In den Fußstapfen von Simon Wiesental: Walter Manoschek

Filmabend in der Remise in Bludenz: "„Dann bin ich ja ein Mörder“

Bludenzer Anzeiger (Bandi Köck, 17. Juni 2015 ) - link

Genau vor siebzig Jahren und zweieinhalb Monaten geschahen unvorstellbare und unerklärliche Dinge in Österreich. So beispielsweise im burgenländischen Ort Deutsch Schützen, wo am 29. März 1945 etwa 60 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter von drei SS-Männern willkürlich erschossen wurden. Einer der mutmaßlichen Mörder war SS-Unterscharführer Adolf Storms, der für diese Tat bis zu seinem Lebensende mit 90 Jahren 2009 nie zur Rechenschaft gezogen wurde. 63 Jahre nach der Tat gelang es Walter Manoschek ihn zu interviewen. In den Gesprächen mit Storms, mit tatbeteiligten HJ-Führern und Juden, die das Massaker überlebten, wurde das Verbrechen rekonstruiert und Fragen nach dem Vergessen, dem Verdrängen und der  Verantwortung gestellt.

 

Der a.o. Prof. an der Uni Wien, Walter Manoschek, kam als Ehrengast in die Bludenzer Remise, wo sein Film, der eigentlich nie einer werden hätte sollen, „Dann bin ich ja ein Mörder“, gezeigt wurde. Dr. Markus Barnay vom ORF-Landesstudio moderierte und stellte neben dem Publikum im Anschluss Fragen zur den letzten Wochen vor dem Kriegsende 1945. Beispiele für derartige Verbrechen seitens der österreichischen Bevölkerung gibt es zuhauf, etwa die von Rechnitz, einem anderen Ort im Burgenland, aber auch in Ober- oder Niederösterreich oder der Steiermark. Der Hintergrund der Tat von Deutsch Schützen ist jedoch einzigartig: Es gab nie einen Befehl, die 500 jüdischen Zwangsarbeiter, welche bei der Errichtung des sog. Südostwalls beschäftigt wurden, zu erschießen – im Gegenteil, es wurde ihre Evakuation angeordnet. Adolf Storms habe zum großen Erstaunen von Sozialwissenschafter Manoschek vier, fünf Mal zu sich eingeladen. „Ich nahm eine halb bewusst therapeutische Rolle während der 16 Stunden dauernden Interviews ein“ erzählte der Wiener, der obwohl ihm einmal der Kragen geplatzt war, nicht vom Massenmörder, der sich nie schuldig zeigte, aus dessen Wohnung geschmissen wurde.

 

Mit Tätern beschäftigt sich die Geschichtsschreibung bis heute nur sehr selten. Bereits 1955, sofort nach dem Abzug der Alliierten, wurden die Volksgerichte in Österreich eingestellt. Es gab zwar 23.000 Schuldsprüche der über 100.000 Naziverbrecher im Land, doch dieser größte je in Österreich stattgefundene juristische Komplex wurde völlig aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen. „Nur 30 Todesurteile wurden verkündet und wer mit ‚lebenslänglich’ davon kam, der war bereits Ende der 40er Jahre schon wieder frei“ so Manoschek, der sich seit über 20 Jahren mit den Auswirkungen des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung beschäftigt. Er sprach über den Prozess des Hitlerjugend-Führers Weber. „Von Anfang an war klar, dass es auf Freispruch hinauslaufen würde. Wenn man die Akte durchliest, wird einem schlecht.“ Auch Storms hätte bereits im Jahr 1956 von den österr. Behörden leicht gefunden werden können – Manoschek fand ihn fast fünfzig Jahre später ganz einfach im Telefonbuch, rief ihn an und stattete ihm einen Besuch ab. Keine Ausreden!

 

Die zahlreichen Besucher in der Remise erfuhren, dass die Massengräber entlang des Südostwalls keine Kriegergräber, sondern von ermordeten Juden waren, über welche man am Liebsten einfach eine Betonplatte gezogen hätte. Manoschek nannte zahlreiche Beispiele über die Wirren der österreichischen Justiz, die Prozesse gegen NS-Verbrecher, die nur bis Ende der 40er Jahre geführt, dann eingestellt und erst 1966 wieder aufgenommen wurden. 1966 gab es eintausend Ermittlungsverfahren wie etwa gegen Murrer, Brunner (tauchte in Syrien unter) oder Lerch, die alle mit einem Skandalurteil endeten. „Die 70er Jahre unter Kreisky waren das schwärzeste Kapitel mit Unterstützung der FPÖ und Friedrich Peter, als vier Minister mit NSDAP-Hintergrund (einer davon Waffen-SS) im Parlament saßen.“ Simon Wiesental wurde von Bruno Kreisky als „Kollaborateur mit der Gestapo“ diffamiert. Das Fiasko endete, als 1975 Justizminister Christian Bruder die 400 laufenden Verfahren einstellte – „um weitere Freisprüche zu verhindern“ so Prof. Manoschek. Bis ins Jahr 2000 gab es keinerlei Verurteilungen mehr. Erst als Dr. Groß, der Spiegelgrund-Arzt, 2000 angeklagt wurde, kam wieder etwas ins Laufen. „Bereits in den 70er Jahren waren seine Taten bekannt, doch es dauerte 25 Jahre.“  Groß wurde der Demenz bezichtigt und frei gesprochen. Nach dem Prozess gab er ein 90-minütiges Interview an eine Englische Zeitung. Die deutsche Justiz sei zwar anders gewesen (in den 60er Jahren gab es 500 Staatsanwälte, die mit NS-Verbrechen beauftragt wurden), doch zu Anklagen kam es beim großen Nachbarn auch nicht. „Es ist eine äußerst traurige Geschichte“ so Walter Manoschek betroffen.

 

Fazit des Abends: „Die Legende vom ‚Ersten Opfer von Nazideutschland’ und der Tatsache der Lose-Lose-Situation, dass nicht gleichzeitig eine neue Demokratie aufgebaut und hunderttausend Nazis verurteilt werden können, schien einleuchtend und doch ungerecht und unbegreiflich.“ Oder um es mit den Worten von Armin Thurnherr auszusprechen: „In Österreich haben wir ein ‚Kasperlkalifat’.“

Informationen zum Film und zum Buch "Dann bin ich ja ein Mörder": -  link