Der jüdische Friedhof – ein Kulturdenkmal

Am Montag, dem 16. April 2007, fand der so genannte „Aktionstag“ auf dem jüdischen Friedhof in Wiener Neustadt statt. Fast 60 Schüler und Schülerinnen des BRG Gröhrmühlgasse arbeiteten hier intensiv für eine Stätte der Erinnerung und ein wichtiges Kulturdenkmal der Stadt mit beeindruckendem Ergebnis.

In Wiener Neustadt gibt es eine ganze Reihe von Kulturdenkmälern bzw. unter Denkmalschutz stehenden Objekten. Der jüdische Friedhof in der Wiener Straße 95 ist eines davon. Bereits in den 80er Jahren gab es eine heftige Mediendebatte über den Zustand dieses Areals. Vom „vergessenen Friedhof“, von „Verschmutzung“ und „Steinfraß“ war die Rede sowie von der Tatsache, dass in „abgelegenen Friedhofswinkeln Grabsteine unter einem dicken Pflanzenkleid verschwinden“.

Zur Situation des jüdischen Friedhofes:

Grundsätzlich wurde seitens der Stadtgemeinde Wiener Neustadt immer wieder etwas für den jüdischen Friedhof getan. Aber der Zahn der Zeit nagte weiter kontinuierlich an dieser historischen Stätte. Für eine echte Sanierung würden gigantische Geldsummen benötigt werden.

Nach ersten Besichtigungen wurde schnell klar, dass ein Schulprojekt im herkömmlichen Sinne nur begrenzt helfen kann. Die gesamten Randzonen des Areals (konkret die Süd-, West- und Nordseite) waren von massiven Verwüchsen und Wildwuchs überwuchert. Plastikmüll, Glas, Herbstlaub u. a. befanden sich auf dem Gelände – kein befriedigender Zustand.

Die Idee der Einbindung in ein Schulprojekt:

In den späten 80er Jahren hieß es in der Lokalpresse, dass es „vielleicht auch in Wiener Neustadt einen Lehrer und Schüler gibt, die sich der verwahrlosten Friedhofsanlage annehmen“. – Ja, warum denn nicht?

Man muss in diesem Zusammenhang klarstellen, dass es in Österreich immer wieder Schulprojekte gibt, wo Schüler - mit Gartenscheren ausgerüstet – Efeu und Verwuchs zurückschneiden. In Wiener Neustadt gab es ein solches Projekt noch nie! Noch ein Grund, hier und jetzt aktiv zu werden!

 

 

Projektausmaß, Organisation und Unterstützung:

 

Aber nun lag die Entscheidung darin, eine symbolische, oberflächliche Behandlung auch in Wiener Neustadt zu machen oder eine nachhaltigere, intensive Vorgangsweise zu versuchen. Zweiteres konnte jedoch nur mit Unterstützung von Profis erfolgen.

Und eben jene waren es auch, die ohne Zögern ihre Bereitschaft erklärten, nämlich einerseits die Freiwillige Feuerwehr Wiener Neustadt (für Motorsägenarbeiten und Vorarbeiten) und die Magistratsabteilung 13 (für Beratung, Abtransport und Deponierung des Schnitts, Laubs und Mülls).

 

Für den Initiator und Organisator des Projektes, Dr. Werner Sulzgruber, war es vor allem wichtig, dass dieses Projekt, im Speziellen der Aktionstag, nur von Schülern der Oberstufe und nur von Freiwilligen durchgeführt werden sollte. Schließlich galt es körperlich anstrengende Arbeit zu leisten und alle Teilnehmer sollten auch selbst davon überzeugt sein, was sie da tun. Freiwilligkeit und die innere Bereitschaft für die Sache - im Wissen, warum, man es macht – waren sehr wichtig.

Dementsprechend wurde die Projektidee in einzelnen Klassen vorgestellt, der Sinn der Aktion dargestellt, der Sachverhalt des aktiven Tätigwerdens erläutert und bei Interesse um Anmeldung ersucht. Nachdem sich fast 60 Schülerinnen und Schüler (aus den Klassen 6.A, 7.B, 7.C, 8.B und 8.C) gemeldet hatten, war klar: Das Projekt kann durchgeführt werden.

 

Nach dem Einholen aller Bewilligungen, der Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen, dem Informieren aller Verantwortlichen, der Terminfestlegung und der Abstimmungen des zeitlichen Rahmens wurde die Detailorganisation begonnen.

 

 

Projektphase I:  Projektunterricht

 

Mit dem 11. April 2007 wurde in jenen Klassen, wo Schüler an dem Projekt teilnehmen wollten, ein projektorientierter Unterricht begonnen. Im Unterrichtsgegenstand „Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung“ (Dr. Werner Sulzgruber) setzten sich die Schüler (im Umfang von mindestens zwei Unterrichtseinheiten) mit der regionalen Zeitgeschichte auseinander. Hier wurden die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Wiener Neustadt (Entstehung der Kultusgemeinde, Größe, Infrastruktur etc.), die Zeit des Nationalsozialismus („Anschluss“ 1938, „Reichskristallnacht“ etc.) und damit der Zerstörung der jüdischen Gemeinde behandelt. In einzelnen Klassen war dies auch der Auftakt, um sich im Religionsunterricht mit jüdischer Kulturgeschichte und Kultur zu beschäftigen (Mag. Peter Trenker, Mag. Bernhard Schuh). Auf diese Art wurde der Weg auf den jüdischen Friedhof in Wiener Neustadt vorbereitet.

Die Schüler und Schülerinnen sollten geschichtliche und kulturgeschichtliche Hintergründe erfahren, Informationen über die jüdische Bevölkerung und diesen historischen Ort kennen und darüber Bescheid wissen, dass der jüdische Friedhof in der Wiener Straße die letzte Stätte ist, die auf die Präsenz einer großen jüdischen Gemeinde in der Stadt hinweist. Er stellt mit seinen zirka 250 Grabstellen ein sichtbares Zeichen für die Existenz von Juden in der Region Wiener Neustadt dar. Über 700 Männer, Frauen und Kinder lebten einst bis 1938 in unserer Stadt. Das Kulturdenkmal ist damit ein Ort, der Zeitgeschichte erfahrbar macht und Erinnerung ermöglicht: Erinnerung an einen Teil der Stadtgeschichte, an die Geschichte der jüdischen Gemeinde, an Namen und persönliche Schicksale von Juden - an ihr Leben und ihren Tod.

Projektphase II:  „Aktionstag“

 

Ablauf am 16. April:

Der „Aktionstag“ wurde somit ein Tag der Realisierung aller Pläne und Vorsätze. Informiert über den historisch-kulturellen Hintergrund und bereit, sich zu engagieren, trafen sich am 16. April, also an einem Tag mit symbolischem Datum (15./16. April – „Shoa-Gedenktag“) alle Freiwilligen vor dem jüdischen Friedhof. Die Schüler und Schülerinnen hatten die erforderlichen Arbeitsgeräte von zuhause mitgenommen (Astscheren, Gartenscheren, Handschuhe, Schaufeln, Laubrechen, Rechen, Kübeln, Harken, Bürsten etc.). Einzelne Schüler und Eltern übernahmen sogar Transporte (Getränke, Schiebetruhen).

Nach der Begrüßung und Einweisung durch Dr. Sulzgruber (u.a. in Anwesenheit von Dienststellenleiter Mag. Sinabell, Frau Kersch von der Firma Linauer) ging es gemeinsam ans Werk: Freimachung und Reinigung des Areals und der Grabstellen.

Das Wetter war ideal für ein solches Vorhaben und auch die Rahmenbedingungen (z. B. Versorgung mit Speis und Trank) waren entsprechend, um die Motivation zu erhalten. Dankenswerterweise waren im Vorfeld einzelne Firmen und Privatpersonen sofort bereit gewesen, den Aktionstag zu unterstützen: Die Firma Linauer (Karl Linauer und Elke Kersch) stellte Brot & Gebäck, Strudel und allerlei Süßes als Energie-Spender zu Verfügung und lieferte sogar alles in der Früh zum jüdischen Friedhof. Die Firma Fischapark/Interspar (Doris Kapuy) versorgte die fleißige Helferschar mit Getränken, gefüllten Weckerln und Obst. Auf Basis von Geldspenden (Bank Austria Creditanstalt - J. Danzinger; Re/Max Exclusive - M. Brugger) konnten zusätzliche Getränke, Aufstriche und anderes Notwendiges zugekauft werden.

 

Überdurchschnittliches Engagement:

Das Engagement der Helfer war großartig, sicherlich überdurchschnittlich. Das Arbeitsziel, das bis etwa 14.00 Uhr erreicht werden sollte, war bereits um 10.30 Uhr geschafft. So gelang es mit dem vollen Tatendrang der Schüler und Schülerinnen, einen Zustand zu erreichen, wie er ursprünglich nie erwartet werden konnte: Der Freimachung und Grobreinigung folgte nämlich sogar noch eine Feinreinigung!

Die Freiwilligen mussten viele Grabsteine erst einmal entdecken, sich also auf die Suche machen und „Zeugen aus Stein“ sichtbar machen. Vieles, was wohl seit Jahrzehnten verschollen war, konnte wieder ans Tageslicht geholt werden. Mit ausgesprochen intensiver Arbeit und hohem Einsatz gelang es den Jugendlichen, alte Grabstellen freizulegen, massive Überwucherungen und Verwüchse zurückzuschneiden und Grab um Grab herzurichten.

Und es ist kaum zu glauben: Tatsächlich gelang es in dieser für Wiener Neustadt erstmaligen und einmaligen Aktion, einen riesigen Schritt für dieses Kulturdenkmal der Stadt zu leisten. Das, was hier geleistet wurde, und der Umfang der Aktion waren außergewöhnlich!

Zwei Männer der Freiwilligen Feuerwehr (Herr G. Kohlheimer und sein Kollege) hatten bereits wenige Tage zuvor einzelne größere Verwüchse herausgeschnitten und damit eine wichtige Vorarbeit für das Gelingen des Aktionstages gemacht. Die Stadtgemeinde verführte am „Aktionstag“ u. a. ganze  vier volle LKW-Ladungen Schnitt und Laub. Ein Mitarbeiter der Stadtgartenverwaltung betreute und half bei schwierigeren Tätigkeiten. Mehr als 130 Grabsteine wurden von Grund auf richtig freigemacht und zirka 220 Grabstellen gereinigt.

Einige Lehrer und Lehrerinnen des BRG Gröhrmühlgasse unterstützten außerhalb ihrer Unterrichtszeit den Aktionstag vor Ort und betreuten gemeinsam mit Dr. Sulzgruber den Aktionstag, so beispielsweise Frau Mag. Maria Hofer (Biologin - Beratung), Frau Mag. Lucia Maestro (Betreuung), Frau Mag. Marianne Neuber (Transporte, Einkauf, Betreuung), Frau Mag. Margit Polly (Transporte, Betreuung) und Herr Mag. Bernhard Schuh (Betreuung).

 

Ergebnis & Botschaft

 

Das Ergebnis des "Aktionstages" kann sich wirklich sehen lassen. Es ist großartig, was verändert werden kann, wenn sich so viele Jugendliche freiwillig engagieren und aktiv werden. Mit aktivem Einsatz konnte der jüdische Friedhof wirklich vorbildlich hergerichtet werden. Wer den alten Zustand kennt, erkennt diesen Ort nicht wieder.

 

... ein Tag des aktiven Engagements für ein Kulturdenkmal der Stadt

... ein Tag des Sich-Erinnerns anlässlich des Shoa-Gedenktages

... ein Tag für Toleranz und ein friedliches Zusammenleben der Kulturen

 

Junge Menschen können sich für viele Dinge engagieren. Unsere Gesellschaft lebt faktisch vom Engagement des Einzelnen. Es gilt sich ein Ziel zu wählen, etwas, das für einen persönlich relevant und wichtig ist. Und die Bereiche sind vielfältig, sei es im Tier- und Naturschutz, in Politik, Kultur, Sport, im Sozialen etc. Man denke nur an die vielen Menschen, die unentgeltlich in ihrer Heimatgemeinde arbeiten (z. B. in der Betreuung alter Mitmenschen, in der Pflege bestimmter Orte, in der Pfarre, in Vereinen u.v.a.). Es gibt viele wichtige Bereiche, in denen man sich engagieren kann. Aber man sollte es eben auch wirklich tun!

Das gemeinsame Erleben eines solchen Projektes, die Dynamik des Miteinander, das Wissen, dass man hier etwas für die Gesellschaft getan hat, und die Anerkennung von außen (auch wenn es „nur“ ein „Danke!“ ist), das sind zweifellos positive Aspekte.

 

Öffentliches Engagement der jungen Generation soll zum Vorbild für andere werden. Wir können etwas verändern, wenn wir nur wollen. Wir können dort helfen, wo es einer Hilfe bedarf: sei es im sozialen Bereich, sei es für Natur und Umwelt, sei es für schützenswerte Kultur-Denkmäler ...

Initiative, Konzept und Gesamtorganisation:

Mag. Dr. Werner Sulzgruber

Aktion Kulturdenkmal Jüdischer Friedhof Wiener Neustadt (AKJF)

Anfragen: 02622/23115 oder werner.sulzgruber(at)brgg.at

 

Beteiligte Institutionen:            

BRG Gröhrmühlgasse

IKG Wien und Jüdische Gemeinde Baden

Stadtgemeinde Wiener Neustadt

 

Unterstützende Institutionen:    

Bank Austria Creditanstalt (J. Danzinger)

Firma Linauer (K. Linauer)

Firma Re/Max Exclusive (M. Brugger)

Fischapark/Interspar (D. Kapuy)

Freiwillige Feuerwehr (J. Bugnar, G. Kohlheimer)

Kulturkontakt Austria (KKA)

MA 13 Wirtschaftshof Wiener Neustadt (Mag. G. Sinabell)

 

Projektphase III:

Dokumentation des „Aktionstages“: Internet-Präsentation

- für den Inhalt verantwortlich: Dr. Werner Sulzgruber

- für die technische Umsetzung verantwortlich: Mag. Sandra Luef

 

weitere Pläne:

- Workshop (zur Erarbeitung von Informationen zur Ausstellung)

- Ausstellung (spez. Fotos, Luftbilder, Pläne, Historisches, Kulturelles)