Prävention: Vorbeugender Unterricht
Eine vorbeugende schulische Bearbeitung von Antisemitismus befasst sich neben grundsätzlichen Fragen der pädagogischen Herangehensweise mit dem Kennenlernen der Vielfalt jüdischen Lebens, der Thematisierung von Antisemitismus und Diskriminierung, der Auseinandersetzung mit Israel/Palästina sowie der Geschichtsvermittlung zum Holocaust. Neben Wissensvermittlung sind gerade die Vermittlung von Werten und das Erlernen der Fähigkeit zum Perspektivwechsel und der Widerspruchstoleranz wichtig für die Prävention von Antisemitismus.

Grundsätzliches
- Antisemitismus hat eine starke psycho-emotionale Dimension. Seien Sie sich der Grenzen reiner Wissensvermittlung bewusst.
- Alle Gruppen, mit denen Sie arbeiten, sind heterogen – denken Sie bereits bei der Konzeption von Unterrichtseinheiten auch die Perspektiven von Juden und Jüdinnen sowie anderer Betroffener von Diskriminierung mit.
- Kritische Selbstreflexion – Prävention von Antisemitismus braucht eine Auseinanderset¬zung mit den persönlichen Bezügen und Berührungspunkten, der eigenen Biografie und Identität sowie mit der Heterogenität der Gesellschaft.
- Neben Wissensvermittlung sind gerade die Vermittlung von Werten und das Erlernen der Fähigkeit zum Perspektivwechsel und der Widerspruchstoleranz wichtig für die Prävention von Antisemitismus.
- Voraussetzung für die Thematisierung von Antisemitismus und anderen Formen von Diskriminierung ist die Schaffung eines vertrauensvollen, integrativen Lernklimas.
- Nehmen Sie unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen ernst und vermeiden Sie es, diese zu hierarchisieren oder in Konkurrenz zueinander zu stellen.
- Machen Sie jüdische Perspektiven sichtbar, beispielsweise durch die Arbeit mit Lebensgeschichten von Jüdinnen und Juden. Beziehen Sie jüdische Perspektiven auch abseits von Religion oder NS-Geschichte mit ein, beispielsweise im Deutsch-, Englisch-, Kunst- oder Musikunterricht.
- Fördern Sie Begegnungsmöglichkeiten und Dialog.
- Fördern Sie kritische Medienkompetenz und Fähigkeiten wie Quellenchecks, vor allem mit Blick auf die sozialen Medien. Denken Sie Medien- und Demokratiebildung zusammen.
- Zeigen Sie die Multiperspektivität von Geschichte und die Pluralität von Erinnerung auf.
- Besuchen Sie außerschulische Lernorte und Fortbildungen. Lassen Sie sich beraten.
- Pflegen Sie den kollegialen Austausch.
- Versuchen Sie, den Selbstwert von Schülerinnen und Schülern zu stärken und Handlungsoptionen mit Blick auf gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen.
Vielfalt jüdischen Lebens kennenlernen
- Lernen Sie das Judentum in seiner Vielfalt kennen. Setzen Sie sich mit jüdischem Alltag, jüdischer Religion und Kultur heute auseinander.
- Jüdisches Leben darf nicht ausschließlich im Zusammenhang mit Antisemitismus thematisiert werden.
Besuchen Sie Orte jüdischen Alltags und kommen Sie in Kontakt mit Jüdinnen und Juden. - Lernen Sie jüdische Religion, Tradition und Kultur als integralen Bestandteil der österreichischen und europäischen Kultur, Geschichte und Gesellschaft kennen.
- Thematisieren Sie Bezüge zum Alltag, Kultur, Religion und Geschichte von Jüdinnen und Juden in diversen Unterrichtsfächern.
Thematisierung von Antisemitismus und Diskriminierung
- Lernen Sie über Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart. Antisemitismus hat unterschiedliche Erscheinungsformen, Funktionen und Wirkungen.
- Thematisieren Sie auch andere Formen von Diskriminierung und bedenken Sie die zahlreichen Verflechtungen in Macht- und Diskriminierungsverhältnissen.
- Stellen Sie die Beschäftigung mit den Perspektiven und Wahrnehmungen von Betroffenen dabei in den Fokus.
- Jüdinnen und Juden kommen oft unfreiwillig in die Rolle der „Expertinnen und Experten für Antisemitismus“. Adressieren Sie nicht Betroffene als Verantwortliche für die Aufklärung über Antisemitismus.
- Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Externalisieren Sie es nicht auf „die Anderen“ bzw. auf eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe.
Auseinandersetzung mit Israel/Palästina
- Setzen Sie sich multiperspektivisch mit dem Nahostkonflikt, seiner Geschichte und seinen Akteurinnen und Akteuren auseinander.
- Fördern Sie Empathie für die Betroffenen von Krieg und Gewalt in Israel und Palästina. Fördern Sie eine menschenrechtliche Perspektive.
- Thematisieren Sie Projektionen auf Israel und den Nahostkonflikt. Oft geht es nicht um das tatsächliche Geschehen vor Ort, sondern um eine hier geführte, kontroversielle Debatte.
- Fragen Sie nach der Funktion, die die Debatte um den Nahostkonflikt in Österreich spielt.
- Das Thema löst häufig starke emotionale Reaktionen aus. Geben Sie den Emotionen einen Raum und bemühen Sie sich um Versachlichung.
Geschichtsvermittlung zum Holocaust
- Thematisieren Sie Antisemitismus als grundlegendes ideologisches Element des Nationalsozialismus.
- Vermeiden Sie dabei die Reproduktion von antisemitischen Vorurteilen, indem Jüdinnen und Juden eine „Schuld“ an der eigenen Verfolgung attestiert wird („Juden hatten damals viel Geld.“).
- Begrenzen Sie die Auseinandersetzung mit Antisemitismus nicht auf die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocausts. Umgekehrt sollen die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust nicht auf Antisemtismus und die Vernichtung der Jüdinnen und Juden reduziert werden, sondern thematisieren Sie die ideologische Basis des NS, das Konzept der Volksgemeinschaft, etc.
- Achten Sie darauf, keine antisemitische Sprache zu reproduzieren und vermeiden Sie die unhinterfragte Darstellung von antisemitischen Bildern. Auch eine Gegenüberstellung von „den Deutschen“ (bzw. „Österreicherinnen und Österreichern“) als Täterinnen und Täter und den „Jüdinnen und Juden“ als Opfer festigt das Bild von Jüdinnen und Juden als „anders“ und „nicht zugehörig“.
- Ermöglichen Sie einen selbstbestimmten Zugang zu Geschichte. Machen Sie Erin-nerungskultur erfahrbar, indem sie Gedenktage begehen, Gedenkorte aufsuchen oder sich mit der Geschichte des eigenen Ortes oder Familiennarrativen auseinandersetzen.
- Eine Beschäftigung mit dem Holocaust ist nach einem antisemitischen Vorfall nicht hilfreich und erzeugt häufig Abwehr.
- Eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust kann starke Emotionen oder gar Abwehr hervorrufen. Geben Sie Gefühlen Raum, vermeiden Sie aber emotionale Überwältigung und Schockwirkung.
