Literarische Reflexionen von Exkursionen in die Gedenkstätte Mauthausen

Die jeweils vierten Klassen des G19, Gymnasiumstraße, fahren im Laufe des Schuljahres in die Gedenkstätte Mauthausen, die sich auf dem Gelände des ehemaligen KZ Mauthausen befinde

Den Anfang machten im heurigen Schuljahr die 4A (22.03.2010, Begleitung Mag. Marlene Heider und Mag. Martin Krist) und die 4B (24.03.2010, Begleitung Mag. Albin Klemenjak und Mag. Martin Krist).


Im Rahmen der Nachbereitung dieser eintägigen Exkursionen wurden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, ihre Eindrücke, Empfindungen, Gefühle, ihre Reflexion dieses Tages in Form von literarischen Texten – Lyrik oder Prosa – wiederzugeben bzw. zu verarbeiten. Die dabei entstandenen Texte zeigen, wie sehr sich die einzelnen Schülerinnen und Schüler auf diesen schrecklichen Ort eingelassen haben, wie sie mit diesem Ort umgehen und welche Bezüge zur Gegenwart und Vergangenheit sie finden.
Einige dieser Texte als Beispiele für diese stattgefundene Auseinandersetzung finden Sie nun hier.


Mauthausen
Todesstiege


Wir stehen oben an der Fallschirmspringerwand.
Ein SS-Soldat stößt einen Gefangenen hinunter.


Wir wundern uns, warum noch Eis auf dem Teich ist.
Der Gefangene schlägt auf dem Wasser auf. Sofort ist er tot.

Wir stehen am Beginn der Todesstiege.
Jeder Gefangene nimmt sich, unter den Stockschlägen der Kapos, einen Stein.

Wir gehen langsam hinunter.
Ächzend setzen sich die Gefangenen in Bewegung.

Ich mache eine Pause, um auf die anderen zu warten.
Ein russischer Kriegsgefangener bricht unter seiner Last zusammen.

„Komm, soweit ist es nicht mehr“, sagen mir die anderen.
Stockschläge „helfen“ dem Gefangenen wieder auf die Beine.

Ich bin angekommen und will mich erschöpft auf einen Stein setzen, da hebt ihn eine mage-re Gestalt in einem blau-gestreiften Anzug auf und beginnt ihn nach oben zu tragen.
Ich will helfen, doch dafür ist es zu spät.

Jan E.




Die Todesstiege

Da stand ich. Nur ein Schritt trennte mich von dem gleichen Weg, den vor ca. 70 Jahren un-schuldige Menschen gehen mussten. Ich stellte mir die Szene kurz vor: in Fünferreihen, stöhnend, ausgehungert, müde, bleich, viele krank oder blutend und alle einen schweren Steinblock am Rücken schleppend, Menschen.
Ungewollt zuckte ich zusammen. Da sollte ich hinuntergehen? Meine Freundin fragte, was los sei. Ich antwortete nicht gleich. Schließlich riss ich mich zusammen, nahm tief Luft und flüsterte ein „Lass uns gehen“.
Nach den ersten Schritten wünschte ich mir, dass es regnete. Die Sonne schien und das Wetter war so schön wie noch nie in diesem Jahr. Von der wundervollen Aussicht nicht zu reden. Aber ich konnte mich nicht freuen. Ständig steckte dieser Kloß im Hals.
Nach einigen Metern wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich hörte jemanden lachen. War es wirklich ein Lachen? Ja, da war es schon wieder. Ich konnte es einfach nicht glauben. Verstehen denn diese Menschen nicht, dass auf der Stelle, wo sie gerade gehen, Menschen gestorben sind? Egal, ob erschlagen, erschossen oder einfach, weil sie keine Kraft mehr hat-ten. Mir selber war überhaupt nicht zum Lachen. Plötzlich war ich verzweifelt. Wie konnte es zu so etwas, das man, wenn man auch alle Wörter für „schlimm“ verwendet, nicht ausdrü-cken kann, kommen?  Wie konnte so etwas nur passieren. Und dieses Etwas war noch in den Menschen vorhanden. Ich selber habe das auch einige Male in meinem Leben erlebt. Ich musste an die Wahlplakate der FPÖ denken. Plötzlich bekam ich Schuldgefühle. Mir fielen Situationen ein, bei denen ich mich rassistische Bemerkungen entgegen stellen hätte kön-nen.
Trotz der Hitze zitterte ich. Ich war fast unten angelangt. Die Felsen ragten empor und ich musste einfach die Schönheit dieser Gegend bewundern. Aber die so genannten „Häftlinge“? Die Menschen, die diesen Weg täglich gingen, jedes Mal mit der Frage im Kopf, ob sie am nächsten Tag noch am Leben sein werden? Niemals hätten sie die Welt so bewundert, wie ich in dem Moment es tat.

Unten auf der Wiese spürte ich, dass ich weinen musste. Ist mein Urgroßvater auch so ge-storben? Wurde er auch von einem Felsen hinuntergeworfen? Oder diente er als „Domino-stein“ der SS? Hatte er in den letzten Monaten seines Lebens auch keinen Namen, nur eine Nummer? Tausende solcher Fragen kamen in mir auf. Ich fühlte mich so klein und hilflos in dieser großen Welt. Ich klammerte mich fest an meine Freundin, der es anscheinend auch nicht besser ging. Plötzlich wollte ich nichts wie weg. Weg von diesem Ort, des Schreckens, des Todes, der Verachtung, der Angst, des Wahnsinns. Nur weg. Meine Freundin verstand mich und wir begannen die Stiegen wieder hinaufzugehen.
Rasch merkte ich, dass auch mir, die keinen Mangel an Kondition hat, dieser Weg schwer fallen wird. Und ich trug keinen Stein und hatte auch gute, feste Sportschuhe an. War es wirklich nötig, so viele Menschen zu ermorden um daraus zu lernen, dass alle Menschen (im groben Sinn) gleich sind? Oder…? Ich versuchte, den Gedanken zu vertreiben, aber es gelang mir nicht. Oder hat die Menschheit es noch nicht verstanden? Kann so etwas wieder passie-ren? Ich wusste es nicht, aber plötzlich wurde mir schlecht. Ich warf noch einen letzten Blick ins „Tal des Todes“ und begann meine Schritte zu beschleunigen. Gleichzeitig wurde auch mein Atem schneller.  Oben angelangt, wieder gefasst, hatte ich das Gefühl, dass ich dem Tod noch nie so nahe gewesen war, wie in diesen Augenblicken auf der Todesstiege.
Rebeka K.


So viele Menschen


So viele Menschen
so viele Leben

Sie werden aus ihren Häusern vertrieben
man enteignet sie ihres Besitzes
sie werden in Viehwagons gepfercht
in ein KZ transportiert
man nimmt ihnen die Würde, das Glück, die Geborgenheit

So viele Menschen
so viele Leben

Sie werden kahlrasiert
nummeriert
in Häftlingskleidung gesteckt
sie sind Menschen, so wie wir
Menschen mit Energie, Freude und Einzigartigkeit
man nimmt ihnen dieses Leben

So viele Menschen
so viele Leben

Sie werden ausgehungert
sie werden gefoltert und ausgebeutet
sie sterben an Seuchen, Qualen, in der Gaskammer
manch ein Nazi spielt ein grausiges Spiel mit ihnen
aus Zeitvertreib?
nein, aus Freude am Töten und Quälen

So viele Menschen
so viele Leben
so viel Leid

Sie fehlen
sie fehlen für immer

Teresa B.



Mauthausen

Dieses Mal fiel es mir sehr schwer meine Gedanken zu dem Gesehenen zu ordnen und zu formulieren. Das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen war eine Stätte des Grauens und der Folter, von Mord und Misshandlung, keine Frage. Doch war es diesmal sehr schwer sich auch nur ein kleines bisschen in die Situation eines sogenannten "Häftlings" einzufühlen. Das kann man als Jugendlicher des 21. Jahrhunderts auch keineswegs, und wir haben alle unser Bestes getan. Aber zum Glück werden wir uns niemals auch nur annähernd die Qualen eines "Häftlings" dort vorstellen können. Die Nazis haben unzählige Verbrechen an so vielen Menschen begangen, und man wünscht sich, dies vergessen zu können. Aber das kann und darf man nicht, es gehört nun einmal leider zur Geschichte und wenn man durch die unterir-dische Gaskammer geht, fühlt man sich schlecht dafür, dass Menschen solche Fehler und Verbrechen begehen können. Man schämt sich dafür, in einem Land zu leben, in dem so vie-le unschuldige Menschen ihr Leben durch das Nazi-Regime verloren haben.
Es war ein beklemmendes Gefühl zu wissen, dass man praktisch über Leichen geht, da die Asche der verbrannten Körper manchmal als Zementersatz verwendet wurde. Dass, überall wo man stand, ein Mensch unter Erschöpfung, unbeschreiblichem Hunger und in Angst um sein Leben gestanden hatte.
Es waren nicht nur die Gaskammern an sich, die mich schockierten, vor allem aber, dass es heute noch Menschen, Neonazis, um genau zu sein, gibt, die die Existenz solcher Tötungs-vorrichtungen leugnen oder gar versuchen, die Existenz von Konzentrationslagern zu recht-fertigen. Auch an einem von Trauer, Angst und Schrecken geprägten Ort schrecken diese nicht zurück und ritzen Hakenkreuze in die Wände. Was einem normalen Menschen doch niemals einfallen würde!
Es ist für mich immer noch schwer und wird es wahrscheinlich auch noch länger bleiben, die Eindrücke vom ehemaligen Konzentrationslager zu verarbeiten und zu verstehen.
Ich stellte mir ein paar Fragen auf dem Weg ins KZ Mauthausen: Wie stelle ich es mir vor? Dunkel und düster, eng und kalt. Nun ja, es war vielleicht nicht die richtige Jahreszeit, um einen richtigen Eindruck zu bekommen. Doch irgendwie spürte man die Kälte dieses Ortes und – dass es auch anders aussehen konnte. Würde ich Angst haben in der Gaskammer? Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht genau wusste, wie ich mich dort dann fühlte – es waren viele Gefühle. Ein bisschen Angst. Wut, dass jemals so etwas Schreckliches geschehen konnte und auf alle Menschen bzw. Neonazis, die so etwas gut finden. Verwirrung, die sich bis heute nicht gelegt hat. Trauer um all die Verstorbenen, die, auch wenn es keine Verwandten oder Ähnliches waren, einen auf merkwürdige Weise betreffen. Und Ekel vor all den Schandtaten, die durch die SS begangen wurden. Doch ich habe auch daran gedacht, dass eigentlich in der Welt noch heute so viele Dinge passieren, die einem doch ganz klar falsch vorkommen. Ich weiß nicht, was ich noch sagen kann, es ist wirklich sehr schwierig, über etwas zu sprechen, von dem man eigentlich nur den kleinsten Hauch einer Ahnung hat. Alles, was wir je sehen werden, sind Fotos, Gedenkstätten und Überbleibsel. Und auch mit Erzählungen von Zeit-zeugen können wir doch auch nur schwer umgehen – oder? Und wer sind wir, um uns einzu-bilden, dass wir uns ein Bild der Qualen eines "Häftlings" machen können, wenn wir es doch gar nicht richtig verstehen können. Wäre es doch anmaßend zu sagen, wir verstünden das Leid und die Schmerzen. Insgesamt haben wir doch davon nur wenig Ahnung, und das ist, was es so schwierig für uns macht. Da ich nun genug darüber gesprochen habe, was wir alles nicht wissen und nicht können, beende ich meinen Text, indem ich einmal meine Bewunde-rung all jenen Menschen ausspreche, die ein Konzentrationslager überlebt haben, und jenen, die sich schon damals gegen den Nationalsozialismus gewandt haben.

Linda P.




Mauthausen
24.3.2010

Wärme, Sonne, die Donaulandschaft in orange-gelbes Licht getaucht.
Frühlingsgefühle?
Eher Nachdenklichkeit und bange Erwartung.
Ein Gebäudekomplex auf einer Anhöhe:
Spitze Wachtürme, eine hohe Steinmauer, Stacheldrahtzaun, ein braunes Holztor.
Ein Gefängnis?
Die Mauern und Tore bergen ein dunkles Geheimnis.
Ich kann mir diese Welt kaum ausmalen:
Eine Welt der Folter und der Qual.
Eine Welt der Unbarmherzigkeit und Kälte.
Eine Welt des Hungers und des Todes.
Eine Welt des Schlachtens und Mordens.
Scheinbar harmlos Todesstiege und Appellplatz bei Sonnenschein und Vogelgezwitscher.
Fast idyllisch der Steinbruch, der Felsen, die Tümpel.
Der Schein trügt!
Ich weiß, dass ich über Leichen steige.
Ich weiß, dass für jede Stufe, auf der ich stehe, ein Häftling Qualen erleiden musste.
Ich weiß, dass der Felsen die Sprungschanze in einen grausamen Tod mit Zwischenstufen war.
Ich weiß, dass Zynismus und Brutalität keine Grenzen kannten.
Ich weiß es – und kann es doch nicht fassen.
Vom äußeren (Sonnen)Schein geht es immer tiefer hinab:
Es wird dunkler, kälter, feuchter, modriger, unheimlicher.
Kleine rostige Duschköpfe an der Decke.
Hier floss viel zu heißes oder viel zu kaltes Wasser.
Wieder rostige kleine Duschköpfe.
Hier floss kein Wasser.
Hier wurden täglich zig Unschuldige und Ahnungslose vergast!
Zwei Öfen als Krematorium.
Eine gespenstisch baumelnde rostige Drahtschleife als Galgen.
Ein steinerner Tisch mit Vertiefung als Blutrinne.
Mehr kann ich an diesem Vormittag nicht ertragen.
Trotz des Grauens bin ich dankbar für den Eindruck.

Spitze Wachtürme, hohe Steinmauern, Stacheldrahtzaun.
Mahnmal für uns heute.

Michael M.