Kriegsende und Befreiung in Salzburg

Ein blitzlichtartiger Überblick über zentrale Entwicklungen rund um das Ende des Zweiten Weltkriegs in Salzburg.

Ein Beitrag von Robert Obermair

Salzburg befand sich im Kernland der angeblichen „Alpenfestung“. Auch wenn es sich bei dieser weitgehend um einen von der NS-Propaganda geschürten Mythos handelte, zogen sich aus unterschiedlichen Gründen in den letzten Kriegswochen größere militärische Verbände, NS-Dienststellen und führende Nationalsozialisten in den „Reichsgau“ zurück. Ab April 1945 versuchte die Wehrmacht, eine Verteidigungslinie im Gebiet zwischen Salzach und Salzkammergut aufzubauen. Die neu eingerichtete Stelle des „Kampfkommandanten Salzburg“ wurde von Oberst Hans Lepperdinger übernommen, doch ihm standen nur noch wenige kampffähige Soldaten zur Verfügung.

Am 1. Mai wurde Salzburg von einem letzten Luftangriff getroffen, bei dem 20 Menschen ums Leben kamen. Gleichzeitig rückten seit der Eroberung Münchens und der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau Ende April große US-amerikanische Truppenverbände nach Österreich vor. Ihr Augenmerk lag insbesondere auf Salzburg, das als strategisch wichtiger Zugang zur vermeintlichen „Alpenfestung“. Widerstand gegen die alliierten Truppen war allerdings kaum noch vorhanden. Militärisch übergeordnete Stellen hatten zu diesem Zeitpunkt die Front bereits hinter den Pass Lueg verlegt. In der Nacht vom 3. auf den 4. Mai wurde die kampflose Übergabe der Stadt Salzburg in die Wege geleitet, der Rest des Bundeslands wurde in den folgenden Tagen von amerikanischen, französischen und britischen Truppen befreit.

Die rasche Befreiung dieses vermeintlichen nationalsozialistischen Rückzugsraums verhinderte allerdings auch in Salzburg keine Endphaseverbrechen der Nationalsozialisten. So ermordeten etwa SS-Angehörige nur wenige Stunden vor dem Eintreffen der US-Truppen im Salzburger Volksgarten den Ukrainer Michael Chartschenko, einen Häftling aus dem KZ Dachau, der zuvor in einem lebensgefährlichen Arbeitskommando zum Schuttaufräumen, Bombensuchen und Entschärfen von Zeitzündern eingesetzt worden war. In Hallein hingegen wurde ein potenzielles Endphaseverbrechen durch das mutige Einschreiten der kommunistischen Widerstandskämpferin Agnes Primocic verhindert, der es gelang, die Freilassung aller im KZ-Außenlager Hallein internierten Häftlinge noch vor der Befreiung durch die Alliierten zu erwirken.

Mit der Befreiung durch die Alliierten gerieten in Salzburg auch zahlreiche führende Nationalsozialisten wie etwa Hermann Göring und Albert Kesselring, sowie Angehörige nationalsozialistischer Kampfverbände in Gefangenschaft, darunter auch große Teile der berüchtigten SS-Division Wiking. Einige NS-Täter entzogen sich einer Verantwortung ihrer Taten durch Suizid, so etwa der NS-Medizinverbrecher Franz Bodmann, dem allerdings bis heute ein Ehrengrab am kleinen Lender Friedhof gewidmet ist. Andere, wie der SS-Gruppenführer Otto Wächter, konnten in Salzburg untertauchen und in weiterer Folge über die Alpen in Richtung Süden entkommen.

Durch den Zusammenbruch des NS-Regimes befanden sich im Frühjahr 1945 zehntausende Displaced Persons im Bundesland Salzburg, eine diverse Gruppe von ehemaligen Wehrmachtssoldaten und faschistischen KollaborateurInnen und ihren Angehörigen aus ganz Europa, Bombenevakuierten, KZ-Überlebenden, ehemaligen ZwangsarbeiterInnen und freigelassene Kriegsgefangene in Salzburg. In den folgenden Jahren sollte sich das Bundesland zu einer zentralen Drehscheibe von Migrationsbewegungen aus Europa entwickeln, darunter auch zigtausender jüdischer Überlebender der Shoa.

Bis zu einer tiefgehenden kritischen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Salzburgs sollten noch Jahrzehnte vergehen. Das spiegelt(e) sich auch in der lokalen Erinnerungskultur wider. Während Kriegerdenkmäler mit teils kriegsverherrlichenden und revisionistischen Botschaften und die damit verbundene „Traditionspflege“ vor allem das Leiden der eingerückten Salzburger thematisierten und heroisierten, wurden die Opfer des Nationalsozialismus aus dem kollektiven Gedächtnis weitgehend ausgeblendet.


Weiterführende Literatur

  • Johannes Hofinger, Salzburg im Nationalsozialismus. Opfer, Täter, Gegner, Salzburg 2016.
  • Ilse Lackerbauer, Die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges in Salzburg und die „Rettung“ der Stadt - Legende und Wirklichkeit, Dissertation an der Universität Salzburg, Salzburg 1977.
  • Albert Lichtblau/Robert Obermair, Agnes Primocic im Widerstand gegen das austrofaschistische und nationalsozialistische Regime, in: Orte des Gedenkens (Hg.), Hallein – Agnes Primocic, Salzburg 2023, 24-67.
  • Erich Marx, Hg., Bomben auf Salzburg. Die „Gauhauptstadt“ im „Totalen Krieg“, Salzburg 1995.
  • Erich Marx, Hg., Befreit und besetzt. Stadt Salzburg 1945–1955, Salzburg 1996.
  • Robert Obermair, Erzwungene Migration? Schlaglichter der Migrationsgeschichte Salzburgs, in: Patrick Duval, Manfred Oberlechner, Christine Trültzsch-Wijnen (Hg.), Migration bildet, Baden-Baden 2017, 69-83.
  • Robert Obermair/Bernadette Edtmaier/Kay-Michael Dankl/Christoph Würflinger, Erinnern - Stadt - Vergessen. Gedenkorte zur NS-Zeit in Salzburg erkunden, Salzburg 2025.
  • Robert Obermair/Antonia Winsauer, Der Fall Franz Bodmann, in: Alpendistel. Magazin für antifaschistische Gedenkkultur 1 (2020), 52-55.
  • Philippe Sands, The Ratline. Love, Lies and Justice on the Trail of a Nazi Fugitive. Weidenfeld and Nicolson, London 2020.


Weiterführende Links


https://www.stolpersteine-salzburg.at/stolperstein/chartschenko_michael/ 

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