Namen, Gräber und Gedächtnis

Die „Heil- und Pflegeanstalt” Mauer Öhling während der NS-Zeit

Top Citizen Science-Projekt (1.8.2019-30.4.2020)

Nach der Beendigung der sogenannten „Aktion T4“ im August 1941, bei der rund 1.300 Patientinnen und Patienten der „Heil- und Pflegeanstalt“ Mauer-Öhling nach Hartheim bei Linz deportiert und vergast wurden, wurde anstaltsintern weiter gemordet. Die Sterblichkeitsrate stieg drastisch an, von ca. fünf Prozent in der Vorkriegszeit auf 18 Prozent bis Jahresende 1943. Der reguläre Anstaltsfriedhof, dessen Fläche mit 1.000 Grabstellen seit der Gründung problemlos ausgereicht hatte, stieß so an seine Kapazitätsgrenzen, obwohl die Gräber bereits nach neun Jahren wiederbelegt wurden. Im Juni 1944 wurde daher begonnen, ein im Nord-Nordosten der Friedhofsmauer entlang der Straße Amstetten-Waidhofen gelegenes Waldstück zu roden, um den Friedhof um rund 300 Grabstellen in fünf Doppelreihen zu erweitern.

Die ersten ab 10. November 1944 auf diesem Gelände Begrabenen waren Opfer der Euthanasiemorde der Anstaltsärzte Dr. Emil Gelny und Dr. Josef Utz. Insgesamt wurden bis Kriegsende weitere 190 Patientinnen und Patienten getötet und auf dem „Neuen Teil“ in Massengräber – bis zu neun Personen pro Schacht – geworfen. Bis 8. Mai 1945 wurden insgesamt 275 Tote auf dem Gelände beerdigt. Der erweiterte Friedhofsteil wurde in den 1980er Jahren aufgelassen und auf die Grabreihen Fichten gepflanzt, die mittlerweile aber aufgrund von Borkenkäferbefall wieder gerodet werden mussten. Heute ist die Fläche leer. Ohne Hinweis auf seine kontaminierte Geschichte harrt das Gelände nach wie vor einer angemessenen Gestaltung.

Die vergessenen Massengräber des Anstaltsfriedhofs waren der Ausgangspunkt unseres Citizen Science-Projekts. Das Interesse war überwältigend: Mehr als 400 Personen besuchten die Veranstaltungen und Präsentationen in Amstetten und St. Pölten, viele brachten sich in die intensiven Diskussionen ein. 13 Citizen Scientists – Angehörige von Opfern, Mitarbeiter/innen des Landesklinikums Mauer und Regionalhistoriker –  übernahmen, angeleitet durch das Projektteam, eigenständige Forschungsaufgaben. Stellvertretend für die Massengräber wurde das Grab Nummer 64 ausgewählt, das sich aufgrund einer noch vorgefundenen Marke örtlich zuordnen lässt. Ausgehend von ihren persönlichen Interessen erforschten die Citizen Scientists die Biographien und Schicksale von fünf darin Beerdigten sowie sieben weiteren NS-„Euthanasie“-Opfern – aus der eigenen Familie, dem eigenen Wohnort oder aus unterschiedlichen Opfergruppen. Ein Teilnehmer wertete die entsprechenden Informationen in der Pfarrchronik von Mauer-Öhling aus, ein weiterer untersuchte die für einige Insassen todbringende Räumung der Altersheime im Bezirk Amstetten.

Die Ergebnisse werden in der – wegen COVID-19 verschobenen – |Abschlussveranstaltung |am 4. November 2020 um 19:00 Uhr im MozArt Amstetten präsentiert.
Das Engagement der Citizen Scientists zeigt Wirkung: gemeinsam mit dem Landesklinikum Mauer wird über eine würdige Gestaltung des Anstaltsfriedhofs nachgedacht.

Projektleitung: PD Dr. Martha Keil
ProjektmitarbeiterInnen: Dr. Wolfgang Gasser, Dr. Philipp Mettauer, Tina Frischmann, BA
Kooperationspartner: Dr. Thomas Buchner (Stadtarchiv Amstetten)

In Kooperation mit der |Stadt Amstetten |und dem |Landesklinikum Mauer|. Gefördert durch das |Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung|.