Keine Empathie am Ende des Tunnels. Brauchen wir wirklich noch mehr Aufklärung?

Robert Streibel darüber, welche Lehren in der Öffentlichkeit aus den beunruhigenden Vorfällen mit Jugendlichen bei der Gedenkfeier in Ebensee und beim Besuch der Gedenkstättte Auschwitz gezogen werden.

Schüler können für blöde Antworten auch relegiert, vom Unterricht ausgeschlossen werden. Entschiedenheit könnte man dies nennen oder aber grenzenlos hilflos. Ohrenziehen und eine Dachtel ist für den einen der passende Schlussstrich, während auf der anderen Seite ebenso hilflos „Nach mehr Aufklärung“ verlangt wird. Noch mehr Aufklärung? Ganz Österreich ist eine Schule. Das wäre nicht schlecht, dann würde gleiches Recht für alle gelten. Doch dem ist leider nicht so. Lebenslanges Lernen klingt wie der Schuldspruch eines Geschworenengerichts und  so kommt es, dass die Aussagen einer Innenministerin gar nicht so blöd sein können, dass ihr ein ähnliches Schicksal wie einem Schüler widerfahren würde, von 3. Nationalratspräsidenten und Ches Lausbuben ganz zu schweigen.

Das Wissen über die NS Verbrechen schützt nicht, ein Besuch in einem Konzentrationslager ist keine Schluckimpfung und es ist ein Fehler zu glauben, dass jede rechtsradikale Untat ein weiteres Mahnmal braucht wie seinerzeit Bausenator Wolfgang Nagel in Berlin gemeint hat.

Hilflos nehmen sich die Versuche der Gutwilligen aus. Es gibt genug Unterrichtsmaterial, genug Filme, genug Theaterstücke, genug pädagogische Konzepte, alles da, das Rad wurde bereits mehrmals erfunden und immer wieder neu. Wie schlecht ist unser Gewissen auch jener, die sich nichts vorzuwerfen haben, die in vielen Projekten involviert sind, wenn zwei Vorfälle, so schrecklich sie auch sein mögen, das ganze System ins Wanken zu bringen scheinen? Ein fürchterlicher Mummenschanz im Tunnel und blöde Bemerkungen und Kommentare in Auschwitz und Feuer ist am Dach. Jetzt schnell was tun. Für Details bleibt in der Öffentlichkeit keine Zeit. Harte Strafen schützen nicht. Honsik braucht keine Diskussion, aber die Jugendlichen verlangen danach. Und die Frage, ob ein Auflauf von Jugendlichen in einem KZ das geeignete pädagogische Konzept ist, möchte ich dahingestellt lassen. Eine Reisegruppe von Erwachsenen nach Barcelona kann schon ein Wahnsinn sein und dann erst ein Massenauftritt von Jugendlichen auf dem Weg in die Gaskammer, davor graut mir. Und die Erfahrungen bei Besuchen in Auschwitz bestärken mich. Gruppenverhalten, Herdentrieb, das provoziert.

Zwei Vorfälle halten die Öffentlichkeit in Atem und dabei wird übersehe, was wirklich fehlt. Es gibt keine Empathie im Tunnel aber auch nicht am Ende des Tunnels. Welche Politikerin, welcher Politiker hat sich sofort bei den Opfern von Ebensee 2009 entschuldigt, die Gruppe abermals nach Österreich eingeladen? Fast eine Woche wurde geschwiegen, sieht man von Fekters gegenseitiger Provokationsthese ab. Auch die SPÖ hat sich zurückgehalten, die Wende kommt jetzt, aber ist sie glaubwürdig?

Empathie ist der Schlüssel, Empathie, Mitgefühl zu empfinden und zu vermitteln, das ist notwendig und Zivilcourage und natürlich Wissen um die Verbrechen. Empathie, das ist ein Wert, den es zu vermitteln gilt. Aber dafür braucht es keine Hausapotheke. Jetzt schlucken wir schnell ein paar Tropfen Toleranz und nehmen eine Brausetablette Geschichte und alles ist wieder gut.

Österreich ist leider keine Schule, notwendig wäre es, denn auch unter den Politikerinnen und Politikern ist das Wissen um die Vergangenheit nicht besonders ausgeprägt. In einer Online Umfrage unter Österreichischen Politikerinnen und Politikern zeigt sich, dass Gedenken für SPÖ und Grüne ein wichtiges Thema, die eine klare Meinung dazu haben. Sie sehen auch die Konflikte dieses Themas klar und realistisch. Die ÖVP Abgeordneten sind mehr als reserviert und nur 50% sind der Meinung, dass die Erinnerung an die Opfer gepflegt werden soll. FPÖ und BZÖ haben fast zu 100% diese Umfrage boykottiert. Befragt wurden Nationalrats- Bundesrats- und Landtagsabgeordnete und 2.600 Bürgermeister. Die ÖVP Abgeordneten würden zu 64,6% Gedenkaktionen ideell unterstützen und dominieren damit diese Antwortkategorie, der Durchschnitt liegt bei 45,6%. Ideell und finanziell würden 87,2% der Grünen unterstützen, gefolgt von 68,2% SPÖ, der Durchschnitt liegt bei 64,8%. Die ÖVP liegt mit 43,8% in der Kombination von ideeller und finanzieller Unterstützung klar unter dem Durchschnitt. Ein kleines Beispiel. Österreich 2008ff.

Welche NS-Opfergruppen bislang zu wenig Beachtung gefunden haben, bringt ein klares gesellschaftspolitisches Bild. Für die Grünen sind dies eindeutig Homosexuelle, Lesben, Roma, Sinti, und Wehrmachtsdeserteure mit jeweils Werten von mehr als 70%. Einig sind sich die Parteien bei den Widerstandskämpfern mit durchschnittlich mehr als 40%. Auffallend ist, dass mehr als 30% der ÖVP Abgeordneten meinen, keine Antwort geben zu können, da sie darüber zu wenig wüssten.

Die gesamte Studie der Online-Befragung ist entweder im Internet abrufbar: www.erinnern.at und ein zentraler Beitrag in der Publikation „Spurensuche“ (18. Jg), der Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissenschafts-popularisierung des Österreichischen Volkshochschularchivs. Die aktuelle Ausgabe heißt „Hinter den Mauern des Vergessens. Erinnerungskulturen und Gedenkprojekte in Österreich“ 250 Seiten € 15,- (Bestellung unter: Tel. /25 91 862 ·

Email: office@vhs-archiv.at

 

Robert Streibel, Historiker, Erinnerungsarbeiter und Direktor der Volkshochschule Hietzing, mit Christian H. Stifter Mitherausgeber der „Spurensuche“