Pädagogisches Handbuch und Quellensammlung: Das Geheimarchiv des Warschauer Ghettos

Das Jüdische Historische Institut Emanuel Ringelblum in Warschau hat gemeinsam mit dem Pilecki Institut Berlin die Publikation „Ein Archiv wichtiger als Leben“ veröffentlicht, die sich mit der Geschichte des Geheimarchivs des Warschauer Ghettos befasst. Sie versteht sich als Handbuch für Lehrpersonen und stellt eine umfangreiche Quellensammlung didaktisch aufbereitet zur Verfügung.

Seit Jahren bietet das Jüdische Historische Institut Emanuel Ringelblum in Warschau Bildungsprogramme für den polnischen Geschichtsunterricht an. Im Rahmen einer Kooperation mit der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und dem Pilecki-Institut Berlin fand 2022 ein Weiterbildungsseminar für deutsche Lehrkräfte statt, die eine Fortsetzung in der Publikation „Ein Archiv wichtiger als Leben“ fand. Sie erzählt die Geschichte des Warschauer Ghettos und der Gruppe „Oneg Schabbat“, die der jüdische Historiker Emanuel Ringelblum gegründet hat. Die Gruppe dokumentierte im Untergrund und unter Lebensgefahr den Alltag der jüdischen Bevölkerung im deutsch besetzten Polen und deren spätere Vernichtung. Sie waren  Augenzeugen des Völkermords und versuchten  die Außenwelt und die Alliierten über die deutschen Verbrechen zu informieren.

Historische Hintergründe[1]

Der Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden fand in unterschiedlicher Ausprägung in allen deutsch besetzten Ländern Europas statt. Das Epizentrum des Holocausts aber lag im Generalgouvernement, in jenem Teil der Zweiten Polnischen Republik, der vom Dritten Reich nicht annektiert worden war, sondern den Status einer Kolonie hatte. Ebendort, in Warschau, lebte die größte europäische jüdische Gemeinde, und ebendort, im Generalgouvernement, wurden die Vernichtungslager eingerichtet, in denen die meisten polnischen Jüdinnen und Juden ermordet wurden: Belzec, Sobibor und Treblinka. Ohne ihre Geschichte lässt sich der Holocaust als Phänomen nur schwer verstehen. Die Perspektive aus dem Warschauer Ghetto erlaubt nicht nur einen genauen Blick auf den Vernichtungsprozess, sondern auch einen viel tiefergehenden Blick auf zivilen Ungehorsam, auf den geistigen, intellektuellen und bewaffneten Widerstand der polnischen Juden und Jüdinnen. Sichtbar wird das breite Spektrum der Reaktionen auf den Versuch der Besatzer, die gesamte jüdische Minderheit des Landes auszurotten. Diese Details werden häufig vernachlässigt, oder der Widerstand beschränkt sich auf den bewaffneten Kampf während des Warschauer Ghettoaufstands.

Inhalte der Handreichung

Die Publikation „Ein Archiv wichtiger als Leben“ zeigt vor allem die ureigene Sicht der polnischen Jüdinnen und Juden auf ihr Schicksal während der deutschen Besatzung sowie die Gegenmaßnahmen, die sie im Angesicht des Völkermords ergriffen haben. Die Handreichung beginnt mit einer kurzen Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Warschau: Beschrieben werden die Lebensumstände unter deutscher Besatzung, die sich zuspitzende Situation für die Jüdinnen und Juden, die Einrichtung des größten Ghettos im besetzten Europa bis hin zur sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ und der Räumung des Warschauer Ghettos. Im Zentrum stehen dabei die Arbeit der Gruppe Oneg Schabbat und der bewaffnete Widerstand der Warschauer Jüdinnen und Juden.

Konzipiert wurden die Unterlagen für Lehrkräfte an Schulen und für MultiplikatorInnen der außerschulischen Bildung. Neben dem Wissenserwerb soll die Beschäftigung mit der Geschichte des Ringelblum-Archivs den Schülerinnen und Schülern auch den Wert von Archiven und von Augenzeugenberichten über historische Ereignisse verdeutlichen.

 

Die Publikation besteht aus folgenden Teilen:

  • Kontext: allgemeine, beschreibende Texte zu den Ereignissen.
  • Abbildungen: Fotos, Karten und Dokumente zur Ergänzung und in einigen Fällen als Quelle zur selbstständigen Analyse durch die Schülerinnen und Schüler.
  • Zitate: kurze Passagen aus Textquellen, hauptsächlich aus dem Ringelblum-Archiv, zur Ergänzung des Kontexts.
  • Begriffserläuterungen: Im Text unterstrichene Begriffe werden in den Randspalten erklärt.
  • Textquellen: 24 einzelne Textfragmente aus dem Ringelblum-Archiv zur Ergänzung des Erzählstrangs und als Quelle zur selbstständigen Analyse durch die Schülerinnen und Schüler.
  • Zeitleiste 1939–1950: Chronologie der Ereignisse einschließlich der wichtigsten Fakten im Zusammenhang mit der Geschichte von Oneg Schabbat und dem Ringelblum-Archiv

 

Das Jüdische Historische Institut beherbergt seit 1947 die von Oneg Schabbat erstellte und als „Ringelblum-Archiv“ bekannte Dokumentensammlung. Seit mehr als 20 Jahren werden diese Unterlagen schrittweise veröffentlicht. Sie konnten bereits umfassend entziffert, übersetzt, digitalisiert und in knapp 40 Bänden in polnischer und in 5 Bänden in englischer Sprache veröffentlicht werden (die Übersetzungsarbeiten dauern gegenwärtig noch an).

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[1] Aus der Handreichung übernommen.