ZeitzeugInnen erzählen auf der Plattform weiter_erzählen über ihre Flucht nach England und ihr Weiterleben im Exil.

In Kooperation mit dem BMBWF und dem Austrian Cultural Forum London sind kürzlich auch neue Videointerviews für weiter_erzählen entstanden. Einige konnten außerdem von der Association of Jewish Refugees übernommen werden.

Großbritannien war eines der wichtigsten Zufluchtsländer für ÖsterreicherInnen, die vor den NationalsozialistInnen flüchten mussten. Mit Kindertransporten gelangten auch viele Kinder und Jugendliche dorthin. ZeitzeugInnen erzählen auf der Plattform weiter_erzählen über ihre Flucht nach England und ihr Weiterleben im Exil.

Die im Auftrag des Austrian Cultural Forum und des BMBWF entstandenen neuen Videointerviews sind von der Historikerin Bernadette Edtmaier für weiter_erzählen geführt worden. Auch für die Österreichische Mediathek sind mehrere ZeitzeugInnen-Gespräche geführt worden.

Peter Pulzer wurde 1929 in Wien in eine säkulare jüdische Familie geboren. Im Februar 1939 flüchtete er mit seinen Eltern und der Schwester vor den Nationalsozialisten nach Großbritannien. Er studierte Geschichtswissenschaften an der University of Cambridge und publizierte 1966 das Buch „Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914“, das zum Standardwerk der Antisemitismusforschung wurde. 1984 wurde er als Professor an die University of Oxford berufen und war Vorsitzender des Leo-Baeck-Instituts in London. Für seine Forschungen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorates der Universität Wien verwies Peter Pulzer auf die „multiplen Identitäten“, die sich junge jüdische Österreicher:innen im Laufe des 20. Jahrhunderts angeeignet hätten. In England sei er nicht im Exil gewesen, sondern habe dort eine neue Heimat gefunden. Peter Pulzer hatte zwei Söhne und lebte bis zu seinem Tod im Jänner 2023 mit seiner Frau in Oxford.
John Hans Gilbert wurde 1929 als Hans Goldstein in Wien in eine jüdisch-christliche Familie geboren. 1939 flüchtete über die Tschechoslowakei nach England, Weiterleben bei Pflegefamilien in Cornwall, Konversion zum Christentum, Studium der Wirtschaftswissenschaften, 1953 Hochzeit und Familiengründung, Karriere im Familienunternehmen. John Hans Gilbert hat drei Kinder und lebt in Tickton, Yorkshire.
Kurt Simon wurde 1933 in Eisenstadt in eine orthodoxe jüdische Familie geboren, Jänner 1939 Flucht von Bruder Ernest auf einem Kindertransport, März 1939 Flucht mit Eltern nach England, Studium der Medizin in Leeds, 1954 Hochzeit und Familiengründung, 1974 Übersiedlung nach Israel und Karriere als Anästhesist, 2002 Rückkehr nach Leeds, Kurt Simon hat drei Kinder und lebt mit seiner Lebensgefährtin in Leeds, Yorkshire.

Das AJR Refugee Voices Testimony Archive der Association of Jewish Refugees ist ein digitales Video- und Foto-Archiv, das Interviews mit jüdischen Überlebenden der Shoah durchführt, die in Großbritannien Zuflucht gefunden haben. 2003 wurde das erste Interview durchgeführt und zur Zeit besteht die Sammlung aus 270 Interviews, von denen mehr als 50 InterviewpartnerInnen in Wien geboren sind. Die Interviews sind life history interviews, die sich mit dem gesamten Leben der InterviewpartnerInnen auseinandersetzen. Die InterviewpartnerInnen erzählen von ihrer Kindheit, der Verfolgung, der Emigration und von ihrem neuen Leben in Großbritannien. Die Sammlung wird laufend ergänzt. Sie steht unter Berücksichtigung archiv- und datenschutzrechtlicher Bestimmungen für Forschungen zur Verfügung.

Zu den für weiter_erzählen übernommenen Vidoeinterviews zählen beispielsweise jene mit Valerie Klimt und mit Herta und Walter Kammerling.

Valerie Klimt wurde 1924 als Anna Valerie Herlinger als Kind einer jüdischen Mutter geboren (der Vater verstarb kurz vor ihrer Geburt). 1939 flüchtete sie über Brüssel und Rotterdam nach Indien, Weiterleben in Darjeeling und Kalkutta/Kolkata, Schule und Ausbildung zur Sekretärin.1948 emigrierte sie nach England, Heirat mit einem ebenfalls aus Wien Geflohenen, der in Indien überlebte. Sie arbeitete als Sekretärin und hatte drei Kinder. Valerie Klimt verstarb 2019 in London.

Herta Kammerling wurde 1926 als Herta Plaschkes in Baden bei Wien in eine jüdische Familie geboren und wuchs in Wien auf. 1938 flüchtete sie auf einem Kindertransport nach England, 1941 Familienzusammenführung in London, Mitglied bei Young Austria. 1944 heitetete sie Walter Kammerling, der ebenfalls aus Österreich geflohen war. 1946 wurde beide nach Österreich repatriiiert, 1957 kehrten sie permanent nach England zurück. Herta und Walter Kammerling leben in Bournemouth, Großbritannien.

Von 19. bis 21. April 2023 findet in London das International Forum on Collecting, Preserving, and Disseminating Holocaust Testimonies „Remembering and Rethinking”  statt. Organisiert von der AJR - The Association of Jewish Refugees referieren und diskutieren internationale Expert:innen zu unterschiedlichen Aspekten im Umgang mit Zeitzeug:innen-Interviews für die Erinnerungskultur und Geschichtsvermittlung. Victoria Kumar, Historikerin bei _erinnern.at_, wird die Online-Plattform weiter_erzählen vorstellen. Vertreten sind auch die USC Shoah Foundation, Yad Vashem, das Fortunoff Archive, die Wiener Library und andere renommierte Institutionen im Feld.