Kriegsende und Befreiung in Vorarlberg
Ein Beitrag von Johannes Spies
„Pays ami“ – vom Norden bis an den Arlberg
Am 27. April 1945 wurde durch Karl Renner die Wiederherstellung der Republik Österreich verlautbart.[1] Zu diesem Zeitpunkt befand sich Vorarlberg noch unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. In den ersten Maitagen des Jahres 1945 rückten französische und marokkanische Truppen der 1. Französischen Armee schrittweise bis an den Arlberg vor, wo sie am 6. Mai schließlich den Arlbergtunnel erreichten.
Der österreichisch-französische Zeitzeuge Herbert Traube (geb. 1924 in Wien) gehörte zu jenen Verbänden, die Vorarlberg 1945 vom nationalsozialistischen Regime befreiten:[2] „[…] Friedrichshafen und schließlich Bregenz. Wir sind die ersten französischen Truppen in Österreich.“[3]
Französische und marokkanische Streitkräfte betraten am 29. April 1945 das Gebiet des heutigen Vorarlbergs und bewegten sich bis zum 6. Mai zum Arlberg vor.[4] Am ehemaligen Grenzübergang Hörbranz-Unterhochsteg wurden diese durch eine Tafel informiert, dass sie nun „Freundesland“ betraten – „Ici l’Autriche, pays ami“.[5]
Infolge der Weigerung die Stadt zu öffnen, kam es am 1. Mai zum Beschuss von Bregenz, der 80 zerstörte Häuser und verheerende Brände zur Folge hatte. Während Teile der ansässigen Bevölkerung sich als HelferInnen betätigten, machten sich andere an das Plündern.[6]
Rückzugsgefechte und Kriegsendverbrechen
Auf dem Weg zum Arlberg und mit dem Ziel, den Vorstoß der französischen Truppen zu verlangsamen, ereigneten sich Rückzugsgefechte zwischen Bregenz und Wald am Arlberg. In diesem Zusammenhang sind die zahlreichen Brückensprengungen zu erwähnen.[7] Bei Lauterach versuchten zwei desertierte Offiziere, Anton Renz aus Bregenz und Helmut Falch aus Mötz in Tirol, die Sprengung der Brücke über die Bregenzer Ache zu verhindern. Der Versuch scheiterte, da die beiden durch Mitglieder der SS in einem Lauteracher Gasthaus festgesetzt, misshandelt und schließlich erschossen wurden. Ihre Leichen wurden in eine Jauchegrube geworfen. Den weiteren Vormarsch verzögerte dies jedoch nur für kurze Zeit. Bereits am 2. Mai erreichten die Franzosen Dornbirn.[8] Das „braune Nest“ wurde durch einen der Tieffliegerangriffe auf Vorarlberger Gebiet getroffen und gegen Mittag kampflos übergeben. Nach Dornbirn, im Gebiet des Wallenmahd, wurde den Franzosen bewaffneter Widerstand entgegengesetzt, ebenso in Hohenems. Durch die militärisch vorteilhafte Erhebung des Kummenbergs entwickelte sich bei Götzis ein intensives Gefecht, wohin sich nach Schätzungen zwischen 2.000 und 3.000 Soldaten zurückgezogen hatten. Zahlreiche zerstörte Wohnhäuser und Opfer in der Zivilbevölkerung waren die Folge.[9] In Krumbach im Bregenzerwald organisierte der Deserteur Max Iberle den örtlichen Widerstand. Beim Versuch die Sprengung einer Brücke zu verhindern, wurde auch er festgenommen und erschossen.[10] Andernorts konnten sich Widerstandsaktivitäten erfolgreicher entwickeln.
Repressalien und Widerstand
Im August 1944 wurden durch das NS-Regime Listen potentieller Widerständiger Christlichsozialer, Monarchisten, Sozialdemokraten und Kommunisten angelegt. Diese dienten in den letzten Kriegstagen als Grundlage für die Festnahme von Geiseln, um die Vorarlberger Bevölkerung zu Ruhe und Gehorsam zu zwingen.[11] Trotz dieser Maßnahmen unterstützten Teile der Vorarlberger Bevölkerung den Widerstand gegen das NS-Regime und es entwickelten sich konkrete Widerstandsbestrebungen.[12]
In zahlreichen Gemeinden Vorarlbergs formierten sich Widerstandsgruppen, welche die Übergabe der Ortschaften an die französischen Truppen übernahmen.[13] Im Kleinwalsertal übernahm am 1. Mai 1945 eine Widerstandsbewegung unter Leitung des Metzgermeisters Peter Meusburger die Kontrolle über die Talschaft, was einen seltenen Fall der Befreiung aus der lokalen Bevölkerung heraus darstellt.[14] In Langenegg im Bregenzerwald inhaftierten Männer aus der Gemeinde am 1. Mai 1945 die örtlichen Mitglieder der NSDAP. Am Abend desselben Tages – das Dorf war bereits mit rot-weiß-roten Flaggen versehen – drang eine SS-Einheit in das Dorf vor und es entwickelte sich ein Gefecht, in dessen Folge sechs Männer der Widerstandsbewegung ums Leben kamen.[15] In Rankweil formierte sich in den letzten Kriegstagen eine Widerstandsbewegung um Alfons Banner. Der ortskundige Mann bemühte sich erfolgreich um die kampflose Übergabe der Gemeinde und wies den französischen Truppen den Weg über Koblach in Richtung Feldkirch, das am 3. Mai ebenso kampflos übergeben wurde.[16] Mit dem Ziel ein mögliches Gefecht um die Stadt Bludenz zu verhindern, versuchte eine Gruppe von etwa vierzig Personen in der Nacht vom 3. zum 4. Mai die örtliche NS-Kreisleitung zu besetzen. Das Unternehmen scheiterte und der Bludenzer Alois Jeller wurde gefangen genommen und nach schweren Misshandlungen mit einem Gewehrkolben erschlagen.[17] Auch im Montafon entwickelten sich zu Kriegsende Widerstandsgruppen. Entsprechende Aktivitäten lassen sich beispielsweise für St. Gallenkirch, wo in der Umgebung des Dorfes versteckte Deserteure aktiv wurden, Bartholomäberg und Partenen festhalten. In Partenen gelang es, die Sprengung von Anlagen der Illwerke zu verhindern und Nationalsozialisten mit dem Ziel zu entwaffnen, weitere Kampfhandlungen zu verhindern.[18]
Flüchtende und Flüchtlinge
Zwischen Lindau und der Schweizer Grenze entwickelten sich ab Ende April 1945 zahlreiche Fluchtbewegungen – flüchtende Angehörige nationalsozialistischer Truppenverbände suchten Zuflucht in der so genannten „Alpenfestung“.
In diesem Zusammenhang ist auch die russische „Nationalarmee“ anzuführen. Dabei handelte es sich um eine Truppe, die auf der Seite der Nationalsozialisten kämpfte und über Feldkirch vom 2. auf den 3. Mai den Grenzübertritt nach Liechtenstein unternahm. Dort wurde ihr durch Fürst Franz Josef II Asyl gewährt. Der von General Holmston befehligten Truppe hatten sich in Feldkirch der dort aufhältige russische Thronprätendent Wladimir und sogar indische Truppen angeschlossen.[19]
Vor den Kampfhandlungen Schutz suchende Flüchtlinge versuchten den Grenzübertritt in die benachbarte Schweiz.[20] Eine Gruppe von etwa 600 Frauen und Kindern aus Vorarlberg unternahm dies, was ihnen am 2. Mai gewährt wurde. Tags darauf musste diese jedoch wieder zurückkehren.[21] Ebenso versuchten tausende Menschen von Vorarlberg aus den Grenzübertritt nach Liechtenstein. Dies hatte eine Befestigung der Liechtensteiner Grenze zur Folge.[22]
Ende und Anfang
Mit der Unterzeichnung der Kapitulation am 7. Mai 1945 ging die Herrschaft des Nationalsozialismus zu Ende.[23] Das Ende der Kriegshandlungen wurde schließlich durch den General der 1. Französischen Armee, Jean de Lattre de Tassigny, am 8. Mai 1945 von Lindau aus verkündet.[24] Auch nach dem Untergang des Nationalsozialismus war Vorarlberg eine „Durchgangsstation“ für Flüchtlinge: Zehntausende jüdische Flüchtlinge – so genannte „Displaced Persons“ – bewegten sich über das Gebiet Vorarlbergs. Bis 1954 lebten mehr als eintausend jüdische Flüchtlinge in Bregenz und Hohenems.[25]
Weiterführende Hinweise
- Interview mit Herbert Traube auf der Video-Plattform „weitererzaehlen“: Link
- Vortrag von Stadtarchivar Thomas Klagian (Bregenz) über das Kriegsende in Bregenz: Link
- Über die Website der Johann-August-Malin-Gesellschaft kann das Standardwerk "Wieder Österreich. Befreiung und Wiederaufbau – Vorarlberg 1945" abgerufen werden: Link
- Dietlinde Löffler-Bolka, Vorarlberg 1945. Das Kriegsende und der Wiederaufbau demokratischer Verhältnisse in Vorarlberg 1945, Bregenz 1975.
- Georg Schelling, Festung Vorarlberg. Ein Bericht über das Kriegsgeschehen 1945 in Vorarlberg von Msgr. Georg Schelling, Bregenz 1980. [Anm. d. Verf. Die Darstellung von Schelling beinhaltet tendenziöse Formulierungen. Zudem entsprechen quantitative Angaben – beispielsweise über die in Konzentrationslager inhaftierten VorarlbergerInnen nicht dem gegenwärtigen Forschungsstand.]
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Anmerkungen
[1] Brigitte Hamann, Österreich. Ein historisches Portrait, München 2009, S. 162.
[2] Vgl. dazu: Herbert Traube, Eine ungewöhnliche Odyssee von Wien nach Paris und Menton. Erinnerungen, Wien 2021.
[3] Herbert Traube, Eine Odysee von Wien nach Menton, [https://www.youtube.com/watch?v=W5aJqe_89D8], 26.02.2025.
[4] Karl Heinz Burmeister, Geschichte Vorarlbergs. Ein Überblick, Wien 1998, S. 193f.
[5] Harald Walser, Die letzten Tage des Krieges, in: Johann-August-Malin-Gesellschaft (Hrsg.), Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933–1945 (Beiträge zu Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 5), Bregenz 1985, S. 214–233, hier S. 215.
[6] Meinrad Pichler, Am Ende eines Irrwegs, in: Werner Bundschuh/Meinrad Pichler/Harald Walser, Wieder Österreich! Befreiung und Wiederaufbau – Vorarlberg 1945, Bregenz 1995, S. 13–38, hier S. 25.
[7] Gerhard Wanner, Vorarlberg 1945. Kriegsende und Befreiung, Feldkirch 1996, S. 19.
[8] Pichler 1995, S. 13–38, hier S. 25.
[9] Dietlinde Löffler, Das Ende der deutschen Herrschaft und die Befreiung Vorarlbergs durch die Franzosen, in: Gerhard Wanner (Hrsg.), 1945. Ende und Anfang in Vorarlberg, Nord- und Südtirol, Lochau 1986, S. 9–23, hier S. 15f.
[10] Meinrad Pichler, Nationalsozialismus in Vorarlberg. Opfer–Täter–Gegner, Innsbruck 2012, S. 354.
[11] Ebd.
[12] Walser 1985, S. 214–233, hier S. 215.
[13] Meinrad Pichler, Das Land Vorarlberg 1861 bis 2015 (Geschichte Vorarlberg 3), Innsbruck 2015, S. 269.
[14] Markus Barnay, Vorarlberg. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Innsbruck-Wien 2011, S. 65f.
[15] Walser 1985, S. 214–233, hier S. 217.
[16] Wanner 1996, S. 22f.
[17] Pichler 2012, S. 354.
[18] Michael Kasper, Das Montafon unterm Hakenkreuz (Montafoner Schriftenreihe 33), Innsbruck 2023, S. 381–387.
[19] Henning v. Vogelsang, Der Grenzübertritt der russischen Nationalarmee bei Feldkirch nach Liechtenstein, in: Gerhard Wanner (Hrsg.), 1945. Ende und Anfang in Vorarlberg, Nord- und Südtirol, Lochau 1986, S. 25–29, hier S. 25ff.
[20] Pichler 2012, S. 348.
[21] Wanner 1996, S. 17.
[22] Wanner 1996, S. 67.
[23] Burmeister 1998, S. 194.
[24] Pichler 2012, S. 356.
[25] Hannes Sulzenbacher, Die Geschichte der Juden von Hohenems, in: Hanno Loewy (Hrsg.), Heimat Diaspora. Das Jüdische Museum Hohenems, Hohenems 2008, S. 46–219, hier S. 183f.
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Vertiefungsangebot: Jugendsachbuch
Die Bände der Jugendsachbuchreihe „Nationalsozialismus in Österreich“ behandeln auf dem neuesten Forschungsstand die wesentlichen Themen zum Nationalsozialismus in den einzelnen Bundesländern. Jedes Buch setzt sich dabei auch mit dem Thema Kriegsende und Befreiung auseinander. Neben den geschichtlichen Ereignissen spiegeln die Bücher anhand von Kurzbiografien exemplarisch die Handlungsweisen von Menschen sowie Konsequenzen der Geschichte für den/die Einzelne/n wider.
Das Kapitel zum Kriegsende aus dem Jugendsachbuch „Nationalsozialismus in Vorarlberg“ stellen wir Ihnen hier zum Jahresschwerpunkt kostenlos zur Verfügung: Download