Sabine Wallinger: Wenn aus Siegern Freunde werden

Am Montag, 18. März 2024, fand am ehemaligen Innsteg, seit 2003 Emile-Béthouart-Steg, die feierliche Enthüllung einer französischen Gedenktafel statt. Sie erinnert an das gute Verhältnis zwischen den französischen Befreiern vom Nationalsozialismus und dem Land Tirol.

Aus Besatzung wurde Freundschaft

Am Montag, 18. März 2024, fand am Nordende des ehemaligen Innstegs, heute Émile-Béthouart-Steg, die feierliche Enthüllung einer französischen Gedenktafel statt, medial begleitet und unter der Anwesenheit von zahlreichen Ehrengästen. Der Wortlaut Venu en Vainqueur/ Resté en Protecteur/ Reparti en Ami dans sa Patrie entspricht der deutschsprachigen Version Als Sieger gekommen/ Als Beschützer geblieben/ Als Freund in die Heimat zurückgekehrt, die mit der Umbenennung 2003 am Südeingang der Fußgängerbrücke angebracht wurde. Endlich hat sie nun ihr französisches Pendant.

Wie kam es dazu? Die Handelsakademie Innsbruck, die seit vielen Jahren ihren Drei-Sprachen-Schwerpunkt „HAK International“ anbietet, unterhält im Rahmen des europäischen Programms Erasmus+ Partnerschaften mit französischen Gymnasien. Während einander vorerst Kolleg*innen durch Besuche kennenlernten und praxisnah ihre Erfahrungen austauschten, besteht seit nunmehr zwei Jahren, dank der Vermittlung des Institut franco-tyrolien (kurz IFTI), auch eine Schulpartnerschaft mit dem Lycée Jean Dupuy in Tarbes, die wechselseitige Gastaufenthalte von Schüler*innen in Innsbruck bzw Tarbes, einer Pyrenäenstadt, organisiert. Wie alle Beteiligten versichern, ist allein der sprachliche Benefit enorm, aber es geht um eine umfassende Erweiterung des Kulturhorizonts und um das Anknüpfen persönlicher Freundschaften. Als Partnerschaftsgeschenk erarbeitete der Professor Christophe Zeni des Gymnasiums Dupuy, auf Anregung der HAK-Französischlehrerin und Erasmusbeauftragten Mag.a  Barbara Ditterich eine Metalltafel mit der französischen Übersetzung des Schilds für Général Émile Béthouart und überreichte sie am 18.3.24 feierlich. Enthüllt wurde sie nordseitig am Béthouart-Steg im Beisein beider Direktoren, Monsieur le proviseur Cyrille Courade und Herrn Dir. Mag. Jochen Hois, sowie hochrangiger Ehrengäste wie DDr. Herwig van Staa, Dr. Franz Pegger, Dr. Ivo Greiter, Dr.in Eva Lichtenberger, Universitätsprofessor*innen der Romanistik und des Instituts für Translationswissenschaften Innsbruck, Professor*innen und Schüler*innen des Lycée Jean Dupuy und der HAK Innsbruck sowie des Historikers und Französischlehrers Dr. Horst Schreiber. Eine ganz besondere Ehre jedoch war es der Stadt Innsbruck, vertreten durch Bürgermeister Georg Willi, die Enkelin des Général Béthouart aus diesem Anlass persönlich zu begrüßen: Madame  Valéry Béthouart Dolique bekundete ihre Verbundenheit mit Innsbruck und Tirol, die ihr von ihrem Großvater „in die Wiege gelegt“ worden war.

 Die Befreiung vom blutigen Nazi-Terror durch alliierte Truppen 1945 hat nicht nur Tirols und Innsbrucks Geschichte nachhaltig geprägt: Général Marie Émile Antoine Béthouart, 1889 – 1982, Oberkommandeur in Vorarlberg und Tirol, französischer Hochkommissar für Österreich, war einer der maßgeblichen Unterstützer von Österreichs Unabhängigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Er nahm Kontakt zu österreichischen Widerstandskämpfer*innen auf widmete ihnen das französische Befreiungsdenkmal am Landhausplatz mit der Inschrift PRO LIBERTATE AUSTRIAE MORTUIS. Es befindet sich nach wie vor im Eigentum Frankreichs und listet heute die Namen von im Widerstand ermordeten Personen auf. Béthouart betrieb im von seinen Truppen besetzten Westösterreich eine umsichtige Appeasement-Politik, indem er beispielsweise an den Grenzen seines Einflussgebiets Schilder mit Ici l’Autriche, pays ami (Hier Österreich, befreundetes Land) aufstellen ließ und sogar, als spezielle Tiroler Charmeoffensive, 1950 am Andreas Hofer-Denkmal einen Kranz niederlegte (Hofer hatte 1809 gegen französische Truppen gekämpft). Der Entnazifizierung verpflichtet, legte er andererseits Wert auf eine pragmatische Weiterführung des lokalen Verwaltungsapparats, der, nicht zuletzt wegen Béthouarts Behutsamkeit, noch lange Jahre danach von Nazis durchsetzt war.

Vor allem sorgte Béthouart für die Implementierung der französischen Zivilisation in Tirol. Die Tiroler Gymnasien boten und bieten flächendeckend Französisch als Zweite Fremdsprache an. Noch vor der Zentrale in Wien wurde 1946 in Innsbrucker Saggen das Institut Français eingerichtet, welches bis 2015 eine Zusammenarbeit mit Französischlehrenden und -lernenden bewirkte und die Innsbrucker Bevölkerung am französischen Kulturleben teilhaben ließ. Als es aufgrund französischer Sparmaßnahmen geschlossen wurde, übernahm das aktuelle Institut franco-tyrolien (IFTI) unter der Leitung von Mag.a  Béatrice Gaigg, dessen Agenden: Sprachkurse, Bibliothek, Kulturveranstaltungen, Austausch, Reisen, kurz: Frankophilie. Das Angebot des IFTI erfreut sich zunehmender Beliebtheit.

Über die Historie hinaus sind die Schulstädte Tarbes und Innsbruck durch geografische und klimatische Gemeinsamkeiten verbunden: Beide liegen am Fuß hoher Berge, was den Umgang mit dem rauen Wetter während der Feier am Émile Béthouart-Steg wohl erleichtert hat.  

Sabine Wallinger, 19.3.2024