Zentrales Seminar 2023: Seminarbericht und Videoeinblicke

Unter dem Titel „Die Verfolgung und Ermordung Homosexueller während der NS-Zeit“ fand von 16. bis 18. November 2023 das Zentrale Seminar in Wien statt. Eingebettet in den Jahresschwerpunkt von ERINNERN:AT und gemeinsam organisiert mit QWIEN – Zentrum für queere Geschichte Wien nahmen mehr als 100 Lehrpersonen und andere BildungsakteurInnen an der Fortbildung teil.

2023 widmete sich ERINNERN:AT in einem Jahresschwerpunkt erstmals der Verfolgung und Ermordung Homosexueller während der NS-Zeit in Österreich sowie der schulischen Vermittlung dieses Themas. Das ganze Jahr hindurch wurden in allen Bundesländern Veranstaltungen organisiert sowie Lernmaterialien erstellt und auf der Website www.erinnern.at gesammelt. Höhepunkt der Aktivitäten war das Zentrale Seminar, Österreichs größte LehrerInnenfortbildung zum Thema Holocaust, Nationalsozialismus und Antisemitismus, vom 16. bis 18. November 2023 in der Urania Wien. An der Fortbildung, die Wissenschaft und Praxis miteinander verschränken soll, nahmen über 100 LehrerInnen verschiedener Schultypen und Fächer aus ganz Österreich, sowie weitere BildungsakteurInnen und MultiplikatorInnen teil. Durch das Seminar führte Patrick Siegele, Bereichsleiter Holocaust Education beim OeAD.

Auch in diesem Jahr wurden die Vorträge und Diskussionen des Seminars online live übertragen. Die Videoaufzeichnungen stellt ERINNERN:AT hier zur Verfügung. Darüber hinaus entstand 2023 ein kurzer Film über das Zentrale Seminar: 

Das Seminar begann am 16. November nachmittags mit der offiziellen Begrüßung durch OeAD-Geschäftsführer Jakob Calice, der in seiner Rede zunächst auf den terroristischen Anschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel einging und den Terrorakt nicht nur als Anschlag auf Israel und auf Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt, sondern auf die freie Gesellschaft und die Demokratie insgesamt bezeichnete. „Der Hass der Hamas und seiner UnterstützerInnen richtet sich zuallererst gegen Jüdinnen und Juden, aber auch gegen andere Minderheiten wie Schwule, Lesben oder Transpersonen“, schlug er den Bogen zum diesjährigen Seminarthema. Die aktuelle Situation in Nahost und die damit verbundenen politischen, gesellschaftlichen wie auch pädagogischen Herausforderungen thematisierte auch Bildungsminister Martin Polaschek in seiner Videogrußbotschaft. Lehrpersonen werden in ihrer täglichen Arbeit mit diesen multiplen Herausforderungen konfrontiert und müssen – wie alle SchulakteurInnen – sicherstellen, dass Schulen sichere und diskriminierungsfreie Räumen für alle sind. Alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Ausgrenzung, Mobbing und Gewalt muss präventiv und intervenierend entgegengewirkt werden. 


Hannes Sulzenbacher und Andreas Brunner (QWIEN) (Foto: OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar)

Moderiert von Victoria Kumar, OeAD ERINNERN:AT, begann der erste inhaltliche Seminarteil mit zwei Einführungsvorträgen, die den Teilnehmenden eine inhaltliche Basis für eine vertiefte Auseinandersetzung in den Folgetagen mitgaben. Hannes Sulzenbacher und Andreas Brunner von QWIEN  – das Zentrum für queere Geschichte erforscht seit 2013 die NS-Verfolgung wegen Homosexualität und führt dazu eine umfangreiche Opferdatenbank – lieferten einen historischen Überblick über die Homosexuellen-Verfolgung in Österreich mit einem Schwerpunkt auf die NS-Zeit. Sie legten dabei die ideologischen Grundlagen und die alltägliche Verfolgungspraxis anhand mehrerer Fälle und zahlreicher Quellen dar. Im Zentrum des Ermittlungsverfahrens der Kriminalpolizei stand der Nachweis homosexueller Handlungen; die Informationen der Polizei stammten in erster Linie aus Beobachtungen, auch von Privatpersonen, und aus (erpressten) „Geständnissen“ der Verfolgten selbst. 

Zwischen den beiden Referaten sprach die Amtsführende Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, Veronica Kaup Hasler, ihr Grußwort. Sie drückte ihre besondere Freude über das im Juni 2023 eröffnete Denkmal für die homosexuellen Verfolgten des NS-Regimes im Wiener Resselpark aus.


Elisa Heinrich (OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar) 

Im zweiten Vortrag zeichnete die Historikerin Elisa Heinrich den langen Kampf von als homosexuell Verfolgten um Anerkennung und Erinnerung in Österreich nach 1945 nach. Sie entlarvte den Mythos der „Stunde Null“, der sich besonders an den Kontinuitäten der Strafverfolgung und Diskriminierung homosexueller Männer und Frauen nach Kriegsende zeigte. Der Straftatbestand der „Unzucht wider die Natur“ behielt bis 1971 seine Gültigkeit, die offizielle Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus ließ bis 2005 auf sich warten. Bis heute zählen die als homosexuell Verfolgten zu den am schlechtesten dokumentierten und erforschten Opfergruppen. Das gesellschaftliche Klima stand einer historischen Aufarbeitung lange Zeit ebenso entgegen wie der politische Wille, diese Opfergruppe als solche anzuerkennen und an das erlittene Unrecht zu erinnern. 

Mit einer kurzen „Murmelrunde“ begann die anschließende Diskussion und Miteinbeziehung des anwesenden und online teilnehmenden Publikums. Fragen bezogen sich u.a. auf das unterschiedliche Strafrecht in Deutschland („Altreich“) und Österreich („Ostmark“) und worin sich die beiden Paragrafen 175 und 129Ib unterschieden. Der §129 Ib blieb auch nach dem sog. „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich aufrecht, war geschlechtsneutral formuliert und stellte weibliche Homosexualität ebenfalls unter Strafe. Detaillierter dargelegt wurde noch einmal der lange Kampf der HOSI (Homosexuellen-Initiative), im Rahmen des Opferfürsorgegesetzes Entschädigungen für als homosexuell Verfolgte zu erwirken und die vielen Widerstände, die sie – auch von den drei politischen Opferverbänden – erfuhren. 

Zur Vertiefung: Im Gaismair-Jahrbuch 2023 erschienen anknüpfend an den Jahresschwerpunkt von ERINNERN:AT Beiträge der Referentinnen und Referenten des Zentralen Seminars. Hier stellen wir den Beitrag von Elisa Heinrich zur Verfügung, in dem sie nochmals die Kontinuitäten in Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller nach 1945 analysiert. 

Aufzeichnung der Eröffnung und Vorträge des ersten Seminartags

Abgerundet wurde der erste Seminartag durch die Vorführung des 2021 erschienen, national und international mehrfach prämierten Film „Große Freiheit“ im Village Cinema Mitte. Der Film erzählt die Geschichte des homosexuellen Hans, der im Deutschland der Nachkriegszeit wegen seiner sexuellen Identität verfolgt und immer wieder inhaftiert wird. Die einzige feste Beziehung in seinem Leben besteht in seinem langjährigen Zellengenossen Viktor, der wegen Mordes verurteilt wurde und seine Strafe absitzt. Das anschließende Filmgespräch wurde von Peter Larndorfer, OeAD ERINNERN:AT Wien, moderiert und ließ neben Hannes Sulzenbacher den Filmproduzenten Oliver Neumann zu Wort kommen. Neumann, Geschäftsführer der Wiener Filmproduktionsfirma FreibeuterFilm, die „Große Freiheit“ von Regisseur Sebastian Meise 2021 herausgebracht hat, erzählte über die Intentionen, die am Anfang dieses Films standen, wie es dem Filmteam am Set mit der szenischen Darstellung der brutalen Verfolgung ging und wie herausfordernd eine professionelle Distanz zu den Inhalten war. Hannes Sulzenbacher berichtete über die Forschungsarbeiten von QWIEN und noch einmal allgemeiner über die Quellenlage zur Verfolgung von Homosexuellen während der NS-Zeit. Verwiesen wurde auf die den Film begleitenden Unterrichtsmaterialien, die auch auf der Website von ERINNERN:AT zu finden sind. 

Workshops und Exkursionen erwarteten die Teilnehmenden am zweiten Seminartag am 17. November. In den am Vormittag parallellaufenden Workshops wurden best practice Beispiele aus der Vermittlung vorgestellt und zwei neue Lernmaterialien von ERINNERN:AT präsentiert. Ein performatives Wettlesen um die Gunst des Publikums – ein Poetry Slam – stand als Abschluss des zweiten Seminartags am Programm.

Workshops

Die Teilnehmenden konnten sich für einen von vier Workshops entscheiden (Foto: OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar). 

Axel Schacht, OeAD ERINNERN:AT, und Florian Benjamin Part, QWIEN, stellten ein neues analoges Material mit Beispielbiografien aus allen Bundesländern vor, sie informierten über den Erarbeitungsprozess und die erfolgreiche (Archiv-)Recherche u.a. von den NetzwerkerInnen von ERINNERN:AT. Danach wurde eine der beiden in der LehrerInnenhandreichung vorgeschlagenen Unterrichtsverläufe konkret erprobt. Im zweiten Teil des Workshops wurden in sechs Kleingruppen die Biografien und dazugehörigen Arbeitsaufträge einer kritischen Begutachtung unterzogen. Das Feedback der Teilnehmenden, mehrheitlich aus der schulischen Praxis, wird in der Endredaktion des Materials Berücksichtigung finden.


Victoria Kumar bei der Präsentation der neuen IWitness-Activity (Foto: OeAD/APA-Fotoservice Rastegar)

Ein neues digitales Lernmodul, gemeinsam entwickelt von ERINNERN:AT, der PH Luzern und der Europa-Uni Flensburg, stellte Victoria Kumar, OeAD ERINNERN:AT, in ihrem Workshop vor. Die Activity „Als homosexuell verfolgt im nationalsozialistischen Deutschland und Österreich“ basiert auf lebensgeschichtlichen Videointerviews mit ZeitzeugInnen, ist über die Bildungsplattform IWitness der USC Shoah Foundation abrufbar und richtet sich an SchülerInnen ab 14 Jahren. Im Workshop wurde gezeigt, wie IWitness im Unterricht zum Einsatz kommen kann, bevor die Teilnehmenden eine Einführung in den Aufbau und die Inhalte der Activity erhielten. Konkret erprobt wurde diese anhand der Biografie des als homosexuell Verfolgten Erwin Widschwenter. Das eingeholte Feedback der Lehrkräfte bezog sich v.a. auf die – mit Blick auf das empfohlene Lernalter (ab 14 Jahren) –  Machbarkeit der Arbeitsaufträge, die Vielfalt der Quellen und das sprachliche Niveau. Gerade im Entstehen ist eine weitere Activity, die sich mit den Kontinuitäten der Strafverfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen nach 1945 befasst und sich ebenfalls auf ZeitzeugInnen-Interviews stützt.


In den Workshops tauschten sich die Teilnehmenden zu den vorgestellten Bildungsangeboten aus (Foto: OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar).

Kelly Kosel und Lio Sitzberger von Queerconnexion Wien haben langjährige Erfahrung mit Workshops zum Thema Sexualpädagogik, diskriminierungskritischer und queerer Bildung und Peer-Beratung. Sie eröffneten den Workshop „queer? – LGBTQIA+ in der Schule“ mit einer Aufstellungsübung aller Teilnehmenden zu Vorerfahrungen und Bezügen zum Thema. Methodisch an das Setting von Schulworkshops orientiert, lernten die Teilnehmenden die wichtigsten Begriffe rund um das Thema LGBTQIA+ kennen und differenzieren (z.B. Transgender, Transsexualität, Intergeschlechtlichkeit, Asexualität, Cisgender, Heteronormativität, Queer, u.v.m.). Dabei wurde unterschieden zwischen den Ebenen Körper, sexuelle Orientierungen, Geschlechtsidentitäten und Geschlechterrollen bzw. geschlechtlichen Ausdrucksformen. Der Austausch orientierte sich an den Interessen und dem Wissen der Teilnehmenden. Das Handout mit vielen Literaturempfehlungen kann hier downgeloaded werden. 


Kelly Kosel und Lio Sitzberger im Workshop (Foto: OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar)

Kira Splitt und Kai Flechtner vom Deutschen Bundesverband Queere Bildung e.V. gaben im Workshop „Das kann queere Bildungsarbeit“ eine Einführung in Begrifflichkeiten im Kontext queerer Bildungsarbeit, wie etwa „queer“, „intern“ oder „cis“. Anschließend stellten sie die Struktur des Bundesverbands vor, der in allen 16 Bundesländern Deutschlands Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekte vertritt. Diese verfolgen folgende Ziele: Wissenszuwachs, Sensibilisierung, Akzeptanzförderung gegenüber LSBTIAQ+, Vermittlung von Diversitätskompetenz, Abbau von Queerfeindlichkeit und Erweiterung der pädagogischen Handlungskompetenz. Die Teilnehmenden konnten anschließend aus drei konkreten Methoden auswählen, die der Verband in Kooperation mit anderen Trägern entwickelt hat und die in der LGBTIQ+ Jugendarbeit zum Einsatz kommen. Die Methode wurde ausprobiert, anschließend ausgewertet und auf der Meta-Ebene diskutiert. Die Powerpoint Präsentation steht hier zum Download bereit.

Exkursionen


Gerd Brandstetter (Mitte) und Andreas Brunner (rechts) führten die TeilnehmerInnen ihrer Exkursionen an Orte queerer Geschichte Wiens (Foto: OeAD/APAP-Fotoservice/Rastegar).

Die parallellaufenden Exkursionen führten die Teilnehmenden an zahlreiche Stationen der queeren Geschichte Wiens mit Schwerpunkt auf die NS-Verfolgung. Drei Rundgänge starteten beim Denkmal für die homosexuellen Verfolgten des NS-Regimes „ARCUS: Schatten eines Regenbogens“. Das Denkmal wurde nach einem umfassenden Community-Beteiligungsprozess im Juli 2023 eröffnet. Andreas Brunner und Gerd Brandstetter, QWIEN,  führten zwei Gruppen zu weiteren Stationen (z.B. Staatsoper, Mahnmal gegen Krieg und Faschismus am Albertinaplatz, Annagasse, Musikverein), an welchen die queere Geschichte und besonders jene der NS-Homosexuellenverfolgung  greifbar wird. Anhand konkreter Schicksale vermochte sie diese anschaulich zu illustrieren. So etwa durch die Geschichte von Dorothea Neff und Lilli Wolff: In einer Wohnung in der Annagasse hielt die Schauspielerin Dorothea Neff ihre Freundin, die jüdische Modeschöpferin Lilli Wolff, drei Jahre versteckt und schützte sie vor der nationalsozialistischen Verfolgung. Oder die Geschichte von Anita Berber, die mit Josephine Baker in den 1920er Jahren zu den bekanntesten Tänzerinnen gehörte und im „Tabarin“ in der Annagasse tanzte. Aufsehen erregte sie durch ihren aufreizenden akrobatischen Tanzstil, aber auch durch Alkohol- und Drogenexzesse sowie wechselnde Liebschaften mit Männern ebenso wie mit Frauen.


Beim Denkmal für die homosexuellen Verfolgten des NS-Regimes (Foto: OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar) 

Eine dritte Gruppe spazierte vom Resselpark in die nahe gelegenen Räumlichkeiten des Mauthausen Memorial. Dort wurde unter Moderation von Gregor Holzinger, Leiter der dortigen Forschungsstelle, in einem Gespräch mit Wolfgang Wilhelm, Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten, Martina Taig, KÖR – Kunst im öffentlichen Raum Wien, und Iris Andraschek, freischaffende Künstlerin, auf vertiefte Aspekte zur langen Entstehungsgeschichte des Denkmales eingegangen. Hierbei wurde der Wettbewerb bzw. die Wettbewerbe zum Denkmal und die Auswahl aus den letztlich 82 Einreichungen nachgezeichnet und auf inhaltliche wie formale Kriterien eingegangen. Auch die Beteiligung aus der Community sowie des wissenschaftlichen Beirats nahmen hierbei breiten Raum ein. Die Diskussion mit dem Publikum betraf vorrangig die Fragen um eine zeitgemäße Erinnerung, um Denkmäler im öffentlichen Raum als Zeichen des Konsenses und der Anerkennung und wie weit diese durch das konkrete Denkmal umgesetzt wurden.


Während der Exkursionen entstanden wertvolle Gespräche zu den besuchten Orten und den bisherigen Erfahrungen der Vermittlungspraxis (Foto: OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar). 

Die vierte Exkursion begann an der 2021 eingeweihten Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte im Ostarrichi-Park. Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, gab einen Einblick in die lange Entstehungsgeschichte der Gedenkstätte und die Beweggründe diese für die österreichischen Opfer der Shoah zu errichten. Anschließend stellte Martin Krist, OeAD ERINNERN:AT Wien, ein vom OeAD gemeinsam mit dem Nationalfonds entwickeltes Lernmaterial vor, welches 14 Biografien von Opfern der Shoah beinhaltet. Entsprechend des Jahresschwerpunkts von ERINNERN:AT widmet sich eine Biografie einem als homosexuell verfolgten Wiener Juden, Alfred Barth. Anschließend an den Rundgang wechselte die Gruppe in das Landesgericht, um die dortige Gedenkstätte für die im Landesgericht ermordeten Opfer zu besuchen. Der Journalist und Buchautor Jürgen Pettinger widmete sich der Geschichte Franz Doms‘, der dort im Februar 1944 wegen „widernatürlicher Unzucht mit Männern“ hingerichtet wurde. Der Präsident des Landesgerichts, Friedrich Forsthuber, vermittelte anschließend weitere Informationen zur NS-Justiz und zur Rolle des Landesgerichts Wien, in dem zwischen 1938 und 1945 insgesamt über 1.200 Menschen mit dem Fallbeil hingerichtet wurden.

Poetry Slam


Durch ihren Applaus kürten die Teilnehmenden die jeweiligen GewinnerInnen des Slams (OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar).

Die 4 SlammerInnen Katharina, Tamara, Elif und David trugen ihre selbst geschriebenen Texte zum Thema „Qu(e)er:innern – Geschichte, die das Leben schreibt“ vor. Ob Lyrik oder Prosa, Satire oder Storytelling, ob nachdenklich oder lustig, persönlich oder politisch – jegliche Themen und Textgattungen waren möglich, sofern das Zeit­limit von fünf Minuten nicht überschritten wurde. Persönlich waren die Beiträge, die in mehreren Runden dem begeisterten Publikum vorgetragen wurden, allesamt – hatten sie doch u.a. das eigene Coming Out zum Thema. Die ZuschauerInnen bestimmten durch ihren Applaus den Ausgang der von Diana Köhle moderierten Performance: David überzeugte im Finale durch seine Beschreibung, wie es ihm als Partner eines Vorarlbergers mit dessen (sprachlichen) Eigenheiten, nicht selten Merkwürdigkeiten, ergeht.


Der Gewinner des Slams, David Samhaber, bei der Performance (OeAD/APA-Fotoservice/Rastegar).

LGBTIQ+ Feindlichkeit im Kontext Schule und Handlungsstrategien

Der dritte und letzte Seminartag begann am 18. November mit dem sogenannten Marktplatz des Seminars, auf dem Institutionen jedes Jahr die Gelegenheit haben, sich und ihre Materialien vorzustellen und mit den Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen. 

„LGBTIQ+ Feindlichkeit im Kontext Schule und Handlungsstrategien“ lautete der Titel des von der Musikerin und Journalistin Ebru Sokolova moderierten Panelgesprächs, an dem Gerald Rauch, stellvertretender Abteilungsleiter „Gleichstellung und Diversitätsmanagement“ im BMBWF, Patrick Rumpf, Schüler, Viktoria Veronese, Lehrerin, Verein „ausgesprochen!“ und Wolfgang Wilhelm, Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ+ Angelegenheiten, teilnahmen. Die allgemein gehaltene Einstiegsfrage bezog sich auf die konkreten Aufgabenbereiche, Herausforderungen und Erfahrungen der DiskutantInnen. Gerald Rauch skizzierte zunächst die Zuständigkeiten seiner Abteilung, in der die Grundlagenarbeit zu Gleichstellungs- und Diversitäts-Policies und -Maßnahmen im Aufgabenbereich Bildung, Wissenschaft, Forschung im Zentrum steht. Anschließend ging er auf den Grundsatzerlass für reflexive Geschlechterpädagogik ein. Dieser liefert „Anregungen, wie Fragen der Gleichstellung in der öffentlichen Schule – vor dem Hintergrund einer pluralistischen, von religiöser, kultureller und sozialer Vielfalt geprägten Gesellschaft – sowohl auf Fach- und Unterrichtsebene als auch auf Ebene der sozialen Beziehungen berücksichtigt werden können.“ Rauch unterstrich den verfassungsmäßig verankerten Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsauftrag und die Wichtigkeit, Lehrpersonen zu befähigen, ihre SchülerInnen zu empowern, gegen LGBTIQ+ Feindlichkeit aufzutreten. 

Aufzeichnung der Podiumsdiskussion

Patrick Rumpf erzählte von wiederholten persönlichen Erfahrungen mit homophober Anfeindung und Gewalt in seiner Schule. Fassungslos und traurig machte ihn insbesondere das Nichteingreifen von Lehrpersonen, die bei den Vorfällen anwesend waren. Den Mut zu finden, über das Erlebte in der Öffentlichkeit des Seminars zu sprechen, war bewundernswert. Viktoria Veronese schilderte ihre Erfahrungen als Lehrerin und Obfrau des Vereins „ausgesprochen!“. Dieser schafft eine Diskussions- und Projektplattform für LGBTIQ+-LehrerInnen in Österreich und widmet sich der Aufklärungsarbeit, um die Präsenz von LGBTIQ+ zu betonen und zu einer „diskriminierungsfreien Zone Schule” beizutragen. Immer noch nicht ist ein Coming Out an der Schule für alle eine Option, für SchülerInnen und Lehrpersonen gleichermaßen. Manchen wird von der Schulleitung nahegelegt, ihre sexuelle Identität für sich zu behalten, andere verheimlichen sie von sich aus, weil sie sich vor den Reaktionen fürchten. Dabei, so Veronese, sei gerade der Rückhalt der Schulleitungen essenziell. Was Diskriminierungen unter der SchülerInnen betrifft, sei wichtig, diese bei ihren eigenen Diskriminierungserfahrungen „abzuholen“. Auch Wolfgang Wilhelm gab Einblick in seine Arbeit bei der Antidiskriminierungsstelle und schilderte einige exemplarische Fälle von LGBTIQ+ Feindlichkeit an Schulen. Das oberste Ziel sei, die Sicherheit von queeren SchülerInnen sicherzustellen, bei Vorfällen müssen LehrerInnen sofort intervenieren und  diese Intervention müssen alle mitkriegen. Inwieweit Reaktionen möglich seien oder verunmöglicht werden, sei auch Frage der Schulhauskultur, es braucht klare Vertrauenspersonen und ein umfassendes Case Management.


Patrick Siegele und Manfred Wirtitsch im Gespräch (Foto: OeAD)

In Form eines Gesprächs bzw. Interviews fassten Manfred Wirtitsch, Abteilungsleiter „Grundsatzabteilung und überfachli­che Kompetenzen“ im BMBWF und Patrick Siegele, OeAD Bereichsleiter Holocaust Education, die Erkenntnisse des dreitägigen Seminars zusammen und versuchten sich an einem Ausblick. Manfred Wirtitsch ging noch einmal auf den wichtigen Grundsatzerlass für reflexive Geschlechterpädagogik und die Bedeutung von überfachlichen Themen im Unterricht ein. Auf die Frage, warum die Praxis – wie man den Panelbeiträgen entnehmen konnte – trotz vieler Erlässe und Fortbildungsangebote anders aussehe, viele wichtige Themen noch unzureichend im Unterricht vorkommen und die Schule immer noch kein diskriminierungsfreier Raum sei, schloss Wirtitsch mit dem positiven Befund, dass es eine immer größere Anzahl an engagierten Lehrpersonen gibt, die sich herausfordernden Themen annehmen und an Fortbildungen wie von ERINNERN:AT teilnehmen: „Demokratie ist anstrengend und muss gepflegt werden.“ 

Wir bedanken uns nochmals bei unserem Kooperationspartner QWIEN, allen ReferentInnen und Förderern, die das Zentrale Seminar möglich gemacht haben: Das Bildungsministerium, die MA7 der Stadt Wien, der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und der Zukunftsfonds.