Kriegsende und Befreiung in Niederösterreich
Ein Beitrag von Gregor Kremser
Während große Teile des Südens und des Ostens Niederösterreichs befreit waren, leistete die Wehrmacht im Zentralraum teils erbitterten Widerstand. Desertionen häuften sich, die Feldpolizei ging brutal gegen so genannte Fahnenflüchtige vor und exekutierte jene, die sich unerlaubt von der Truppe entfernt haben, oftmals noch an Ort und Stelle. Im März und April 1945 fielen alliierte Bomben auf St. Pölten und andere Orte in Niederösterreich, wie etwa Krems, oder Amstetten. Hunderte Zivilisten, aber auch ZwangsarbeiterInnen fielen den Angriffen zum Opfer.
„Endphaseverbrechen“
In den letzten Kriegswochen kam es außerdem zu schrecklichen „Endphaseverbrechen“, sowie „Evakuierungs-“ und „Todesmärschen“. Die Außenlager des KZ Mauthausen in Niederösterreich - etwa in Melk oder Amstetten - wurden aufgelöst, die Häftlinge „evakuiert“ oder vor Ort erschossen, wenn sie nicht mehr als transportfähig galten. Im Zuge des am 6. April verübten Massakers im Zuchthaus Stein, auf das eine grausame Menschenhatz in der Umgebung von Krems folgte, starben 400 bis 500 Menschen. Der Überlebende Grieche Gerasimos Garnelis schildert die dramatischen Ereignisse während des Massakers.
„(…) ich habe mir gedacht, wir sind frei, ich will hinaus, ich habe dann immer mehr Schüsse gehört. Plötzlich habe ich dann Soldaten hereinlaufen gesehen, da habe ich dann gewußt, da stimmt was nicht. Da hat dann einer auch schon geschrien: ,SS, SA!‘ Draußen haben sie richtig geschossen. Ich war plötzlich bewußtlos, nach einer Zeit, ich weiß nicht, wie lange, bin ich munter geworden.“ (https://streibel.at/wer-dreimal-stirbt-gerasimos-garnelis/ )
Noch am 2. Mai wurden 228 jüdisch-ungarische ZwangsarbeiterInnen bei Hofamt Priel (Bezirk Melk) getötet. Am 13. April wurden in St. Pölten zwölf Widerstandskämpfer hingerichtet, während zwischen der Roten Armee und verbliebenen Einheiten von Wehrmacht und SS erbitterte Kämpfe rund um die Stadt stattfanden.
Die letzten Kriegstage waren geprägt von Gewalt und Chaos. Die Wehrmacht setzte sich meist ungeordnet Richtung Westen ab. In Niederösterreich irrten freigelassene KZ-Häftlinge, Überlebende von Evakuierungs- und Todesmärschen aber auch bis zu 100.000 ehemalige ZwangsarbeiterInnen umher. Zusätzlich befanden sich Angehörige „volksdeutscher“ Minderheiten in Niederösterreich, die vor der Roten Armee geflohen waren. Am 15. April wurden die Kämpfe rund um St. Pölten eingestellt, bevor am 8. Mai die Rote- und die US- Armee, die am 6. Mai die Enns überschritten hatte, bei Erlauf (nahe Melk) zusammentrafen und das Kriegsende feierten.
Ende Mai und Anfang Juni wurden Tausende Deutschsprachige aus der wiedererrichteten Tschechoslowakei auch nach Niederösterreich vertrieben. Zu diesem Zeitpunkt war zudem noch nicht klar, wie die künftige Grenzziehung der Besatzungszonen aussehen würde, was für weitere Verunsicherung sorgte. Die sowjetische Besatzungsmacht - anfangs an die 400.000 SoldatInnen - wurde mit gemischten Gefühlen gesehen. Das negative „Russenbild“ der NS-Propaganda, aber auch die Angst vor Rachemaßnahmen hatte sich in großen Teilen der Bevölkerung festgesetzt. Die Erfahrungen mit der Besatzungsmacht reichten von traumatisierenden Erlebnissen wie massenhaften Vergewaltigungen und Raub bis hin zur vielzitierten Kinderfreundlichkeit der Rotarmisten.
Übergang zur Demokratie und „Entnazifizierung“
Am 17. April trafen Leopold Figl, Oskar Helmer und Otto Mödlagl im Niederösterreichischen Landhaus in Wien zusammen und bildeten eine provisorische Landesregierung. Figl wurde provisorischer Landeshauptmann, bis Josef Reither nach seiner Rückkehr aus dem KZ Ravensbrück im Juni 1945 diese Position übernahm. Bei der ersten Landtagswahl am 25. November 1945 erhielt die ÖVP 55 %, die SPÖ 40 %, die KPÖ nur 5 % der Stimmen.
Direkt nach Kriegsende mussten sich alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder registrieren lassen, in Niederösterreich sind dies 81.763 Personen. Die Entnazifizierung verlief unkoordiniert, ab 1948 wurde die Mehrheit amnestiert. Bis 1957 galten nur noch 7.656 Personen als belastet. Das Kriegsverbrechergesetz diente als Grundlage für die Volksgerichtshöfe. Der zuständige Volksgerichtshof für Niederösterreich in Wien führte über 50.000 Verfahren durch, darunter das spektakuläre Verfahren zum Massaker von Stein, bei dem die fünf Hauptschuldigen, darunter SA-Standartenführer Leo Pilz, zum Tode verurteilt wurden. Der ehemalige Reichsstatthalter von Niederdonau, Hugo Jury, hatte sich bereits kurz vor Kriegsende 1945 seiner Verantwortung durch Selbstmord entzogen.
Der österreichische „Opfermythos“ verhinderte großteils eine aktive Restitutionspolitik. In Niederösterreich sind etwa 2.500 „Arisierungen“ und 520 Enteignungen in der Landwirtschaft dokumentiert. Jüdische RückkehrerInnen wurden als Belastung empfunden, keine der ehemals 15 jüdischen Gemeinden in Niederösterreich existierte nach Kriegsende.Erst ab 1986 begann eine aktivere Erinnerungskultur in ganz Österreich. Seit den 1990er Jahren setzte sich etwa – neben lokalen und oft privaten Initiativen - „public art“ Niederösterreich für künstlerische Gedenk- und Erinnerungsprojekte ein.
_____________________________________
Weiterführende Informationen und Quellen
Gedenkort Melk: https://www.melk-memorial.org/de
Außenlager des KZ Mauthausen: https://www.mauthausen-memorial.org/de/Wissen/Die-Aussenlager#map||8
Außenlager Amstetten: https://www.mauthausen-guides.at/aussenlager/kz-aussenlager-amstetten
Zeitgeschichte Krems: www.kremsmachtgeschichte.at
Haus der Geschichte Niederösterreich: https://www.museumnoe.at/de/haus-der-geschichte
Zeitgeschichte Wr. Neustadt: http://www.zeitgeschichte-wn.at
Zeitgeschichte St. Pölten: https://www.stadtmuseum-stp.at/veranstaltungen/blick-in-den-schatten-st-poelten-und-der-nationalsozialismus/
Public Art Niederösterreich: https://koernoe.at/de
Erlauf erinnert: https://www.erlauferinnert.at/home.php
Massaker im Zuchthaus Stein:
https://www.doew.at/erinnern/fotos-und-dokumente/1938-1945/april-1945-massaker-im-zuchthaus-stein
https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Massaker_im_Zuchthaus_Stein
Tod an der Schwelle zur Freiheit (Karl Reder 2024), https://www.erinnern.at/bundeslaender/niederoesterreich/artikel/tod-an-der-schwelle-zur-freiheit
https://streibel.at/wer-dreimal-stirbt-gerasimos-garnelis/
Erinnern für die Zukunft: https://www.erinnernfuerdiezukunft.at/blog/das-kriegsende
Massaker Hofamt Priel: https://www.publicart.at/mahnmal-viehofen/docs/Das_Massaker_von_Hofamt_Priel.pdf
_____________________________________
Vertiefungsangebot: Jugendsachbuch
Die Bände der Jugendsachbuchreihe „Nationalsozialismus in Österreich“ behandeln auf dem neuesten Forschungsstand die wesentlichen Themen zum Nationalsozialismus in den einzelnen Bundesländern. Jedes Buch setzt sich dabei auch mit dem Thema Kriegsende und Befreiung auseinander. Neben den geschichtlichen Ereignissen spiegeln die Bücher anhand von Kurzbiografien exemplarisch die Handlungsweisen von Menschen sowie Konsequenzen der Geschichte für den/die Einzelne/n wider.
Das Kapitel zum Kriegsende aus dem Jugendsachbuch „Nationalsozialismus in Niederösterreich“ stellen wir Ihnen hier zum Jahresschwerpunkt kostenlos zur Verfügung: Download
Downloads
Zuordnung
- Region/Bundesland
- Niederösterreich