Abraham Gafni im 94. Lebensjahr in Kirjat Tiw’on, Israel, gestorben

Abraham Gafni, bis 1938 Erich Weinreb, kam 1928 in Innsbruck zur Welt, zehn Jahre später vertrieben ihn die Nationalsozialisten nach Wien. Von dort floh er mit seinem Bruder Poldi nach Palästina. Die meisten seiner Lieben wurden ermordet, so auch seine Großeltern Amalie und Wolf Turteltaub.
Das Holocaust-Mahnmal in Berlin erinnert im „Raum der Familien“ an die Familie Turteltaub.

Abraham Gafni kam regelmäßig zu Besuch in seine alte Heimatstadt Innsbruck, gerne hätte er hier einige Monate im Jahr gelebt, „aber nach Innsbruck ziehen“, betonte er, „nie im Leben.“ Gafni war ein selbstbewusster Israeli, der für die Gründung und das Weiterbestehen seines Landes gekämpft hat.

Seit 2010 hat er in Israel und in Tirol, in öffentlichen Veranstaltungen und in Schulklassen, wieder und wieder über sein Leben berichtet. Er gab Auskunft darüber, wie er den Verlust der Heimat, die Trennung von geliebten Menschen und den Neuanfang in Palästina und im späteren Staat Israel erlebt hat. Abraham Gafni erzählte Geschichten aus einer fernen Zeit und gewaltsam untergegangenen Welt, die er mit seinen eindringlichen Schilderungen wieder lebendig werden ließ. Die Menschen, die sie bevölkerten, brachte er uns mit viel Humor und zahlreichen Anekdoten näher: die Mutter, die elegante Hüte trug und früh an Tuberkulose verstarb, den Großvater, der um die Existenz der Großfamilie rang und allen half, wo er nur konnte, die Großmutter, die ihn mit unerschütterlichem Glauben, Herzensgüte und selbstloser Liebe erzog, den jüngeren Bruder, den er auf der Flucht behütete und der ihn zeit seines Lebens verehrte, die Schwester, das Nesthäkchen, das zurückgelassen werden musste und ums Leben kam, den Onkel Fritz, der ihn mit seinem Schabernack bei Laune hielt, den Cousin Aldo, der als Hüne und bewunderter Sportsmann sein Vorbild war, oder den klein gewachsenen Großcousin David, vor dem die Hitlerjungen verängstigt davonliefen. Bei jedem Zusammentreffen verblüffte Abraham Gafni mit seinem Erinnerungsschatz an Reimen und Gedichten aus der Volksschulzeit. Mit seinem kabarettistischen Talent und seinem Hang, Witze zum Besten zu geben, sorgte er für befreiendes Lachen.

Der Lebensgeschichte von Abraham Gafni haben Irmgard Bibermann und Horst Schreiber ein Buch gewidmet. Schreibers Interview mit Gafni ist von _erinnern.at_ im Online-Archiv www.weitererzaehlen.at abrufbar. Bibermann hat die Lernhomepage www.alte-neue-heimat.at erstellt, auf der das Video-Porträt Gafnis zu finden ist, samt didaktischer Aufbereitung. Zudem erarbeitete sie ein Erinnerungstheater, welches das Leben von Abraham Gafni und Dorli Neale (Pasch) auf die Bühne brachte. Der Schriftsteller Christoph W. Bauer verfasste zehn jüdische Lebensbilder in seinem Buch „Die zweite Fremde“, darunter auch das Lebensbild von Abraham Gafni. All diese Aktivitäten stehen in engem Zusammenhang mit dem Großprojekt „Alte Heimat / Schnitt / Neue Heimat“ unter der Leitung von Horst Schreiber. Die Grundlage dafür waren Begegnungen und Interviews mit aus Tirol vertriebenen Jüdinnen und Juden in England und Israel. Darüber hinaus hat Irmgard Bibermann Schreibers Interview mit Abraham Gafni genutzt, um in einem internationalen Projekt eine Unterrichtseinheit für die mit dem Worlddidac Award ausgezeichnete Lern-App „Fliehen vor dem Holocaust“ für Smartphones zu gestalten.

Abraham Gafni ist oft nach Innsbruck gefahren, um an der Universität Innsbruck, an der Pädagogischen Hochschule Tirol, im Plenarsaal der Stadt Innsbruck, in vielen Schulklassen und im Haus der Begegnung zu sprechen und zu diskutieren. 2011 erhielt er für seine Einsatzbereitschaft als Zeitzeuge und seine Verbundenheit mit Innsbruck das Verdienstkreuz der Stadt. Beim Besuch hochrangiger Repräsentanten und Vertreterinnen aus Politik und den Glaubensgemeinschaften in Israel 2018 beeindruckte Abraham Gafni mit seiner Offenheit und seinem Humor.

Abraham Gafni ist am 11.2.2022 in Kirjat Tiw’on, Israel, gestorben, seine Frau Zipora folgte ihm wenige Tage später. 

In den letzten beiden Jahren, die von der Covid-Pandemie geprägt waren, hegte Abraham Gafni wiederholt die Absicht, nochmals nach Innsbruck zu fahren und jungen Menschen zu begegnen. Dieser Wunsch ging nicht mehr in Erfüllung. Doch derzeit laufen Planungen mit der Stadt Innsbruck und der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg, im Frühjahr eine Gedenkveranstaltung für ihn auszurichten und nochmals seiner Stimme Gehör zu verschaffen. Zum Jahresende wird ein ausführlicher Nachruf auf Erich Weinreb / Abraham Gafni im Gaismair-Jahrbuch 2023 zu lesen sein.

Verdienstkreuz der Stadt Innsbruck für Abraham Gafni, 2011

Horst Schreiber/Irmgard Bibermann: Von Innsbruck nach Israel. Der Lebensweg von Erich Weinreb/Abraham Gafni – Leseproben

Christoph W. Bauer: „Ein altes Schnapsservice in Kirjat Tiw‘on – Bei Abraham Gafni zu Gast“, in: Die zweite Fremde. Zehn jüdische Lebensbilder, 2013.

 

Holocaust-Überlebender 93-jährig gestorben, tirol.orf.at, 15.2.2022

Tiroler Holocaust-Überlebender Abraham Gafni im Alter von 93 Jahren gestorben, TT, 15.2.2022

 

Video-Porträt von Abraham Gafni, erstellt von Irmgard Bibermann 2017; Interview Horst Schreiber

Interview Abraham Gafni, erstellt vom Amt der Tiroler Landesregierung anlässlich des Besuches einer Tiroler Delegation in Israel 2018

Lang-Interview Abraham Gafni 2010, Interviewer Horst Schreiber

2 Stunden, nach Themen indexiert

Abraham Gafni im Interview mit Radio Freirad 2014, Gestaltung Michael Haupt

 

Lern-App „Fliehen vor dem Holocaust“: Modul von Irmgard Bibermann zu Abraham Gafni

 

Abraham Gafni: Wenn Gott beweist, dass er nicht existiert, Der Standard, 10.5.2014

Abraham Gafni: Ich würde nie zurückkommen“, TT, 4.7.2015