Große Gedenkveranstaltung anlässlich "75 Jahre Novemberpogrom 1938" in Wr. Neustadt

Zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt Wiener Neustadt fand am Samstag, dem 9. November 2013, eine Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom 1938 statt – 75 Jahre nach diesem Ereignis, initiiert vom Historiker und Pädagogen Mag. Dr. Werner Sulzgruber. Die Veranstaltung, zu der sich weit über 300 Personen einfanden, wurde in den Räumlichkeiten von St. Peter an der Sperr realisiert.

Die Gedenkveranstaltung „75 Jahre Novemberpogrom“

mit der Synagogenprojektion in Wiener Neustadt

Erstmaliges Gedenken in Wiener Neustadt

Nach den Rednerbeiträgen von Bürgermeister Bernhard Müller, BA, MPA, Mag. Dr. Werner Sulzgruber (Organisator und Moderator), Mag. Johannes Reiss (Direktor des österreichischen jüdischen Museums) und Univ.-Prof. Dr. Bob Martens (Technischen Universität Wien) erfolgte eine große Gedenkaktion, die von über 50 Oberstufen-Schülern und Schülerinnen aus Wiener Neustadt umgesetzt wurde. Vertreten waren Schüler und Schülerinnen des BRG Gröhrmühlgasse, des BORG Wiener Neustadt und des BG/BRG Zehnergasse. Das Blechbläser-Ensemble des BORG sorgte für die musikalische Umrahmung.

Zum ersten Mal wurden alle Namen jüdischer Opfer aus Wiener Neustadt öffentlich vorgelesen und damit ihrer gedacht. Es handelte sich um rund 200 Personen: Menschen aller Altersgruppen, vom Kleinkind bis zum Greis. Auch der Ort ihres Todes, sofern er bekannt ist, wurde genannt, wobei der größte Teil der Juden und Jüdinnen aus Wiener Neustadt, die zu Opfern der Shoah wurden, in Auschwitz ermordet wurde.

Parallel zum Verlesen der Namen der Opfer nahmen Schüler und Schülerinnen Kerzen auf, entzündeten diese und stellen sie inmitten der Halle ab. Jeder Schüler bzw. jede Schülerin sollte wissen, für wen er bzw. sie jeweils eine Kerze entzündet. Daher hatten jene zur Vorbereitung von Mag. Dr. Werner Sulzgruber Hintergrundinformationen zu jeder einzelnen Person erhalten (Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnadresse, Familienstand, Beruf, Ort/Datum des Todes etc.).

Die Kerzen stellten „Seelen- bzw. Lebenslichter“ dar. Für die Gäste war dies besonders ergreifend, viele waren zu Tränen gerührt – vor allem dann, wenn deutlich wurde, dass es sich bei den Opfern um Kinder und ganze Familien handelte.

In eigendynamischer, aktionistischer Art und Weise wurden die Kerzen von den Schülern und Schülerinnen in einer sich frei entwickelnden Form platziert, wodurch sich eine geschwungene Lichter-Folge bildete. Abhängig vom Standpunkt des Betrachters erschienen die aneinandergereihten Kerzen wie ein Symbol für eine Blume, einen Vogel oder einen hebräischen Buchstaben. Die Form gab Raum für Interpretationen, wie beispielsweise, dass die nicht abgeschlossene Form ein Zeichen des Bruchs, der Gewalt und des Risses im Leben der Menschen bedeuten könnte.

Informationsbroschüre zum Pogrom

Für diesen Gedenktag wurde eine eigene 80-seitige Broschüre entwickelt, in der die Ereignisse des Novemberpogroms wissenschaftlich aufgearbeitet wurden. In ihr werden die Entwicklungen zum Pogrom erläutert, der Fokus auf Wiener Neustadt und die Region gerichtet sowie die Folgen für die jüdische Bevölkerung gezeigt. Zeitzeugen und Zeitzeuginnen kommen darin zu Wort (wörtliche Interview-Ausschnitte) und biografische Abrisse verdeutlichen individuelle Schicksale. Zahlreiche Abbildung veranschaulichen diesen Teil der Zeitgeschichte.

http://www.verlag-berger.at/alle-produkte/geschichte/detail/v/isbn-978-3-85028-631-2.html

 

Die Projektion der Wiener Neustädter Synagoge

 

Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung konnte man die Synagogenprojektion (Baumkirchnerring 4) bestaunen, mit der erstmals in Niederösterreich ein historisches Gebäude in Originalgröße und an seinem ursprünglichen Standort sichtbar gemacht wurde. Das Anton-Proksch-Haus bot die perfekte Projektionsfläche als unbewohntes Gebäude mit heller Fassade. Da es eine solche Kunst-Aktion (als technische „Wiedererweckung verlorener Architektur und Baukunst“) in Wiener Neustadt noch nie gegeben hatte, war die Faszination des Publikums groß. Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Gedenkveranstaltung – darunter auch Schüler und Schülerinnen sowie Lehrer und Lehrerinnen – nutzten die  Gunst der Stunde und machten eifrig Fotografien von der insgesamt fünf Stunden sichtbaren Projektion.

 

Die Idee zu dieser Kunst-Aktion stammt von Mag. Dr. Werner Sulzgruber, der die Projektion in Zusammenarbeit mit der Stadtgemeinde Wiener Neustadt (KME) umsetzte. Die bildliche Grundlage  kam von Frau Dipl.-Ing.in Susanne Schwarz, die 2010/11 die virtuelle Rekonstruktion des Gebäudes realisiert hatte und ihre Arbeitsergebnisse zur Verfügung stellte. Die Eventmanagement- und Lichttechnik-Firma Pani führte die Projektion vor Ort durch.

Die Zielsetzungen des Projektionsprojekts bestanden darin, die außergewöhnliche Architektur der Synagoge öffentlich sichtbar zu machen, die Originalgröße abzubilden und das Kunstwerk am ursprünglichen Standort vor Augen zu führen. Insofern konnte damit auch der unwiederbringliche Verlust derselben bewusst gemacht werden. Die Umsetzung beim Erinnerungsort Synagoge schuf den Kontext zum religiös-kulturellen Zentrum der jüdischen Gemeinde sowie zur Zerstörung und Vertreibung von Juden und Jüdinnen.  Der Verlust der Synagoge stand symbolisch für den Verlust von Kultur und Leben.

Die Eindrücke der Menschen und ihre Rückmeldungen waren überwältigend. Da in Wiener Neustadt erstmals ein historisches Gebäude technisch „wiedererweckt“ werden konnte, war die Faszination groß.