Tom Segev: Simon Wiesenthal. Die Biographie.

Vom Tag seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen an machte Simon Wiesenthal (1908 – 2005) es sich zur Lebensaufgabe, NS-Verbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Fünf Jahre nach seinem Tod legt nun der bekannte Historiker und Journalist Tom Segev die erste aus Originalquellen erarbeitete Biographie vor, enthüllt zahlreiche bisher unbekannte Tatsachen und erzählt eindrucksvoll das Leben des »Nazi-Jägers«, der selbst auch zeitlebens ein Verfolgter blieb. Er wirft in seinem Buch auch ein neues Licht auf den Konflikt zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und Simon Wiesenthal.

Die Wiesenthal-Biographie von Tom Segev ist im Siedler-Verlag erschienen (September 2010) und hat nach dem Erscheinen zahlreiche Reaktionen hervorgerufen.

Tom Segev erzählt das Leben des Simon Wiesenthal: Vom Tag seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen an machte Simon Wiesenthal (1908 – 2005) es sich zur Lebensaufgabe, NS-Verbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Fünf Jahre nach seinem Tod legt nun der bekannte Historiker und Journalist Tom Segev die erste aus Originalquellen erarbeitete Biographie dieser Jahrhundertgestalt vor, enthüllt zahlreiche bisher unbekannte Tatsachen und erzählt eindrucksvoll das Leben des »Nazi-Jägers«, der selbst auch zeitlebens ein Verfolgter blieb.

Als Simon Wiesenthal im Alter von 97 Jahren in Wien starb, betrauerte die Welt einen unermüdlichen Kämpfer gegen das Böse. Hollywood verklärte ihn als Helden, gleichwohl hatte er zeit seines Lebens auch Ablehnung und Anfeindungen erfahren, viele sahen in ihm einen unversöhnlichen Störenfried. Er entfachte die Phantasie von Menschen auf der ganzen Welt, fesselte und beängstigte sie, belastete ihr Gewissen und verlieh ihnen doch einen tröstlichen Glauben an das Gute.

Anhand von zahlreichen Briefen, Geheimdienstdossiers und anderen, bislang unbekannten Quellen zeichnet Tom Segev die faszinierende Biographie Simon Wiesenthals nach: Die höchst lebendige und spannende Lebensgeschichte eines überaus mutigen Mannes, der eine Reihe atemberaubender Aktionen initiierte und dabei fast ganz auf sich gestellt arbeitete, in einer kleinen Wohnung zwischen hohen Stapeln alter Zeitungen und vergilbter Karteikarten.

Interview mit Tom Segev: - link

Rezension von Erich Klein. Im "Falter" : Wien 36/10 vom 8.9.2010 (Seite 16)

 

Simon Wiesenthal, Autor, Zionist, Nazijäger

Der israelische Historiker Tom Segev legt mit seiner Wiesenthal-Biografie einen einmaligen Längsschnitt durch die Zweite Republik vor

Fragte man nach dem berühmtesten Österreicher der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, fiele die Antwort leicht: Simon Wiesenthal. Ohne das hierzulande übliche parteipolitische Geschichtskalkül hebt die 576-seitige Wiesenthal-Biografie des israelischen Historikers und Journalisten Tom Segev forsch an: „Vieles von dem, was Wiesenthal geschrieben hat, ist mit Vorsicht zu genießen.“

Österreicher war Wiesenthal erstmals 1908, als er im k.u.k. Kronland Galizien geboren wurde. Auf den Volksschulbesuch in Wien folgt ein Architekturstudium in Prag, das er 1932 mit dem Ingenieursdiplom abschließt. Zurück in Lemberg, träumt der begeisterte Anhänger des radikalen Zionisten Jabotynskij von Auswanderung nach Palästina. „Wiesenthal war schon vor dem Holocaust ein politisch denkender und zionistisch gesinnter Mensch gewesen und blieb bis zum Ende seines Lebens stets auf der rechten Seite des politischen Spektrums.“

Als Wiesenthal im Mai 1945 von US-Truppen in Mauthausen befreit wird, beginnt er sogleich jene Verfolgung von Naziverbrechen, die ihm später den Namen des „Nazijägers“ eintragen wird. Die prominenteste Beute: Adolf Eichmann, der KZ-Kommandant Franz Stangl, der Gestapochef von Lyon, Klaus Barbie sowie der „Schlächter von Wilna“, Franz Murer.

Segev analysiert Wiesenthals oftmals nicht konfliktfreie Zusammenarbeit mit Israels Behörden und Geheimdienst. Am Anfang steht ein folgenreicher symbolischer Akt: Wiesenthal lässt in österreichischen Konzentrationslagern die Asche von 200.000 im Holocaust ermordeten Juden einsammeln und am 26. Juni 1949 in einem Glassarg nach Israel bringen. Der tiefere Sinn hinter der Aktion: Wie sollten in angemessener Form sechs Millionen Ermordete betrauert werden? „Als Wiesenthal in Israel eintraf, umgab den Holocaust dort noch großes Schweigen.“

Es ist diese Handlung, die Wiesenthal für Tom Segev nicht nur zu einer für Israel notwendigen Figur macht; eigentlich hätte Wiesenthal in Österreich erfunden werden müssen, hätte es ihn nicht längst gegeben – mit seiner Forderung nach „Recht und nicht Rache“ für die Opfer der Naziverfolgung. Während der Kalte Krieg „auch bei Wiesenthal ein Auge (Anm.: bei der Verfolgung mancher Naziverbrecher) zudrücken lässt“, wird mit dem Versuch diverser Ostblockgeheimdienste, ihn zu diskreditieren, Anfang der 1970er-Jahre der Grundstein für die geschichtspolitische Schlammschlacht der „Affäre Kreisky-Wiesenthal-Peter“ gelegt. Wiesenthal beschrieb den Konflikt mit den Sozialdemokraten so: „Die sozialistische Partei Österreichs wurde im Lauf der Jahre zur wichtigsten Fürsprecherin der ehemaligen Nationalsozialisten.“ Kreiskys unsägliche Reaktion darauf: „Wiesenthal ist ein jüdischer Faschist“, oder: „Und der Herr Wiesenthal hat halt zur Gestapo, behaupte ich, eine andere Beziehung gehabt als ich.“

Die folgenden diplomatischen Verwicklungen resümiert Segev – im Hinblick auf die sowjetischen Juden, die dank Kreisky damals via Österreich nach Israel auswanderten – pragmatisch: „Es dürfte kaum einen wichtigeren Beitrag zur Förderung der zionistischen Bemühungen gegeben haben als diesen. Auf paradoxe Weise tat Kreisky dies auch, weil er Teilhabe an der Verantwortung der Österreicher für die Verbrechen der Nationalsozialisten empfand.“

Während Kreisky und Wiesenthal bis zu beider Lebensende keine Versöhnung gelingen sollte, nahm Wiesenthals Ruhm in den 1980er-Jahren weltweite Ausmaße an. Nicht wenig trug seine schriftstellerische Produktion mit Büchern wie „Die Sonnenblume. Von Schuld und Vergebung“ oder „Recht nicht Rache“ dazu bei. Tom Segev trocken: „Wiesenthal war ein frustrierter Autor. Die Jagd nach NS-Verbrechern und der juristische und politische Kampf gegen sie befriedigten ihn nicht. Er wollte auch am ethischen und philosophischen, dem theologischen und literarischen Diskurs teilhaben, den der Holocaust nährte.“ Zuletzt folgten Wiesenthal-Zentren, die Verfilmung seines Lebens in Hollywood, Biografien und zahlreiche Ehrungen. Bundespräsident Fischer reagiert bei solcher Gelegenheit lakonisch mit „Schejn“.

Tom Segev hat mit „Simon Wiesenthal. Die Biographie“ eine eindringliche und analytisch saubere Lebensbeschreibung verfasst. Sein Längsschnitt durch die Zweite Republik sucht in Österreich ihresgleichen. Über die passende Form der Auszeichnung darf nachgedacht werden.

weitere Texte:

Rainer Novak: Segev - Der Wiesenthal-Kreisky-Biograph. In: Die Presse, 19. September 2010 - link

Hans Rauscher: Kreisky, Wiesenthal, Friedrich Peter: In: Der Standard, 17. September 2010 - link

Im "Profil" (September 2010 -Folge) Herbert Lackner: Der Konflikt Kreisky - Wiesenthal: Neue Dokumente zeigen den brutalen Streit - link - link - link