Über den Genozid an den Roma und Sinti unterrichten

Im Folgenden finden Sie einen Überblick über Hintergrundinformationen und Lernmaterialien, um den Genozid an den Roma/Romnija und Sinti/Sintizze im Unterricht zu behandeln - darunter auch die europäische Lernwebsite romasintigenocide.eu, die _erinnern.at_ betreut.

Lernmaterial

Rund 500.000 Roma/Romnija und Sinti/Sintizze wurden während des Holocaust ermordet - Opfer einer rassistischen Verfolgungspolitik deutscher und österreichischer Nationalsozialisten und ihrer faschistischen Verbündeten. Doch diesem Völkermord kommt heute immer noch wenig Beachtung zu. Roma und Sinti wurden in Vernichtungslagern, wie etwa in Auschwitz, getötet und fielen in Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern der alltäglichen Gewalt, Hunger und Krankheiten zum Opfer. Viele wurden deportiert und als ZwangsarbeiterInnen ausgebeutet, auf Bauernhöfen, auf Baustellen und in der Industrie. Roma und Sinti nennen diesen Genozid „Porajmos“, was „Verschlingung“ oder „Zerstörung“ auf Romani bedeutet. _erinnern.at_ betreut in Kooperation mit europäischen Partnerinstitutionen und der IHRA die Lernwebsite romasintigenocide.eu. Die Website für SchülerInnen ist mittlerweile in 12 Sprachen verfügbar.


Zur Lernwebsite romasintigenocide.eu

Website für SchülerInnen und LehrerInnen

Denkmal für die in Lackenbach ermordeten und deportierten Roma/Romnija und Sinti/Sintizze

Die Lernwebsite bietet in über 70 Arbeitsblättern Informationen über den Genozid, Opferbiographien und über Orte der Vernichtung. Die lange Europäische Verfolgungsgeschichte der Roma/Romnija und Sinti/Sintizze wird ebenso beleuchtet, rassistische Kontinuitäten werden aufgezeigt. So wird in einem Arbeitsblatt etwa die diskriminierende Registrierung von Roma und Sinti vor dem Genozid durch diverse Polizeibehörden thematisiert. Auch die Zeit nach dem Genozid, die späten Entschädigungszahlungen und die transnationale Gedenkarbeit wird in elf Arbeitsblättern thematisiert.


Die Arbeitsblätter regen SchülerInnen dazu an, sich selbst Fragen zu stellen und Recherchen anzustellen, etwa ob sich während des Nationalsozialismus ein Lager für Roma und Sinti in der Nähe ihres Wohnortes befand. Die Blätter stellen visuell immer ein Dokument in den Mittelpunkt, dies schult quellenkritische Kompetenzen.


Zur mehrsprachigen Website: - Link

Hintergrundinformationen für LehrerInnen

Antiziganismus Definition

Die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) sowie ihre 34 Mitgliedsstaaten haben im Oktober 2020 einstimmig eine Arbeitsdefinition von Antiziganismus angenommen. Österreich nahm die Arbeitsdefinition der IHRA am 7. April 2021 an. Die Definition, die den Begriff „Sinti und Roma“ als „Oberbegriff für verschiedene verwandte sesshafte oder nicht sesshafte Gruppen“ verwendet, besagt:

„Antiziganismus manifestiert sich in individuellen Äußerungen und Handlungen sowie institutionellen Politiken und Praktiken der Marginalisierung, Ausgrenzung, physischen Gewalt, Herabwürdigung von Kulturen und Lebensweisen von Sinti und Roma sowie Hassreden, die gegen Sinti und Roma sowie andere Einzelpersonen oder Gruppen gerichtet sind, die zur Zeit des Nationalsozialismus und noch heute als ‚Zigeuner‘ wahrgenommen, stigmatisiert oder verfolgt wurden bzw. werden. Dies führt dazu, dass Sinti und Roma als eine Gruppe vermeintlich Fremder behandelt werden, und ihnen eine Reihe negativer Stereotypen und verzerrter Darstellungen zugeordnet wird, die eine bestimmte Form des Rassismus darstellen.“

Das Berliner Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti/Sintizze und Roma/Romnija Europas (Foto: Moritz Wein)

Internationaler Tag des Gedenkens an den Genozid an den Sinti/Sintizze und Roma/Romnija am 2. August

Das Europäische Parlament hat 2015 den 2. August zum europäischen Holocaust-Gedenktag für die Roma und Sinti erklärt. Zum Gedenktag findet eine offizielle Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau statt. Alle Informationen zum Gedenktag finden Sie hier: - Link 

Die zentralen Gedenkorte: Auschwitz und Chelmno

Insgesamt wurden 2900 österreichische Roma/Romnija und Sinti/Sintizze nach Auschwitz deportiert und dort im abgegrenzten „Zigeunerlager“ inhaftiert. Die Todesraten waren aufgrund der unmenschlichen Bedingungen sehr hoch, bis Ende 1943 starben 70 % der Häftlinge des "Zigeunerlagers". Ende Juli 1944 wurden alle arbeitsfähigen Häftlinge in Konzentrationslager verlegt. In der sogenannten „Zigeunernacht“ vom 2. auf den 3. August 1944 wurden alle noch im „Zigeunerlager“ lebenden Häftlinge in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Dieses grausame Ereignis wurde als Gedenktag für die 500.000 weiteren Roma/Romnija und Sinti/Sintizze gewählt, die während des Nationalsozialismus aus rassistischen Motiven ermordet wurden. 1941 wurden 5000 österreichische Roma/Romnija nach Lodz deportiert und später in Chelmno ermordet.

Mehr als 20.000 Roma/Romnija und Sinti/Sintizze wurden ab 1943 in Auschwitz-Birkenau interniert und ermordet. Am 16. Dezember 1942 verfügte Heinrich Himmler die Deportation aller noch im Deutschen Reich lebenden „Zigeuner“ nach Auschwitz-Birkenau. Dieser Befehl markiert die letzte Phase eines Plans zur Vernichtung der „Zigeuner“. Die Massendeportationen deutscher, österreichischer und tschechischer Roma/Romnija und Sinti/Sintizze nach Auschwitz-Birkenau begannen im April 1943.


Sie wurden unter unmenschlichen Bedingungen in 32 Holzbaracken im „Zigeunerfamilienlager“ zusammengepfercht. Bis zum Juni 1944 waren 70 Prozent von ihnen bereits gestorben. Während die noch Arbeitsfähigen in andere Konzentrationslager überstellt wurden, wurden die zurückgebliebenen 2.879 Gefangenen in der Nacht des 2. August 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Der 2. August wurde 2015 zum Internationalen Tag des Gedenkens an den Genozid an den Sinti und Roma ausgerufen.

Unterrichtseinheiten über den Genozid an den Roma/Romnija und Sinti/Sintizze

Zur Vor- und Nachbereitung des Besuchs der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und der neuen österreichischen Ausstellung hat _erinnern.at_ Lernmaterialien entwickelt, welche Pädagoginnen und Pädagogen mit konkreten Unterrichtsentwürfen und Arbeitsimpulsen für Klassen ab der 10. Schulstufe unterstützen.

Kern der Unterrichtsmaterialien sind sieben Lernmodule mit themenspezifischen Anknüpfungspunkten zu den Fächern Geschichte und Politische Bildung, aber auch Deutsch, Religion, Bildnerische Erziehung und Musik. Ein eigenes Modul beschäftigt sich mit dem Genozid an den Roma/Romnija und Sinti/Sintizze. Die einzelnen Module bauen nicht aufeinander auf und können auch unabhängig von einem Gedenkstättenbesuch im Unterricht eingesetzt werden.

Das Modul Nr. 2 bietet zwei kompakte Unterrichtseinheiten zum Thema "Genozid an den Roma/Romnija und Sinti/Sinizze". Dabei erarbeiten sich SchülerInnen anhand von Biografien historisches Wissen zur Geschichte und Erinnerung des Genozids an den Roma/Romnija und Sinti/Sintizze. Die Lebensgeschichten werden vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Situation von Romnja/Roma und Sintize/Sinti vor, während und nach dem NS analysiert. Gemeinsam werden Fragen der historischen und gegenwärtigen Verantwortung für NS-Verbrechen und ihre Kontinuitäten diskutiert.

Zu den Unterrichtseinheiten: - Link

Video-Interviews mit Roma und Sinti - Überlebende des Genozid

Im Interview-Archiv von _erinnern.at_, der Plattorm weitererzaehlen.at, finden sich derzeit 15 Video-Inteviews mit Roma/Romnija und Sinti/Sintizze, die über den Genozid und die Diskriminierung vor und nach dem Genozid berichten.

Unter den Videos, die voll verschlagwortet und damit einfach zu durchsuchen sind, findet sich auch ein Interview mit der berühmten Roma Ceija Stojka.  Stojka wurde 1933 im steirischen Kraubath in eine Familie, die den Lovara-Roma angehörte, geboren. Sie wurde 1943 mit ihrer Mutter und mehreren Geschwistern in die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Bergen-Belsen deportiert und überlebte. Nach der Befreiung und ihrer Rückkehr nach Wien war Stojka als Schriftstellerin, Künstlerin und Zeitzeugin im ZeitzeugInnen-Programm von _erinnern.at_ tätig, sie ist 2013 verstorben.

Zu den Video-Interviews auf weitererzaehlen.at: - Link




Literaturtipps

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