Das Kriegsende in Tirol – die Befreiung Innsbrucks
Tirol war auf den Krieg im eigenen Land militärisch nicht vorbereitet, als amerikanische Soldaten am 28. April 1945 im Außerfern und drei Tage später bei Scharnitz die Grenzen überschritten. Es standen weder effektive Verteidigungsanlagen und genügend Kriegsgerät bereit noch gut ausgebildete Soldaten in ausreichender Zahl. Eine Alpenfestung, in der sich hochmotivierte Kampfgruppen und unzählige Elitesoldaten bereit zum Endkampf verschanzt hatten, blieb Fantasie. Den Befehl zum Ausbau der Alpenfestung gab Adolf Hitler erst zwei Tage vor seinem Selbstmord.
Maßgeblichen Anteil an der Befreiung Innsbrucks hatten Widerstandszirkel in der Gauhauptstadt unter der Führung von Karl Gruber, dem späteren Außenminister, und drei Agenten, allesamt Mitglieder der US-amerikanischen Operation Greenup: Fred Mayer und Hans Wijnberg waren Juden, die in die USA geflohen waren, Franz Weber ein Tiroler Deserteur. Sie funkten heimlich Informationen über die Alpenfestung, das Rüstungsunternehmen Messerschmitt, die deutschen Verteidigungsanlagen in Tirol und militärische und verkehrstechnische Angriffsziele für die US-Luftwaffe. Die US-Agenten halfen mit, die vereinzelten Widerstandsgruppen im Land miteinander zu vernetzen. Dabei knüpften sie Kontakte zu Deserteuren, zur Kripo und sogar in die Gestapo hinein. Eine hervorragende Rolle bei all dem spielte die Unterstützung des Widerstandes durch zahllose Frauen.
Am Abend des 2. Mai 1945 hob der Widerstand den Wehrmachtsstab der Innsbrucker Garnison auf der Hungerburg aus und verhaftete handstreichartig auch Offiziere der SS beim Abendessen, in Innsbruck besetzte er Kasernen. Das NS-Regime zeigte längst Auflösungserscheinungen. Bereits am 1. Mai flüchteten erste Angehörige der Gestapo und des SS-Sicherheitsdienstes, am 3. Mai desertierten die Staatsterroristen endgültig, sie verließen Innsbruck in einem Autokonvoi. Die Spitzen der Partei mit Gauleiter Franz Hofer zogen sich am 3. Mai gegen Mittag auf dessen Anwesen in Volders nahe der Gauhauptstadt zurück. Der Tiroler Widerstand nutzte das Machtvakuum und zwang den Polizeipräsidenten und den Leiter der Gendarmerie gegen 13 Uhr zur Aufgabe. Um 14 Uhr besetzten die Widerständler das leere Gauhaus, kurz zuvor hatten sie bereits den Sender Aldrans ohne Gegenwehr eingenommen. In seiner ersten Radiosendung zwischen 15 und 16 Uhr meldete der Widerstand, dass er in Tirol die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, mit der Ankunft der alliierten Truppen sei in Bälde zu rechnen. Bis zuletzt kam es zu einzelnen Schusswechseln. Der Widerstandskämpfer Franz Mair, Lehrer am Akademischen Gymnasium, kam dabei zu Tode. Ihm wurde 1946 in einer großen Feier eine Gedenktafel am Alten Landhaus in Innsbruck gewidmet. Die Tafel blieb über Jahrzehnte das einzige Erinnerungszeichen, welches das Land Tirol initiierte.
Um 17 Uhr 10 verkündete das Radio den Waffenstillstand in Italien, um 17 Uhr 30 folgte der Aufruf an alle Angehörige des Widerstandes, zum Rathaus zu kommen, um sich zu bewaffnen und mit Armbinden der Österreichischen Widerstandsbewegung einen behelfsmäßigen Polizeidienst anzutreten. Bald waren hunderte Männer derart ausgerüstet; in ihren Reihen fanden sich, so Gruber, „nicht wenig Nazi, die die Gelegenheit für günstig erachteten, sich schnell in die Rolle eines Widerstandskämpfers hineinzuwerfen.“
Um 19 Uhr 45 rückte das 1st US-Battalion in Innsbruck ein. Als Major Shelden D. Elliot vor dem Gauhaus/Landhaus aus dem Auto stieg, wurde eine amerikanische Fahne aufgezogen. Ein Exekutivausschuss stellte sich als eine Art Landesregierung unter der Führung von Karl Gruber vor. Gruber übergab Major Elliot Innsbruck als befreite Stadt.
Der Jubel erinnerte die US-Soldaten an die Befreiung von Paris, die Szenen, die sich abspielten, unterschieden sich gänzlich von jenen deutscher Städte. Rufe wie „Heil den Amerikanern“ waren zu hören, Blumen wurden gereicht, Cognac- und Weinflaschen angeboten. Junge Frauen kletterten auf Panzer und Jeeps, um die Soldaten zu küssen. Die freudig erregte Menge schien den Einmarsch der US-Truppen als Befreiung zu betrachten. Doch das stimmte bei weitem nicht für alle, die meisten waren einfach froh, dass der Kriegslärm verstummt war.
Bereits um 18 Uhr hatten Fred Mayer und zwei amerikanische Offiziere Gauleiter Hofer und seine Getreuen am Lachhof in Volders verhaftet. Am 5. und 6. Mai unterschrieben die Oberbefehlshaber der 19. Armee und der Heeresgruppe G die Kapitulation in Innsbruck und München. Sie trat am Mittag des 6. Mai in Kraft und galt auch für die Wehrmachtseinheiten östlich von Innsbruck. Damit war der Krieg in Tirol zu Ende.
Literatur:
Peter PIRKER: Codename Brooklyn. Jüdische Agenten im Feindesland. Die Operation Greenup 1945, Innsbruck–Wien 2019.
Claudia RAUCHEGGER-FISCHER: „Sind wir eigentlich schuldig geworden?“ Lebensgeschichtliche Erzählungen von Tiroler Frauen der Bund-Deutscher-Mädel-Generation, Innsbruck–Wien–Bozen 2018.
Horst SCHREIBER: Endzeit. Krieg und Alltag in Tirol 1945 (Studien zu Geschichte und Politik, Band 26, hg. von Horst Schreiber, Michael-Gaismair-Gesellschaft/ERINNERN:AT), Innsbruck 2020.
Horst SCHREIBER: Kriegsende in Innsbruck, in: Matthias Egger (Hrsg.): „... aber mir steckt der Schreck noch in allen Knochen.“ Innsbruck zwischen Diktatur, Krieg und Befreiung 1933–1950 (Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs, Neue Folge 71), Innsbruck 2020, S. 249–271.