Bericht zur Summer School: Verfolgung. Deportation. Zwangsarbeit. Auf Spuren ungarischer Jüdinnen und Juden zwischen Budapest und Wien.

Von 25. bis 29. August 2025 führte ERINNERN:AT in Kooperation mit dem International Institute for Holocaust Education der Gedenkstätte Yad Vashem erstmals eine Summerschool mit Studienfahrt nach Budapest, ins Burgenland und nach Wien durch. Zielgruppe waren österreichische Lehrkräfte aus allen Bundesländern. Sigrid Buchhas-Lampinen war eine der Teilnehmenden und hat für ERINNERN:AT folgenden Bericht geschrieben.

Das OeAD-Programm ERINNERN:AT führte die 22 Teilnehmenden der Summer School von 25. bis 29. August 2025 auf Spuren ungarisch-jüdischer ZwangsarbeiterInnen nach Buda­pest, ins Burgen­land und nach Wien. Die Fortbildung richtete sich an Lehrkräfte aller Schularten der Fächer Ge­schich­te und politische Bildung. Im Mittelpunkt der fünftägigen Veranstaltung stand die Aus­einander­setzung mit der rigorosen Verfolgung und Depor­tation un­garischer Jüdinnen und Juden und deren Ausbeutung in Zwangsar­beitsla­gern und am Bau des Südostwalls. Ein weiterer Schwer­punkt waren die Endphasenverbrechen der letzten Kriegsmonate.

ExpertInnen präsentierten umfangreiche Lernmaterialien für die Vermittlung des Holocausts. Für unterschiedliche Schulstufen und Schultypen wurde eine Fülle an Unter­lagen, Audio- und Videomaterial vorgestellt. Als besonders wertvoll für den Un­terricht erachteten die Pädagoginnen und Pädagogen die biographischen Materialien. Anhand einzelner Schicksale erhalten Jugendliche einen kleinen Einblick in das Leben und Leiden der jüdischen Bevölkerung. Die Lehrkräfte be­suchten zahlreiche Gedenkstätten und Erinnerungszeichen, die auch mit Klassen erkundet werden können. Das Kennenlernen der Orte, an denen Verfolgte gelebt haben und an denen die Zerstörung jüdischen Eigentums stattge­funden hat, fördert die Auseinandersetzung mit den zahlreichen Ausprägungen und Folgen des Anti­semitismus während der NS-Zeit.

Die Fortbildung startete am 25. August in der Holocaust Gedenkstätte in Budapest. Nach der Begrüßung durch Direktor András Zima, berichtet Adél Nagy über die Deportation von 15.000 ungarischen Jüdinnen und Juden nach Strasshof bei Wien, wo diese zur Zwangsarbeit ver­pflichtet wurden. Willkür und Zufälle bestimmten, ob die Ver­schleppten überlebten oder nicht. Die Zwangsarbeitenden hatten den Weg zu ihren Einsatzorten in Wien und Umgebung eigenständig zu bewältigen und bekamen so die Möglichkeit, um Nahrung zu betteln. Im Frühling 1945 gab es im Lager Strasshof schließlich nichts Essbares mehr. Die Deportierten sollten „dem Feind nicht in die Hände“ fallen, sie wurden nach Bergen-Belsen oder Mauthausen verschleppt. Wenige überlebten. Die unterwegs Getöteten wurden – meist ohne ihre Namen zu registrieren – in Massengräbern verscharrt. Wenigen gelang es, nach Ungarn zurückzukehren.

Mónika Mezei von der Zachor Foundation stellte anschließend eine Sammlung von Videointerviews vor. „Oral History“ ermöglicht Jugendlichen einen Zugang zu den Verbrechen des Holocaust, indem sie Überlebenden ein Gesicht verleiht. Frau Mezei empfahl, dass Lehrende sich bei der Vorbereitung immer fragen: Was ist das Ziel einer Unterrichtsstunde? Was ist das Ziel, wenn wir mit jungen Menschen über den Holocaust sprechen?

Nach den Vorträgen führte Rachel Paetzke die Gruppe durch die Ausstellung des Budapester Holocaust Museums. Auch architektonisch wurden die Phasen jüdischer Verfolgung im Zweiten Weltkrieg hier sichtbar gemacht: In den ersten Räumen fällt der Boden nach unten ab, als die Ghettoisierung und die Deportationen beginnen. Bei der Darstellung des Kriegsendes führt der Weg die Besuchenden wieder etwas nach oben, es geht langsam „bergauf“. Ein Teil der Ausstellung zeigt Bilder und Filme mit schockierenden Darstellungen aus Konzentrations­lagern. Eine intensive Debatte darüber, ob dieses Material BesucherInnen und speziell Jugendlichen zumutbar oder überwältigend ist, schloss die Führung ab.

Am zweiten Tag, dem 26. August, stellte Gad Marcus, Mitarbeiter der Gedenkstätte Yad Vashem, deren pädagogische Ansätze vor. Als Sohn von Holocaust Überlebenden in der Schweiz aufgewachsen, hat er einen persönlichen Bezug zur Vermittlung der Erinnerung an die Shoah. Yad Vashem ist ein Ort des Gedenkens, des Lernens, aber auch Dokumentations- und Forschungszentrum. Die jüdische Sichtweise auf die Shoah erhält Raum. Gad Marcus berichtete, dass in Yad Vashem wenig Bilder der NS-Gräueltaten zu sehen sind. Er sieht ihre Darbietung als Teil einer „nicht-jüdischen Perspektive“, als Reduktion des Holocaust auf „Opfer“ und „Täter“. Respektvolles Erinnern brauche diese Bilder nicht.

Für die Vermittlung des Holocaust an den Schulen empfahl Gad Marcus, sich anfangs damit zu beschäftigen, was das Judentum ist bzw. was jüdische Identität bedeutet. Für die Teilnehmenden gab er einen kurzen Überblick über die vielfältige Geschichte und Entwicklung des Judentums. Seiner Ansicht nach sollten Lehrende den Jugendlichen anhand der Beispiele von Überlebenden und durch die Geschichten von „Gerechten unter den Völkern“ vermitteln: Wir haben eine Wahl. Wir selbst entscheiden, wie wir uns verhalten. Und wir alle haben eine menschliche Verpflichtung, die Würde und Sicherheit aller Menschen zu bewahren.

Der Nachmittag des zweiten Fortbildungstages war einem Besuch des Budapester jüdischen Viertels gewidmet.  Drei Synagogen wurden besichtigt: Die Dohany Synagoge, 1854-1959 von Ludwig von Förster erbaut und mit 3.000 Sitzplätzen ausgestattet, beeindruckt schon allein durch ihre Größe. Unweit der Synagoge stand das Geburtshaus von Zionismus-Begründer Theodor Herzl. 1872 wurde in der Rumbach Straße eine weitere, nach Plänen von Otto Wagner errichtete, Synagoge eröffnet. 1941 wurden hier Jüdinnen und Juden, die keine ungarische Staatsbürgerschaft besaßen (sondern aus Polen, Österreich oder Böhmen eingewandert waren) versammelt, ins Gebiet der heutigen Ukraine verschleppt und dort ermordet. Während der Ghettoisierung 1944 diente die Rumbach-Synagoge aufgrund des Platzmangels als Wohn- und Schlafstätte. Sie wurde stark beschädigt, später mit öffentlichen Geldern restauriert und konnte 2021 wiedereröffnet werden. Die Kazinczy Synagoge wurde als Zentrum für die orthodoxe jüdische Gemeinde in den Jahren 1912-1913 erbaut. Der Gebäudekomplex umfasst eine Rabbinerwohnung, ein Gebetshaus, einen Kindergarten, eine Schule, eine Küche/Cafeteria und eine Mikwe (ein rituelles Bad).

Szilvia Petö-Dittel, Yad Vashem-Koordinatorin für Mittel- und Osteuropa sowie die Balkan-Region, vermittelte der Gruppe beim Rundgang einen guten Eindruck des jüdischen Lebens in Budapest vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. 1933 machten die über 200.000 in Budapest lebenden Jüdinnen und Juden etwa 25% der Bevölkerung aus, sie fühlten sich als Ungarinnen und Ungarn. Nur die Hälfte überlebte den Holocaust, viele davon wanderten in die USA oder nach Israel aus. Die Teilnehmenden der Summer School besuchte einige der Denkmale und Erinnerungszeichen in Budapest, die meist recht versteckt liegen und leicht übersehen werden können: Den letzten Überrest der Ghetto-Mauer, die Grenzlinie des ehemaligen jüdischen Ghettos, ein modernes Gemälde an einer Hauswand, das den „Engel“ Angel Sanz Briz zeigt, eine Gedenk-Skulptur für den Schweizer Diplomaten Carl Lutz, ein Monument, das an Raoul Wallenberg erinnert. Der Spaziergang endete am Freiheitsplatz (Szabadságtér), wo seit 2014 ein Denkmal steht. Es präsentiert Ungarn als Opfer des deutschen Aggressors. Als „lebendiges Denkmal“ wird der Platz von Bürgerinnen und Bürgern immer wieder mit Bildern und Dokumenten geschmückt, die eine Beteiligung der damaligen ungarischen Regierung und Bevölkerung an den Verbrechen sichtbar machen.

Am 27. August, dem dritten Tag der Summer School, waren die Kriegsverbrechen beim Bau des Südostwalls Thema. Dafür reiste die Gruppe an die österreichisch-ungarische Grenze weiter. 1944 kam der Befehl aus Berlin, die Ostgrenze gegen die Rote Armee zu schützen, im Herbst wurde mit den Bauarbeiten begonnen: 15.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden unter widrigen Bedingungen bis zur völligen Erschöpfung eingesetzt.

Herbert Brettl, Historiker und ERINNERN:AT-Netzwerker für Burgenland, berichtete von unmenschlichen Zuständen, vom Ausbruch einer Typhus-Epidemie, von Hunger und Ermordungen. Tausende wurden in Panzergräben verscharrt, ohne ihre Namen zu registrieren. Der Südostwall wurde nie fertiggestellt. Als die Rote Armee immer näher rückte, wurden die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf „Todesmärsche“ Richtung Mauthausen geschickt. Viele wurden unterwegs erschossen. In Balf erinnert ein Denkmal mit stürzenden Grabsteinen an die in der Umgebung Ermordeten. Nächster Programmpunkt war Schattendorf, wo 1944 ebenfalls ein Zwangsarbeitslager eingerichtet worden war. Auch hier brach Typhus aus, die Geschwächten gingen daran zugrunde. Überlebende wurden im Steinbruch von Loretto versammelt und mussten von dort Richtung Mauthausen marschieren. Drei Gedenksteine erinnern in Schattendorf an die Opfer. Die letzte Station im Burgenland war Mattersburg, wo die Existenz einer jüdischen Gemeinde seit 1526 belegt ist. Die Synagoge wurde in der Progromnacht geplündert, Teile des Viertels zerstört. Das jüdische Leben in Mattersburg wurde nach 400 Jahren ausgelöscht, heute ist kaum mehr etwas davon sichtbar. Erinnerungszeichen sind spärlich. Eine Tafel nennt den 1938 aus Mattersburg geflohenen jüdischen Arzt Dr. Richard Berczeller, erwähnt aber nicht, wer er war und auch nicht, dass er Menschen in Not kostenlos behandelte. Ein Weg entlang der Wulka trägt den Namen des letzten Rabbiners Samuel Ehrenfeld. Vom jüdischen Friedhof ist fast nichts erhalten geblieben. Er überrascht durch seine Größe und lässt erahnen, wie groß die jüdische Gemeinde hier einmal gewesen sein muss.

Der vierte Tag der Fortbildung, der 28. August, stand ganz im Zeichen der Methodik und des nachhaltigen Unterrichts. Das Education Lab am Karlsplatz in Wien bot einen perfekten Rahmen. Johannes Glack vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien forscht zur Täterschaft im ländlichen Raum. Er informierte die Gruppe über die Endphasenverbrechen im Kreis Scheibbs im April 1945. Auch er empfiehlt, einzelne Beispiele für die Vermittlung herauszugreifen. Mit Jugendlichen kann die Rolle der HJ bei den Verbrechen gut thematisiert werden, die Beschäftigung mit der eigenen Altersgruppe kann ihr Interesse wecken.

Der anschließende Vortrag von Martin Krist legte den Schwerpunkt auf Materialien, die in der „Digitalen Erinnerungslandschaft Österreich“, kurz DERLA, zu finden sind. Seinen Fokus legte er auf die 300-400.000 in Wien tätigen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Sie mussten Schäden nach Luftangriffen reparieren, in der Rüstungsindustrie arbeiten und wurden in vielen kleinen Unternehmen ausgebeutet. Aufgrund ihrer großen Zahl waren sie für die Bevölkerung präsent, man wusste, was vor sich ging. DERLA stellt online eine große Zahl an Vermittlungsangeboten zur Verfügung. Nach Bundesländern geordnet findet sich Material zu einzelnen Biographien von Opfern, Tätern, Widerstandskämpfern und zu „Wegen der Erinnerung“, die Klassen begehen können.

Am Nachmittag zeigten Louise Beckershaus und Markus Fösl im Haus der Geschichte, wie ein Museumsbesuch durch das Herausgreifen weniger, markanter Objekte didaktisch wertvolle Vermittlung ermöglicht. Sie informierten detailliert über die vielfältigen Bildungsprogramme des HdGÖ.

Auch am 29. August trafen sich die Teilnehmenden im Education Lab. An diesem letzten Tag der Fortbildung präsentierten Daniela Lackner und Antonia Winsauer, beide ERINNERN:AT Netzwerk-Koordinatorinnen für Wien, anschaulich die Fülle an Materialien auf www.erinnern.at und gaben Impulse für die Stundenplanung. Besonders die „Lebenswege“, biographischen Materialien zum Besuch der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, sind gut einsetzbar. 250 Interviews sind auf www.weitererzaehlen.at verfügbar. Viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind inzwischen verstorben, Jugendliche können sie durch Videos trotzdem noch kennenlernen. Die Thematik der „Displaced Person Camps“ (DP Camps), wurde für den Unterricht empfohlen. Frau Winsauer informierte abschließend über gemeinsame Angebote von ERINNERN:AT mit der PH Wien und die Wanderausstellung des Bildungsministeriums „darüber sprechen“.

Was bleibt nach fünf Tagen Summer School? In einer Feedback Runde sprachen die Teilnehmenden über ihre persönlichen Erkenntnisse. Die Erwartungen aller wurden weit übertroffen. Das dichte Programm war hervorragend organisiert, die Vorträge und Workshops geprägt von Wissenschaftlichkeit und didaktisch exzellent aufbereiteten Inhalten. Da die Mitwirkenden für die verschiedensten Organisationen in Israel, Ungarn und Österreich tätig sind, entfaltete sich eine große Vielfalt an Perspektiven. Die Themen waren intellektuell, aber auch emotional fordernd. An manchen Gedenkstätten war das Leid der Misshandelten und Ermordeten beinahe physisch spürbar. Immer wieder tauchte die Frage auf: Wie bringen wir das erworbene Wissen in die Klassenzimmer? Wie können wir im Rahmen des Unterrichts dazu beitragen, dass Jugendliche die Gefahren von Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus erkennen? Die Erinnerung weiterzugeben ist eine herausfordernde, aber essentielle Aufgabe, der sich das Bildungswesen fokussiert zu stellen hat. Die Fortbildung hat Arbeitsbeispiele und Materialien geliefert, mit denen das Erinnern im Unterricht gelingt, ohne Jugendliche zu überfordern.

Veröffentlicht am 29.09.2025, zuletzt geändert 27.10.2025