Spuren des Ghettos Lodz

 

SABINE JENCEK

Künstlerische Annäherungen

 

JOANNA PODOLSKA

Es eint uns mehr als uns trennt

Das Toleranz-Institut in Lodz

 

BOG DAN BIALEK

Andenken an die Opfer vom 4, Juli 1946

Schritte zur Versöhnung in Kielce

 

WERNER DREIER

Gespeicherte Erinnerung: Zeitzeugen und Zeitzeuginnen auf DVD

 

KIRSTE PÖRSCHKE / LE A K ÄPPLE

[Weiße Flecken)-Zeitung zur NS-Zeit

Ein journalistisches Vierländerprojekt mit Schülern und Schülerinnen

 

CLAUDIO CASSETTI

"In Deutschland kein KZ gesehen?"

Stadtführungen vermitteln Zeitgeschichte

 

Spurensuche 18. Jg. Heft 1-4

Hinter den Mauern des Vergessens

Erinnerungskulturen und Gedenkprojekte in Österreich

252 Seiten, A5 brosch. € 15,- (exkl Versandkosten)

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