Kriegsende und Befreiung im Burgenland
Ein Beitrag von Herbert Brettl
Kriegsende
Im Herbst 1944 begannen im Burgenland die Vorbereitungen, um die sowjetische Armee an der Grenze aufzuhalten. Dafür ließ die NS-Führung eine Befestigungslinie, die „Reichsschutzstellung", auch „Südostwall" genannt, errichten, die zumeist aus Panzergräben, Panzersperren und Laufgräben bestand. Für die gewaltigen Schanzarbeiten wurden aus den Reichsgauen Wien, Niederdonau und Steiermark schätzungsweise 50.000 Menschen, Volkssturmmänner, Hitlerjugend und Freiwillige in das Burgenland transportiert. Da die Arbeitskräfte nicht ausreichten, griff man vor allem auf Juden, die aus Ungarn antransportiert wurden, zurück. Die Arbeiten mussten unter den schwierigsten Bedingungen während des Winters 1944/45 durchgeführt werden und wurden zusätzlich durch die rigiden Aufsichtsmaßnahmen der Aufsichtspersonen erschwert. Während der Arbeiten kam es beispielsweise in Deutsch Schützen, Jennersdorf, Neuhaus am Klausenbach, Donnerskirchen und anderen Gemeinden zu schrecklichen Morden an den Zwangsarbeitern. Die größte Opferzahl forderte der Mord an rund 200 ungarischen Juden in Rechnitz. Die Arbeiten am „Ostwall“, der völlig nutzlos war, wurden in der letzten Märzwoche 1945 durch das schnelle Herannahen der Roten Armee beendet.
Aus Furcht vor der hereinbrechenden feindlichen Front flüchteten Teile der Bevölkerung, vor allem führende Nationalsozialisten, in den Westen. Die verbliebenen Bewohnerinnen und Bewohnern suchten sich in Wäldern, Weingärten, Bunkern, Kellern oder auf Dachböden Verstecke. Den Evakuierungsbefehlen der Parteispitzen und der SS leistete die Bevölkerung kaum mehr Folge. Ab Herbst 1944 wurden alle waffenfähigen Männer zwischen 16 und 65 Jahren, die noch keinen Dienst in der Wehrmacht leisteten, dem Volkssturm eingegliedert, dessen Aufgabe es war, die Heimat mit allen verfügbaren Mitteln zu verteidigen. Die Kampfmoral des schlecht ausgerüsteten und ausgebildeten Volkssturmes war, wohl auf Grund der erkennbaren Sinnlosigkeit der Ostwallverteidigung, sehr gering, und die örtlichen Verbände entzogen sich beim Aufmarsch der Russen vielfach dem Einsatz. Die Haupttätigkeit der Wehrmacht in den letzten Märzwochen bestand darin, vor dem Rückzug der deutschen Truppen alle militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen, die dem Feind nützen könnten, zu zerstören. Diese Aktionen waren militärisch nur von geringem Wert und konnten das Vordringen der Roten Armee nur unwesentlich verzögern.
Einmarsch
Am 29. März 1945 überschritten die ersten Truppen der Roten Armee bei Klostermarienberg die Grenze des ehemaligen Burgenlandes und leiteten die Befreiung Österreichs vom Faschismus ein. Der Vormarsch der sowjetischen Truppen ging stetig voran, obwohl an vielen Stellen von den deutschen Truppen Widerstand geleistet wurde. Es kam zu erbitterten Gefechten, wobei es zu großen Zerstörungen kam und auch Zivilistinnen und Zivilisten den Tod fanden. Manche Orte waren mehrere Tage umkämpft. Am 2. April hatten die Sowjets das Nordburgenland befreit. Im Südburgenland kam die Front an der Grenze zur Steiermark zum Stehen. Das Burgenland wurde, zum Großteil nach dem Einmarsch der Roten Armee, für die nächsten Wochen bis zur Einnahme Wiens und der Kapitulation Deutschlands zum Hinterland der Front. Dies bedeutete für das Land eine kriegsmäßige Besetzung und somit ständige Forderungen nach Ablieferung von Nahrungsmitteln und Hilfsgütern sowie einen ständigen Durchzug der Truppen.
Für die sowjetischen Soldaten war mit dem Einmarsch in das verhasste deutsche Nazireich das Ziel der jahrelangen Anstrengung erreicht und die Zeit der Rache und der Beute nach altem schlechtem Kriegsrecht gekommen. In vielen Gemeinden kam es in den nächsten Wochen zu Exekutionen, willkürlichen Morden, zu Plünderungen und Vergewaltigungen. Die Rote Armee überrollte das Land. Doch mitten in diesen Tagen der Not und des Schreckens stand ein Neubeginn.
Wiederaufbau
Noch während die Kämpfe um Wien tobten, setzte die sowjetische Besatzungsmacht zum Neuaufbau der Verwaltung in den Orten Bürgermeister ein – häufig Kommunisten, Leute, die sich als solche bei der Besatzungsmacht angebiedert hatten, bzw. teilweise auch Bürgermeister, die vor 1938 ihr Amt ausgeübt hatten. Deren Aufgabe war es auch, die Requirierungswünsche der Besatzungsmacht zu erfüllen. Im August 1945 erging von den wieder aufgebauten Bezirkshauptmannschaften die Weisung, in den Gemeinden „Provisorische Gemeindeausschüsse" zu bilden, wobei diese paritätisch von den drei anerkannten Parteien (ÖVP, SPÖ, KPÖ) besetzt sein sollten. Gleichzeitig wurden Ortskommandanturen in den Gemeinden eingerichtet, und die Sicherheitslage entspannte sich merklich.
Auf Betreiben des ehemaligen christlichsozialen Landesrates Dr. Lorenz Karall fand am 11. April 1945 ein Treffen mit mehreren führenden Persönlichkeiten aus dem politischen Leben der Zwischenkriegszeit statt. Als Folge des Treffens kam es Mai 1945 zur Bildung eines „Provisorischen Landesausschusses", der sich aus drei Sozialdemokraten, drei Christlichsozialen und zwei Kommunisten zusammensetzte und sich für die Wiedererrichtung des Burgenlandes als selbständige politische Einheit engagierte. Erst das massive Eintreten der Sowjetunion ermöglichte die Wiedererrichtung des Burgenlandes, die Niederösterreich und die Steiermark zu verhindern versuchten. Bis zur ersten Wahl fungierte Ludwig Leser (SPÖ) als Landeshauptmann. Die ersten Landtagswahlen vom 25. November endeten mit einem deutlichen Sieg der Österreichischen Volkspartei, die mit Dr. Lorenz Karall den Landeshauptmann stellte. Die Kommunistische Partei erhielt nur 3,3% der Stimmen.
Das Burgenland hatte zahlreiche Probleme zu lösen, wobei die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, die Beseitigung der Kriegsfolgen, der Neuaufbau der Wirtschaft und die Instandsetzung des Verkehrsnetzes zu den wichtigsten zählten. Zudem war das Burgenland zunächst von westlichen alliierten Hilfsleistungen abgeschnitten. Besonders in das Südburgenland, das von den Liefergebieten abgeschnitten war, gelangten viele Konsumgüter nur über den Schleichhandel zur Bevölkerung. Als Normzuteilung für Lebensmittel wurden 1945 800 Kalorien veranschlagt, die jedoch nicht eingehalten werden konnten. Die kritische Versorgungssituation konnte erst durch Hilfsaktionen der Alliierten, die im März 1946 anliefen, überwunden werden. Infolge des Krieges war das Verkehrssystem zusammengebrochen. Im ganzen Land bestanden keine Zugverbindungen, es gab keine Nord-Süd-Verbindung und es fehlte an Lastkraftwagen, Personenautos und Autobussen. Der wirtschaftliche Aufbau bis zum Ende der Besatzungszeit verlief im Burgenland nicht so rasch und dynamisch wie in den westlichen Bundesländern. Die Anwesenheit der sowjetischen Besatzungsmacht schreckte so manchen Unternehmer von Investitionen ab. Zudem kam die Marschallplanhilfe der Amerikaner dem unter der sowjetischen Besatzungsmacht stehenden Burgenland bei weitem nicht so zugute wie dem von den westlichen Alliierten besetzten Westösterreich. Der Fremdenverkehr stagnierte, die Landwirtschaft blieb der dominante Wirtschaftssektor und die burgenländische Industrie war zu schwach, um genügend Dauerarbeitsplätze zu schaffen.
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