ERINNERN:AT trauert um Anton Pelinka
Stationen seiner Berufsbiografie: Wissenschafter, Aufklärer, public intellectual
Anton Pelinka wurde 1941 in Wien geboren. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und war von 1975 bis 2006 ordentlicher Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck, wo er das Institut für Politikwissenschaft mit aufbaute. Ab 2006 war er Professor an der Central European University in Budapest.
Er gehörte zu den Gründern der Gesellschaft für Politikwissenschaft, des Instituts für Konfliktforschung, des Sir Peter Ustinovs Instituts für Vorurteilforschung und des Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien. Er war österreichischer Vertreter in der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und engagierte sich im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Seine wissenschaftliche Tätigkeit schlug sich in unzähligen Publikationen nieder, als politikwissenschaftlicher Experte kommentierte er in unterschiedlichen Medien.
Pelinka entlarvte die Mythen und Legenden der österreichischen Zeitgeschichte und beschrieb die Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus mit Blick auf die Jahre 1945 und 1955 zwiespältig: „Das 'Wir', das hinter Österreich stand, war 1945 ein gebrochenes; das 'Wir' des Jahres 1955 hingegen ein ungebrochenes. 1945 standen Österreicher gegen Österreicher; identifizierten sich die einen mit der einen, die anderen mit der anderen Seite des zu Ende gehenden Krieges. Die Befreiung von 1945 war keine, die in Österreich mit ungeteilter Begeisterung aufgenommen worden wäre. 1955 hingegen konnten alle begeistert sein - diejenigen, die 1945 gejubelt und diejenigen, die 1945 getrauert hatten.“[1]
Das Begreifen des Holocaust als zentrale Erfahrung
Wie Armin Wolf in seinem Nachruf in der „Zeit“[2] schreibt, war das wichtigste Motiv im politischen Weltbild des Politologen die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und den Feinden der Demokratie, insbesondere aller rechtsextremen und rechtspopulistischen Tendenzen: „Die zentrale Erfahrung in meiner politischen Bewusstwerdung war das Begreifen des Holocaust“, so Pelinka.
Neben Hermann Langbein hatte Anton Pelinka federführenden Anteil an der Begründung des ZeitzeugInnen-Programms, das in den späten 1970er Jahren als „ReferentInnen-Vermittlungsdienst Zeitgeschichte“ konzipiert und unter dem damaligen Bundesminister für Unterricht und Kunst Fred Sinowatz approbiert wurde. „Dass das Bundesministerium und damit die Republik Verantwortung für die Aktion übernommen hatte, ermöglichte die Berücksichtigung der verschiedenen Lebensschicksale in maximaler Bandbreite – die individuellen Erfahrungen kommunistischer und monarchistischer, sozialdemokratischer und katholisch-konservativer, aber auch politisch vollkommen unabhängiger Personen. Der gemeinsame Nenner war die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus – von wem auch immer diese Oppositionshaltung ausgegangen war“[3], erinnerte sich Pelinka in der von Werner Dreier und Falk Pingel herausgegebenen Festschrift anlässlich des 20-jährigen Bestehens von ERINNERN:AT. Bis heute besuchen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen – NS-Überlebende mit unterschiedlichem Verfolgungsgrund – über das Bildungsministerium und ERINNERN:AT Schulen.
Von 2008 bis 2021 war Anton Pelinka Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von ERINNERN:AT und trug maßgeblich zur Profilierung und Weiterentwicklung des damaligen Vereins bei. Er war außerdem mehrfach Vortragender und Chair bei den Zentralen Seminaren. Als er beim 15. Zentralen Seminar in Ossiach die Keynote zum Thema „Flucht und Vertreibung in der NS-Zeit – Flüchtlinge heute: Hängt das zusammen?“ hielt, beschrieb er das Jahr 2015 als das, „was in Europa zu einer ‚Flüchtlingskrise‘ mit oft hysterischem Unterton hochstilisiert wird“ und plädierte dafür, „Druck auf die Politik zu machen – in Form eines Gegendrucks, der sich gegen den Druck der Hysterisierung, der Konstruktion von Furcht stellt.“
Anton Pelinka, dessen Lebenswerk vielfach ausgezeichnet wurde, war für ERINNERN:AT und das Bildungsministerium ein wichtiger Wegbegleiter und Unterstützer. Unsere Anteilnahme gilt seinen Angehörigen.
[1] Anton Pelinka, Zwischen Befreiung und Souveränität, 2005, zit. in: https://www.derstandard.at/story/3000000290588/politikwissenschafter-anton-pelinka-verstorben
[2] Armin Wolf, Anton Pelinka. Niemand hat Österreich besser erklärt, ZEIT Online, 4.10.2025. URL: https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-10/oesterreich-anton-pelinka-nachruf-armin-wolf
[3] Anton Pelinka, Hermann Langbein und die Anfänge der „Zeitzeugen Aktion“. In: Werner Dreier, Falk Pingel (Hg.): Nationalsozialismus und Holocaust. Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung, Innsbruck, 2021, S. 119.
