Sieben weitere Steine der Erinnerung in St. Pölten

Steinsetzung am 8. Oktober 2021 in der St. Pöltner Innenstadt

Das Institut für jüdische Geschichte Österreichs (Injoest), welches seit 1988 im Kantorhaus der Ehemaligen Synagoge St. Pölten beheimatet ist, begann im Jahr 2018 in Kooperation mit der Stadt St. Pölten die ersten Steine der Erinnerung zu setzen. Die Steinsetzungen werden jährlich fortgesetzt, mit dem Ziel, an allen ca. 80 St. Pöltner Adressen, sowie in allen Wohnorten auf dem Gebiet der früheren Kultusgemeinde, Steine der Erinnerung zu setzen und die von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden sichtbar zu machen.
Dem Institut sind im Umfeld der IKG St. Pölten 1.045 Personen (Stand November 2020) namentlich bekannt, welche von den Nationalsozialisten zwischen 1938 und 1945 aufgrund der „Nürnberger Rassegesetze“ verfolgt wurden. Das Namenverzeichnis ist im Memorbuch unter http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen einsehbar.

Im Oktober 2021 wurden für elf ermordete Jüdinnen und Juden sieben weitere Steine der Erinnerung an sechs Adressen in der St. Pöltner Innenstadt gesetzt. In den letzten vier Jahren ließ das Injoest insgesamt 39 Gedenksteine (Stand Oktober 2021)  an 31 Adressen in St. Pölten für 79 ermordete Personen setzen. Die Messingplatten mit Namen, bei Frauen Geburtsname, Geburtsdatum, Datum der Deportation und Todesdatum, wo feststellbar, werden vor der letzten freiwilligen Wohnadresse im Gehsteig eingelassen. 

Unter den elf Opfern der diesjährigen Steinsetzung befand sich das Ehepaar Hermann Hersch Gewing und Karoline Kreindl Gewing, geb. Willner. Die Familie wanderte bereits 1905 mit ihrer 3-jährigen Tochter Regina aus Galizien nach St. Pölten ein. Sohn Rudolf wurde 1910 in St. Pölten geboren. Hermann und Rudolf führten gemeinsam in der Wienerstraße 35 ein Geschäft für Geschirr und Hausrat, welches am 20. Mai 1938 mit Warenlager zwangsverkauft und am 31. Mai aufgelassen wurde. Das Ehepaar wurde auf deren Flucht in Mailand verhaftet und in das kroatische KZ Jasenovac deportiert und ermordet. Tochter Regina, ihr Mann Max Weinberg und der 12-jährige Sohn Erwin wurden auf ihrer Flucht in Paris verhaftet und überlebten die Inhaftierung im italienischen KZ Ferramonti di Tarsia. Sohn Rudolf gelang mit seiner Frau Grete (geb. Fleischmann) die Flucht nach Bordeaux, sie überlebten versteckt in Frankreich.

Martin Gewing, der in Kalifornien lebende Urgroßneffe von Hermann Gewing, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit seiner Familiengeschichte und hatte durch seine Nachforschungen und weiteren Informationen des Injoest Begegnungen mit „vielen ‚verlorenen‘ Familienmitgliedern“ und hat dadurch „die Namen der in der Shoa Umgekommenen und einige ihrer Lebensgeschichten erfahren. (… ) Es ist unmöglich, mit Worten zu erklären, wie bedeutungsvoll dies ist. (…) Ich empfinde es als wichtig, für diese Zeremonie wieder nach St. Pölten zu kommen.“ (aus: Steine der Erinnerung IV/2021, Institut für jüdische Geschichte Österreichs). 

Die diesjährige Gedenkveranstaltung des Injoest fand am 8. Oktober in der Ehemaligen Synagoge, mit anschließendem Rundgang zu den neuen Steinen der Erinnerung, statt. Neben Vertreter:innen der Stadt waren unter anderem Nachkommen der vertriebenen jüdischen Gemeinde und Dr. Hans Morgenstern (Dermatologe, geb. 1937) anwesend.  Er ist der letzte in St. Pölten lebende Jude der ehemaligen IKG St. Pölten. Seinen Eltern Egon und Stella Morgenstern gelang mit dem damals 2-jährigen Kleinkind Hans rechtzeitig die Flucht nach Palästina, 1947 kehrte die Familie Morgenstern mit wenigen anderen jüdischen Familien, welche die Shoa überlebt hatten, nach St. Pölten zurück. 


Die nächste Steinsetzung soll im Juni 2022 stattfinden.

Das Injoest bietet neben Besuchen der ehemaligen Synagoge St. Pölten auch begleitete Rundgänge zu ausgewählten Steinen der Erinnerung an, Anfragen per Mail an office@injoest.ac.at.