„Über Anderssein, Flucht, Neubeginn“ – Ein „anderes“ ZeitzeugInnengespräch

Bericht über ein Schulgespräch zwischen Gertraud Fletzberger, geboren 1932, und Mojtaba Tavakoli, geboren 1995, in einer Wiener Schule am 20. Jänner 2020.

„Warum mussten Sie flüchten?“, „Wie ist die Flucht verlaufen?“, „Welche Erfahrungen haben Sie als Flüchtlingskind gemacht?“ Zu diesen und weiteren Fragen hörten SchülerInnen der Bergheidengasse am 20. Jänner in Wien die Erzählungen von zwei Menschen, deren Leben in unterschiedlicher Weise vom Thema Flucht geprägt wurde. Gertraud Fletzberger, 1932 geboren, musste nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit einem Kindertransport von Wien nach Schweden flüchten, weil aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ihr Leben unmittelbar bedroht war. Das Gefühl des Allein-Seins bei der Ankunft in Schweden hat sich tief eingebrannt. Mojtaba Tavakolis Zukunft in Afghanistan war ungewiss, weil er als Angehöriger einer Minderheit Verfolgungsmaßnahmen befürchten musste. 2007 floh er als 13-Jähriger mit seinem älteren Bruder, der bei der Überfahrt ums Leben kam. Nach einer Odyssee landete er schließlich in Österreich.

 

Ein „anderes“ ZeitzeugInnengespräch

Ermöglicht wurde das Gespräch in dieser besonderen Konstellation durch die Initiative der Alllianz Menschen.Würde.Österreich, in Kooperation mit _erinnern.at_. Über zwei Stunden hörten die SchülerInnen den Erzählungen der beiden Gäste zu, stellten Fragen und zeigten sich von dem Gehörten beeindruckt. „Wahnsinnig wichtig und lehrreich“ sei dieser Nachmittag für sie gewesen, meinte eine 17-jährige Schülerin direkt im Anschluss an das Gespräch.

Wie ähnlich und doch unterschiedlich sind die Fluchterfahrungen der beiden ErzählerInnen? Und wie kann dies gut vermittelt werden? Was lernen SchülerInnen aus solchen Gesprächen? Wie können sie möglichst nachhaltig und reflektiert gestaltet werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich _erinnern.at_ nun u.a. anhand der schriftlich erhobenen Rückmeldungen der SchülerInnen, der weiteren Beteiligten, und unter Einbeziehung von ExpertInnen aus verschiedenen Feldern.

 

Arbeitsgruppe „Zukunft der Zeitzeugenschaft“

_erinnern.at_ hat eine Arbeitsgruppe etabliert, die pädagogische Empfehlungen zu Schulgesprächen mit „ZeitzeugInnen der Zweiten Generation“ erarbeiten wird und neue Formate evaluiert. Noch gibt es einige wenige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die aus erster Hand über ihre Verfolgungserfahrungen an Schulen berichten können. Alleine im vergangenen Schuljahr hat _erinnern.at_ fast zweihundert Schulbesuche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vermittelt und teilweise durch ausgebildete Begleitpersonen unterstützt. Indessen wird die Frage, wer die Erfahrungen der Ersten Generation zukünftig weitererzählt, immer drängender; damit befasst sich eine Arbeitsgruppe von _erinnern.at_. Mehr erfahren: - Link