Filmrezension: „Ein deutsches Leben“

Mehr als ein Ärgernis: Warum Martin Krist den Dokumentarfilm über Goebbels Sekretärin und das gleichnamige Buch für „zwei verstörende und ärgerliche Produkte“ hält.

Eine Filmkritik von Martin Krist, _erinnern.at_ Netzwerker in Wien.

 

Film und Buch „Ein deutsches Leben“ – mehr als ein Ärgernis!

„Nichts haben wir gewusst. Es ist alles schön verschwiegen worden“ und „Ich habe von all den schrecklichen Dingen ein bisschen mehr mitgekriegt als der gewöhnliche Mensch“.
„Wir kriegten wohl mal mit, wenn ein berühmter Schriftsteller einen Brief geschrieben hatte mit einer unguten Bemerkung über Hitler oder Goebbels. Er wurde festgenommen und erschossen. Der wurde gleich hingerichtet. Solche Sachen, so was kriegt man schon mit.“

Diese Worte stammen von Brunhilde Pomsel, einer der Sekretärinnen des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels. Den ersten Satz spricht sie im Film „Ein deutsches Leben“, die weiteren finden sich darin nicht, wohl aber in der Buchpublikation von Thore D. Hansen mit dem gleichnamigen Titel, zusammengesetzt aus den Interviewsequenzen mit ihr. Brunhilde Pomsel war zum Zeitpunkt der Interviews 2013 und 2014 103 Jahre alt – mittlerweilen ist sie verstorben.

Die Intention der Filmemacher und des Herausgebers erfährt man bereits im Untertitel des Buches: „Was uns die Geschichte von Goebbels Sekretärin für die Gegenwart lehrt.“ Entstanden sind dabei aber zwei verstörende und ärgerliche Produkte.

In Großaufnahmen, in Schwarzweiß gehalten sieht man im Film das zerfurchte Gesicht einer sehr alten Frau, die erzählt, Pausen macht und darin offensichtlich nachdenkt, um die passenden Worte zu finden. Sie erzählt über ihre Jugend, ihre Arbeit bei einem jüdischen Versicherungsmakler, ihren nationalsozialistischen Jugendfreund, der sie schon vor 1933 zu einer Göring-Rede mitnimmt, ihre Arbeit für den nationalsozialistischen Schriftsteller und Radiosprecher Wulf Bley (der unter dem Pseudonym W.H. Hartwig NS-affine Schriften produziert). Aber auch von ihrem Jubel am Brandenburger Tor bei Hitlers Machtergreifung 1933, ihrem Parteieintritt in die NSDAP, ihrer sich daraus ergebenden Arbeit im Rundfunk und ab 1942 im Reichspropagandaministerium. Sie sieht sich dabei als Randfigur, bestenfalls als Mitläuferin, aber gegen Ende des Filmes auch als Opfer. Fünf Jahre wird sie in den sowjetischen Lagern Buchenwald und Sachsenhausen interniert. Sie kann sich nicht eingestehen, dass sie eine opportunistische Profiteurin des NS-Terrorregimes war. Und auch von den Nazigräueln will sie erst nach ihrer Enthaftung 1950 erfahren haben.

Zwischen ihren Erzählungen montieren die Filmemacher Originalaufnahmen von Amateuren, NS-Propagandafilmen, US-Wochenschauen usw. Dazu später.

Verstörend ist den ganzen Film über der Eindruck, dass hier eine alte Dame die Filmemacher für ihre Sicht der Dinge gewinnen will. Nichts hat sie gewusst, Politik hat sie nicht interessiert, sie hat bloß ihre Arbeit, sie nennt es ihre „Pflicht“, getan, und wenn sie irgendwie schuldig sein sollte, dann nur im Sinne einer Kollektivschuld. Die offensichtlich stark geschnittenen Interviewsequenzen unterstützen dieses Narrativ. Auch werden die Fragen der Interviewer ausgeblendet und Pomsels Aussagen verkürzt wiedergegeben, wie ein Vergleich mit dem Buch zeigt.

Dass es sich bei Brunhilde Pomsel nicht nur um eine opportunistische Mitläuferin, sondern um eine Profiteurin des NS-Regimes handelt, wird also, so gut wie es möglich ist, verschwiegen. Als sie am 30. Jänner 1933 vorm Brandenburger Tor in der Menge steht („Natürlich habe ich dem Führer zugejubelt“), kann sie selbstverständlich noch nicht wissen, was folgen wird und betont dies auch im Interview. Zu dieser Zeit arbeitet sie noch beim jüdischen Versicherungsmakler Dr. Goldberg in dessen Kanzlei, und erzählt ihm natürlich nichts von ihrer Begeisterung für Hitler. Warum wohl? Ihre heutige Begründung: „Ich war taktvoll genug, dem armen Juden das nicht anzutun.“ Kurz danach tritt sie aus Karrieregründen der NSDAP bei und jammert über die 10 Reichsmark, die ihr das kostet. Damals verdient sie nur 55 RM. Aber bald werden es über 250 sein, und sie wird sich sogar ein Kleid im besetzten Frankreich anfertigen und zuschicken lassen. Der Eintritt als Sekretärin ins Büro von Goebbels war für sie – wie aber nur dem Buch zu entnehmen ist – erzwungen, denn ansonsten hätte sie Repressionen erleiden müssen. Im Film kommt diese absurde Aussage nicht vor, da solche Schutzbehauptungen hinlänglich bekannt und durch nichts belegt sind.

Zusätzlich entwickelt sie vor ihrem ersten Arbeitstag im Reichspropagandaminsterium hektische Aktivität. „Jedenfalls habe ich mir am ersten Abend noch irgendwo ein Parteiabzeichen organisiert für den ersten Tag.“ Danach sieht sie Goebbels fast täglich, über den sie mehrere Male bewundernd spricht. „Ein Mann, der Haltung hatte.“ Dass sie bei der berüchtigten Sportpalastrede 1943 im Saal war, versteht sich von selbst. Sie hat – nach eigener Aussage – aber nicht gejubelt, sondern spricht davon, dass es „ein Naturereignis“ war. „Die Menge konnte nichts dafür. Sie war von einem einzigen Menschen behext worden.“ Weder die Filmemacher, noch der Buchherausgeber stellen richtig, dass im Saal nur ausgewählte, überzeugte Nationalsozialisten saßen.

Manchmal kommen ihre Lügen und Halbwahrheiten aber doch zum Vorschein. Vor dem Verhör nach ihrer Verhaftung 1945 überlegt sie, ob sie lügen oder die Wahrheit sagen soll. „Ich habe mir gedacht, ich sage die Wahrheit. Ich sage, ich habe dort gearbeitet. Natürlich nicht als Sekretärin, ich war eine Stenotypistin im Propagandaministerium bei diesem schrecklichen Dr. Goebbels. Ich habe ihn nie gesehen.“

Ärgerlich sind auch ihre Aussagen zum Widerstand. „Es war nicht möglich, dagegen zu sein. Sein Leben einzusetzen … Das war dumm von ihnen!“ Wenn die Mitglieder der „Weißen Rose“ das nicht gemacht hätten, lebten sie noch heute. „Ich könnte keinen Widerstand leisten. Ich gehörte zu den Feigen.“ Es gibt also nur das Profitieren von der NS-Herrschaft oder den Widerstand. Dazwischen gibt es nichts, denn „das ganze Land war wie unter einer Glocke. Wir waren ja alle selber ein riesiges Konzentrationslager“.

Es gebe noch vieles zu erwähnen, so ihr auch noch im Interview und Buch zu spürender latenter Antisemitismus. Im Film kommt aber im Gegensatz zum Buch lediglich der „Judenzinken“ ihrer jüdischen Jugendfreundin Eva Löwenthal zur Sprache. Deren Schicksal beschäftigt sie dann doch. „Und dann war Eva plötzlich weg … Die gehörte wohl zu den Leuten, die weggeholt worden waren … Und wenn sie im KZ war, war sie ja sicher. Wusste ja keiner, wie es da zuging.“ Eva Löwenthal wird Anfang Jänner 1945 in Auschwitz ermordet.

Sowohl die Filmmacher als auch der Herausgeber des Buches wollen auf Parallelen zur Gegenwart verweisen, vor allem auf den stärker werdenden Rechtspopulismus. Dass dieser leider erstarkt, ist unbestritten, aber warum man zur Warnung davor eine Profiteurin des NS-Terrorregimes braucht, wird nicht verständlich. Natürlich lebt Geschichte vom Vergleich, aber dieser ist schlicht und einfach unbrauchbar.

Und zuletzt der größte Kritikpunkt am Film. In ihn werden mehrere Sequenzen von Originalfilmen aus den 1920er bis 1940er Jahren hineinmontiert. Darunter auch „Leichenbergfilme“, die schrecklicher nicht sein könnten. Man sieht etwa Aufnahmen – vermutlich aus dem Warschauer Ghetto –, die Männer der Leichenkommandos zeigen, wie sie nackte, skelettierte Menschen auf Karren werfen und zu einem Massengrab führen. Dort sieht man dann minutenlang Leichen eine Rutsche in die Grube hinuntergleiten und zwei Männer, die sie hineinschlichten müssen. Das ist selbst für Erwachsene unerträglich, aber vor allem in der schulischen Holocausterziehung undenkbar. Jahrelang haben DidaktikerInnen auf die SchulbuchautorInnen eingewirkt, damit Leichenbergfotos aus den Büchern verschwinden, denn Schock bringt erwiesenermaßen keinen Lernerfolg – und doch sind sie in diesem Film vermehrt zu finden. Es ist zu hoffen, dass Österreichs LehrerInnen diesen Film auch deshalb nicht zu Unterrichtszwecken einsetzen.

Letzter Nachsatz: Von 1950 bis zu ihrer Pensionierung 1971 arbeitet Brunhilde Pomsel wieder als Sekretärin, nun im Südwestfunk SWF, und sie steigt bis zur Chefsekretärin auf. Ihr Chef, Lothar Hartmann, war NS-Kriegsberichterstatter und holte in den 1950er Jahren eine Reihe von ehemaligen NationalsozialistInnen in den Rundfunk.

Martin Krist

Der Text von Martin Krist erschien zuvor in: ZWISCHENWELT. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands. 34 Jg., Nr. 1, 2017

Links:

Brunhilde Pomsel/Thore D. Hansen: Ein deutsches Leben. Was uns die Geschichte von Goebbels Sekretärin für die Gegenwart lehrt. Berlin, München, Zürich, Wien: Europaverlag 2017. 205 S., €19,50

Ein Deutsches Leben (Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer, Florian Weigensamer Ö/D 2016), 113 Minuten

ZWISCHENWELT. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands

Filmkritik von Stefan Grissemann im Profil

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