Jahresschwerpunkt 2026: 50 Jahre Volksgruppengesetz – Nationale Minderheiten in Österreich. Von der Verfolgung im Nationalsozialismus zur Anerkennung als Volksgruppen

Anlässlich des 50. Jahrestages des Beschlusses des Volksgruppengesetzes und mit dem Ziel, das Wissen über Minderheiten und deren Rechte insbesondere bei Schülerinnen und Schülern zu steigern, setzt ERINNERN:AT 2026 seinen Jahresschwerpunkt auf nationale Minderheiten in Österreich und nimmt dabei speziell die Geschichte und Gegenwart der Kärntner Sloweninnen und Slowenen/Koroški Slovenci in Slovenke in den Blick.

Einführung

Vor dem Hintergrund einer konsequenten „Germanisierungspolitik“ setzten die NationalsozialistInnen nach ihrer Machtübernahme die österreichischen Minderheitenschutzbestimmungen außer Kraft. Wurden Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti sofort verfolgt und vertrieben, so hatten andere nationale Minderheiten zunächst noch Hoffnung, durch „Assimilation“ ihre Existenz zu sichern – so auch die Kärntner SlowenInnen. Die Gewaltmaßnahmen richteten sich zunächst gegen Einzelne und erreichten ihren Höhepunkt im April 1942, als mehr als 1.000 Kärntner Sloweninnen und Slowenen/Koroški Slovenci in Slovenke in Reichsarbeitsdienstlager ins damalige „Altreich“ deportiert wurden. Mindestens 564 Personen kamen im Rahmen der NS-Verfolgung ums Leben: Sie starben in Lagern, wurden nach Urteilen der NS-Justiz hingerichtet oder im Widerstandskampf erschossen.

Mit dem Beschluss der Alliierten von 1949, die Rechte für die slowenische und kroatische Minderheit vertraglich zu verankern, wurde die verfassungsmäßige Grundlage für das österreichische Minderheitenwesen gelegt und als Artikel 7 in den Staatsvertrag von 1955 übernommen. Unterschiedliche bzw. bisher nicht existente Minderheitengesetze wurden schließlich mit dem Bundesgesetz vom 7.7.1976 über die Rechtsstellung von Volksgruppen in Österreich durch eine einheitliche Rechtsgrundlage für alle Minderheiten ersetzt. Das Gesetz definiert Volksgruppen als „die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum.“ [1] Die Erhaltung der Volksgruppen und die Sicherung ihres Bestandes sollen durch verschiedene Instrumentarien gewährleistet werden, etwa durch Volksgruppenförderung, der Einrichtung von Volksgruppenbeiräten zur Beratung der Bundesregierung und zweisprachige topographische Bezeichnungen in festgelegten Gebietsteilen. Zu den gesetzlich anerkannten Volksgruppen in Österreich zählen SlowenInnen/Slovenci (v.a. in Kärnten), Burgenländische KroatInnen/Gradišćanski Hrvati, UngarInnen/Magyarok (v.a. im Burgenland), TschechInnen/Češi, SlowakInnen/Slováci (v.a. in Wien) und Roma und Sinti/Le Rom thaj le Sinti. Letzteren wurde die Anerkennung 1976 vorerst verwehrt und erst 1993 zugestanden. 

Anlässlich des 50. Jahrestages des Beschlusses des Volksgruppengesetzes und mit dem Ziel, das Wissen über Minderheiten und deren Rechte insbesondere bei Schülerinnen und Schülern zu steigern, setzt das OeAD-Programm ERINNERN:AT 2026 seinen Jahresschwerpunkt auf nationale Minderheiten in Österreich und nimmt dabei speziell die Geschichte und Gegenwart der Kärntner Sloweninnen und Slowenen/Koroški Slovenci in Slovenke in den Blick. Aus politischen Gründen wurde ihre Geschichte an Schulen lange nicht gelehrt, wie auch ihre Verfolgung wärend der NS-Zeit die längste Zeit beschwiegen und nicht aufgearbeitet wurde. 

Verfolgung und Widerstand der Kärntner Sloweninnen und Slowenen/Koroški Slovenci [2]

Als die NationalsozialistInnen unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich begannen, RegimegegnerInnen und Minderheiten zu verfolgen, waren von den Kärntner Sloweninnen und Slowenen/ Koroški Slovenci in Slovenke zunächst einzelne exponierte Personen betroffen; der zweisprachige Unterricht wurde sofort abgeschafft und die Verwendung der slowenischen Sprache verboten. Der Höhepunkt der nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen gegen die Kärntner-Slowenische Bevölkerung wurde am 14. und 15. April 1942 erreicht, als mehr als 1.000 Angehörige aus Südkärnten zunächst in ein Sammellager in der Klagenfurter Ebenthalstraße verschleppt und danach in Reichsarbeitsdienstlager ins damalige „Altreich“ deportiert wurden. Bereits vor den Deportationen hatten sich vor allem Kärntner-Slowenische Deserteure dem bewaffneten Widerstand der jugoslawischen PartisanInen angeschlossen, 1942 kamen auch Teile der Kärntner slowenischsprachigen Zivilbevölkerung, sowie von den PartisanInnen befreite oder entflohene Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter:innen dazu und leisteten erbitterten Widerstand gegen das NS-Regime.

Nach 1945

Heute liegen uns dank eines Forschungsprojektes der Kärntner Historikerin Brigitte Entner konkrete Opferzahlen der Kärntner Sloweninnen und Slowenen vor: Mindestens 564 Personen kamen im Rahmen der NS-Verfolgung ums Leben: Sie starben in Lagern, wurden nach Urteilen der NS-Justiz hingerichtet oder im Widerstandskampf erschossen. [3] Die Rückkehr der Überlebenden gestaltete sich schwierig, nicht nur, weil sie ihren enteigneten Besitz zurück erkämpfen mussten, auch weil ihre Verfolgungsgeschichte keine Anerkennung vonseiten der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung fand. Viele ehemalige Partisan:innen wurden aufgrund ihrer pro-jugoslawischen politischen Agitation gesellschaftlich geächtet und ihr Opferstatus infragestellt. Die auch nach Kriegsende anhaltende Diskriminierung der sukzessive kleiner werdenden slowenischen Sprachgruppe in Österreich gipfelte im Oktober 1972 im sog. „Kärntner Ortstafelsturm“, als zweisprachige Ortstafeln, wie sie schon im Staatsvertrag 1955 vorgesehen waren, von deutschnationalen KärntnerInnen gewaltsam demontiert wurden. Der Streit um zweisprachige Ortstafeln sollte noch Jahrzehnte lang andauern. „Kärntner Familien, die auch heute aktiv das Slowenische verwenden, tradieren in ihrem kollektiven Gedächtnis häufig auch eine von Widerstand oder Opferstatus geprägte Erinnerungskultur bezogen auf den Nationalsozialismus und verbinden damit Zuschreibungen von Identität.“ [4]

Aktivitäten zum Jahresschwerpunkt 2026

Das ganze Jahr hindurch möchte ERINNERN:AT gemeinsam mit KooperationspartnerInnen, insbesondere aus den Volksgruppen, aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft Bildungsangebote für Lehrpersonen und die interessierte Öffentlichkeit anbieten. Der Höhepunkt der Aktivitäten wird das Zentrale Seminar von 12. bis 14. November 2026 in Klagenfurt sein. Seminare, Vorträge, Workshops und Exkursionen werden mit kärntner-slowenischen PartnerInnen durchgeführt und zweisprachig angeboten.



[1] Bundesgesetz über die Rechtsstellung der Volksgruppen in Österreich (Volksgruppengesetz – VoGrG), Fassung vom 12.3.2025. URL: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen.&Gesetzesnummer=10000602

[2] Siehe dazu Nadja Danglmaier/Werner Koroschitz, Nationalsozialismus in Kärnten. Opfer – Täter – Gegner, Innsbruck 2015, S. 195-214; Lisa Rettl, 60 Jahre Minderheitenpolitik in Kärnten/Koroška. Ein Streifzug. In: Werner Koroschitz/Lisa Rettl (Hg.), „heiß umfehdet, wild umstritten…“ Geschichtsmythen in Rot-Weiß-Rot, Villach/Klagenfurt 2005, S. 95-140.

[3] Brigitte Entner, Wer war Klara aus Ṧentlipš/St. Philippen? Kärntner Slowenen und Sloweninnen als Opfer der NS-Verfolgung. Ein Gedenkbuch, Klagenfurt 2014, S. 27.

[4] Zweisprachig/dvojezično – Jetzt erst recht!? Zur Zweisprachigkeit Kärntens. Materialien für den Schulunterricht, hg. vom Haus der Geschichte Österreichs in Kooperation mit ERINNERN:AT, 2019, S. 3.

Veröffentlicht am 27.10.2025, zuletzt geändert 07.11.2025