Kriegsende und Befreiung in der Steiermark
Ein Beitrag von Gerald Lamprecht
Das Kriegsende
Die Steiermark war seit 1943 und verstärkt seit 1944 Kriegsschauplatz, als alliierte Bomber vorrangige strategische Ziele aus der Luft angriffen.[i] Ab Ende März 1945 kam es dann auch zu Landkämpfen zwischen den sich zurückziehenden deutschen Truppen und der vorrückenden Roten Armee, die am 29. März 1945 von Ungarn kommend erstmals die deutsche (österreichische) Grenze bei Klostermarienberg im Burgenland überschritten hatte und in den kommenden Wochen das Ziel verfolgte, bis zur Linie Gloggnitz – Bruck an der Mur – Graz und Marburg/Maribor vorzurücken.[ii] In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai marschierten Truppen der Roten Armee von Osten kommend schließlich in Graz ein und besetzen bis zum 15. Mai ungehindert große Teile des Landes. Die übrigen Teile der Steiermark wurden in den ersten Wochen nach Kriegsende von vier weiteren Armeen besetzt. Teile der Obersteiermark fielen an die US-Armee, die bis Liezen und Murau vorrückte. Im Süden waren es die Verbände Titos, die gemeinsam mit unter sowjetischem Kommando stehenden bulgarischen Truppen die Besetzung vornahmen. Die ursprünglich für die Besetzung der Steiermark vorgesehene britische Armee kam bis zum 15. Mai lediglich bis Köflach und in den Raum Judenburg. Sie übernahm erst mit dem Inkrafttreten des alliierten Zonenplanes am 24. Juli 1945 die Besatzung der gesamten Steiermark.[iii]
Befreiung oder Niederlage?
Im Zuge des Vormarsches der Roten Armee und der heftigen Kämpfe in den Monaten April und Mai 1945 kam es zur „Evakuierung“ oder besser Flucht von zehntausenden SteirerInnen aus der Südoststeiermark und der Landeshauptstadt Graz in die Obersteiermark. Neben der Angst vor den Kampfhandlungen hatte viele Menschen nicht zuletzt auf Grund des Wissens um Verbrechen der Wehrmacht, SS und Waffen-SS der letzten Jahre in der Ukraine, in Weißrussland und in Russland Angst vor einer Vergeltung durch die Soldaten der Roten Armee. Aber auch die nationalsozialistische Propaganda, die vor den „Horden aus dem Osten“ warnte, trug ihren Teil zur Flucht bei. Unter den Flüchtlingen befanden sich auch zahlreiche prominente und weniger prominente Nationalsozialisten und ihre Familien, die es vorzogen, in amerikanische oder britische Gefangenschaft zu gehen, anstatt in sowjetische. Nicht wenige von ihnen hofften sich letztlich aus der amerikanischen Zone absetzen und somit auch einer Verfolgung durch die Justiz und die Alliierten entgehen zu können.
Zugleich kam es in den letzten Kriegsmonaten und ersten Wochen der Besatzung auch zu einer Vielzahl an Übergriffen von Soldaten der Roten Armee auf die steirische Bevölkerung. Diese Übergriffe (Gewalttaten, Vergewaltigungen, Verschleppungen, Plünderungen) sollten schließlich in Verbindung mit den Narrativen der NS-Propaganda das Bild der Befreier, die von Vielen nicht als solche gesehen wurden, bis in die Gegenwart prägen.[iv]
Weniger in Erinnerung blieben allerdings die zahlreichen Endphase-Verbrechen, bei denen SteierInnen keine Opfer, sondern Täter und ZuseherInnen waren. Mit dem Vorrücken der Roten Armee wurden ab März 1945 ungarisch-jüdische ZwangsarbeiterInnen vom sogenannten „Südostwall“ auf Todesmärsche durch die Steiermark nach Mauthausen getrieben. Dabei kam es zu zahlreichen Verbrechen und Anfang April zum Massaker am Präbichl, als der Eisenerzer Volkssturm mehr als 200 Menschen auf der Passhöhe ermordete. Ebenso wurden in den letzten Kriegstagen politische Häftlinge aus den Gefängnissen in Graz geholt und ermordet.
Der Wiederaufbau der demokratischen Steiermark
Zur gleichen Zeit als am 27. April 1945 die Vertreter der drei Parteien, Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ), Österreichische Volkspartei (ÖVP) und Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ), die Wiedererstehung der selbstständigen Republik Österreich proklamierten, formierten sich auch in Graz die demokratischen Parteien und leiteten den Übergang von der nationalsozialistischen Diktatur zur demokratisch verfassten Zweiten Republik ein. Es waren die Vertreter der Sozialdemokratie, der neu gegründeten Volkspartei sowie der Kommunistischen Partei: Reinhard Machold, Engelbert Rückl und Alois Rosenwirth für die SPÖ, der ehemalige christlichsoziale Landeshauptmann Alois Dienstleder für die ÖVP und Ditto Pölzl für die KPÖ, die bei einem Treffen im Grazer Rathaus am 8. Mai 1945 Reinhard Machold zum Landeshauptmann und Alois Dienstleder zu seinem Stellvertreter ernannten. Diese erste provisorische Landesregierung wurde am 14. Mai 1945 auch von den kommunistischen Besatzern unter Einbeziehung der KPÖ anerkannt.[v] Reinhard Machold blieb auch über den Einschnitt des Besatzungswechsels von den sowjetischen Truppen zu den britischen bis zu den ersten freien Wahlen (Nationalrat und Landtag) am 25. November 1945 Landeshauptmann der Steiermark. Im Zentrum seiner Tätigkeit stand zunächst vor allem die Herstellung der öffentlichen Sicherheit und die notdürftige Versorgung der Bevölkerung gemeinsam mit den Besatzungstruppen. Zudem kümmerte sich die Landesregierung um den Aufbau der Verwaltung, was angesichts der vielen ehemaligen Nationalsozialisten in der Landesverwaltung, in Krankenhäusern oder Schulen erhebliche Probleme bereitete.[vi] Ein weiteres Aufgabengebiet war die Entnazifizierung der Steiermark, die die österreichische, steirische Politik ebenso wie die alliierten die nächsten Jahre beschäftigen sollte.
Jüdinnen und Juden kehrten ab 1946 nur in geringer Zahl in ihre alte Heimt zurück. Hunderte waren ermordet worden und viele Überlebende blieben in ihren neuen Heimatländern. Die 1938 und 1939 vollständig zerstörte jüdische Gemeinde etablierte ab 1946 mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen und österreichischen Behörden langsam wieder eine religiöse, kulturelle und soziale Infrastruktur.
[i] Zusammenstellung auf Basis von: Heimo Halbrainer/Gerald Lamprecht, Nationalsozialismus in der Steiermark. Opfer – Täter – Gegner, Innsbruck/Wien/Bozen 2025.
[ii] Felix Schneider, Die militärischen Operationen in der Steiermark März–Mai 1945, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, Bd. 25, Graz 1994, S. 17–46, hier 19–23.
[iii] Wolfram Dornik, Kriegsende in der Südoststeiermark, in: Wolfram Dornik/Rudolf Grasmug/Peter Wiesflecker (Hg.), Projekt Hainfeld. Beiträge zur Geschichte von Schloss Hainfeld, der Familie Hammer-Purgstall und der gesellschaftspolitischen Situation der Südoststeiermark im 19. und 20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen 2010, S. 230–255, hier S. 230.
[iv] Edith Petschnigg, Die „sowjetische“ Steiermark 1945. Aspekte einer Wendezeit, in: Stefan Karner/Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945–1955. Beiträge, Graz/Wien/München 2005, S. 523–561, hier S. 543–544.
[v] Alfred Ableitinger, Politik in der Steiermark, in: Alfred Ableitinger/Dieter A. Binder (Hg.), Steiermark (Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945) Wien/Köln/Weimar 2002, S. 1–125, hier S. 3–5.
[vi] Karner, Steiermark. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, S. 107.
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