30 Jahre Gedenkdienst

Seit der Verein GEDENKDIENST vor 30 Jahren die ersten Gedenkdienstleistenden ins Ausland entsendete, hat sich die österreichische Erinnerungslandschaft stark verändert. Wie der GEDENKDIENST sich 1992 gründete und seither weiterentwickelte berichten Matthias Spadinger und Nadine Dimmel im folgenden Artikel.

Ein Jahr vor der Gründung des Vereins GEDENKDIENST, 1991, sprach Bundeskanzler Franz Vranitzky zum ersten Mal die Mitschuld Österreichs an den nationalsozialistischen Verbrechen und dem Zweiten Weltkrieg im Parlament in einer Rede an. Er entschuldigte sich für Österreichs Taten, 1995 wurde der Nationalfonds der Republik für die Opfer des Nationalsozialismus eingerichtet.

Der Verein GEDENKDIENST entstand aus dem Bedürfnis, vor allem jungen Menschen abseits von Schulunterricht und Mauthausenbesuch eine tiefgehende und längerfristig wirkende Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen und ihren Auswirkungen zu ermöglichen. Von zivilgesellschaftlichem Engagement getragen, etablierte sich daher eine Initiative ähnlich dem Verein Sühnezeichen Friedensdienste e.V., welcher bereits seit 1958 deutschen StaatsbürgerInnen einen einjährigen Dienst an Holocaust-Gedenkstätten ermöglicht. In Österreich wurde der Gedenkdienst als sogenannter “Zivilersatzdienst” geführt und von der Republik finanziell gefördert - allerdings stand er damit nur zivildienstpflichtigen Männern offen. Nachdem der Verein GEDENKDIENST einen gesamtgesellschaftlichen Anspruch verfolgt, konnte im Jahr 2016 durchgesetzt werden, dass auch Frauen und nicht zivildienstpflichtige Männer zu gleichen Rechten und Pflichten diesen Dienst leisten können. Nach wie vor ausgenommen sind Personen ohne EU-StaatsbürgerInnenschaft.

Parallel zur Entsendetätigkeit entstand innerhalb des Vereins ein vielfältiges historisch-politisches Bildungsprogramm, welches sich als aktiver Beitrag zur erinnerungspolitischen Debatte in Österreich versteht. Ehrenamtliche MitarbeiterInnen organisieren Studienfahrten, halten Workshops, Vorträge und veröffentlichen Publikationen. Dadurch können Personen, die bereits einen Gedenkdienst geleistet haben, ihr Engagement in Österreich weiterführen. Es dient aber auch als Anknüpfungspunkt und Plattform für Menschen, die sich aktiv mit Zeitgeschichte auseinandersetzen wollen. Hier können im Austausch mit anderen Interessierten auch eigene Schwerpunkte gesetzt werden, zum Beispiel bei unserem Studienfahrten-Projekt Überqu(e)erung eines Kontinents / Cross(dress)ing Europe, welches sich mit Queer History im Kontext von Holocaust Education auseinandersetzt.

Der Verein GEDENKDIENST bewegt sich seit nun 30 Jahren in der österreichischen Erinnerungslandschaft. Diese Umgebung hat sich stark verändert. Die Beteiligung Österreichs an nationalsozialistischen Gräueltaten stellt zumindest ein Großteil der Politik außer Frage. Dennoch ist der Weg zu einem qualitativen Gedenken und einer aktiven Kultur der Erinnerung im politischen Österreich ein weiter. Dass eine Verzahnung zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen vonnöten ist, um eben jenes qualitative Gedenken zu ermöglichen, muss von der Politik noch erkannt werden. Die Enthüllung von Denkmälern und das Begehen von Gedenktagen mag zwar das Bewusstsein für die Geschehnisse in der Öffentlichkeit stärken, aber es benötigt ein stärkeres Engagement der Republik, um Kontinuitäten aus NS-Zeit aufzuzeigen und aufzubrechen. Antisemitismus und Rassismus nahmen in den letzten Jahren in Österreich stark zu, was der jährliche Antisemitismusbericht der Israelitischen Kultusgemeinde sowie der Rassismusbericht von ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) eindrücklich zeigen. Historisch-politische Bildungsarbeit für junge als auch erwachsene Menschen in Österreich muss eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart etablieren, um den gesellschaftspolitischen Fragen von heute, als auch der Verantwortung gegenüber der österreichischen Geschichte gerecht zu werden.

Auch heute noch ist die Arbeit des Verein GEDENKDIENST, bis auf drei Büroangestellte, ehrenamtlich. Der hohe bürokratische Aufwand ist schwierig zu stemmen, bei einer Förderung, die seit 1992 immer kleiner wurde. Es gibt die Hoffnung, dass durch die anstehende Novellierung des Freiwilligengesetzes wesentliche Verbesserungen hinsichtlich der staatlichen Zuwendungen für die Gedenkdienstleistenden erreicht werden können.
Ziel und Anspruch ist es, allen, die in Österreich leben und an einem Gedenkdienst interessiert sind, einen solchen zu ermöglichen und dadurch aktive Erinnerungsarbeit im Ausland zu leisten. Dafür wird sich der Verein GEDENKDIENST auch weiterhin einsetzen.

Nähere Informationen unter: https://gedenkdienst.at/

Kurzportrait der AutorInnen

Matthias Spadinger ist Obmann des Vereins GEDENKDIENST. Er leistete 2014/15 Gedenkdienst im Ghetto Fighters‘ House Museum nahe Akko in Israel. Seit seiner Rückkehr ist er in der DidaktikWerkstatt aktiv und seit 2016 Vorstandsmitglied sowie Stellenbetreuer für Israel. Im Oktober 2017 wurde er Kassier des Vereins. Er studiert Politikwissenschaft sowie Geschichte und Geographie auf Lehramt an der Universität Wien.

Nadine Dimmel ist stellvertretende Obfrau des Vereins GEDENKDIENST. Sie leistete 2018/19 im Ghetto Fighters’ House Museum nahe Akko ihren Gedenkdienst; studiert derzeit Geschichte an der Universität Wien und ist seit Herbst 2019 zunächst als stv. Schriftführerin, dann als stv. Obfrau im Verein tätig.