Auschwitz-Überlebende Ágnes Havas gestorben

Àgnes Havas ist im März 2020 in Budapest im Alter von 92 Jahren gestorben. Sie und ihre Zwillingsschwester haben mehrere Konzentrationslager überlebt.

Àgnes Havas wurde mit ihrer Zwillingschwester Judit 1928 in Budapest als Tochter einer Angestellten und eines Lehrers für Französisch und Ungarisch geboren. Auf Grund antijüdischer Maßnahmen und Gesetze der ungarischen Regierung unter Miklós Horthy durfte der Vater, Józef Havas, Anfang der 1930er Jahre als Lehrer nicht mehr unterrichten. Er arbeitete daher als Übersetzer aus dem Französischen, Englischen und Russischen und die Zwillinge wuchsen in einem Haushalt voller Bücher und mit verschiedenen Sprachen auf.

 

Verfolgung und Deportation

Unmittelbar nach dem Einmarsch deutscher Truppen im März 1944 setzte die Verfolgung der ungarischen Jüdinnen und Juden ein. Das jüdische Gymnasium musste den Unterricht einstellen und Tag für Tag wurden neue Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung erlassen: So mussten sie gelbe Sterne tragen, durften nur noch zu bestimmten Zeiten das Haus verlassen und wurden schließlich in eigenen „Judenhäusern“ ghettoisiert. Anfang Juli 1944 setzten die Deportationen der Jüdinnen und Juden aus der Umgebung von Pest, wo sie seit Anfang der 1930er Jahre gelebt hatten, ein. Die gesamte Familie – die Zwillingsschwestern, der Vater und die Großmutter – wurden nach Auschwitz deportiert. In ihren 2019 erschienenen Erinnerungen schilderte Àgnes Havas die Ankunft ihrer Familie in Auschwitz: „Meine Schwester und ich wurden von einem Offizier der SS gefragt, ob wir Zwillinge seien. Nach unserer bejahenden Antwort wurden wir von den anderen getrennt vor die Lokomotive gestellt. Unser Vater und unsere Großmutter wurden in die Gruppe der Alten geschickt. Als unser Vater sah, dass wir vor der Lokomotive standen, sprang er aus der Reihe und rannte zu uns hin, um uns ein letztes Mal zu umarmen, zu küssen. Er verabschiedete sich. Wahrscheinlich wusste oder ahnte er zumindest, wohin sie gebracht wurden. Danach kehrte er zurück in seine Reihe zur Großmutter. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass dies die Reihe derjenigen war, die sofort in den Tod geschickt wurden.“

 

Opfer von KZ-Arzt Mengele

Ágnes Havas und ihre Schwester landeten in der Station von Dr. Josef Mengele, der in Auschwitz seine „Zwillingsforschung“ betrieb. Dabei wurden sie regelmäßig vermessen. „Wir mussten nackt in einem Raum sitzen. Jeder Teil unseres Körpers wurde vermessen, betastet, mit Tabellen verglichen und fotografiert. Auf jede Bewegung wurde geachtet. Ich fühlte mich wie ein Tier in einem Käfig. Dreimal in der Woche gingen wir ins Blutlabor“, berichtete eine andere Überlebende nach der Befreiung. Im November 1944 wurden Àgnes und Judit Havas mit einem Transport in ein kleines Lager nach Mährisch-Weißwasser überstellt, wo sie gemeinsam mit 300 ungarischen Jüdinnen im Außenlager des KZ Groß-Rosen für Telefunken arbeiten mussten.

Anfang Mai 1945 von sowjetischen Truppen befreit, machten sie sich gemeinsam auf den Heimweg nach Budapest, wo sie Ende Mai nach einer mehrwöchigen Odyssee ankamen, noch im Sommer 1945 maturierten und im Herbst mit dem Studium begannen. Während Judit Bauwesen studierte und bis zu ihrer Pensionierung am Institut für Bauwissenschaften in Budapest arbeitete, wirkte Ágnes Havas nach ihrem Studium für Französisch, Latein und Ungarisch als Lehrerin in Ungarn und Vietnam.

 

Erinnerung an die NS-Verbrechen

Nach der Pensionierung ging sie gemeinsam mit ihrer Schwester als Zeitzeugin in Schulen und half ehrenamtlich der Claims Conference bei Übersetzungstätigkeiten von deutschen Entschädigungsanträgen von Ungarinnen und Ungarn. Dabei ist auch die Idee entstanden, ihre eigenen Erinnerungen niederzuschreiben. So erschienen 2014 ihre Erinnerungen in Ungarn und 2019 in Österreich.

Auf unserer Plattform weiter_erzählen ist ein Videointerview mit Àgnes Havas zu sehen: - Link

 

Ágnes Havas: Mit meiner Zwillingsschwester in Auschwitz. Aus dem Ungarischen von Lukas Markl. Mit einem Nachwort von Heimo Halbrainer. Geb., 198 S. mit zahlr. Abb. ISBN: 978-3-902542-62-5, CLIO: Graz 2019